Der neue Hotspot für Mode und Design heisst Dakar. Ob Fashion Week oder Kunstbiennale – die quirlige Metropole steckt den Westen mit ihrer Energie an. Höchste Zeit, die kreativen Köpfe des Landes zu entdecken!

Müssen Sie bei seinem Anblick auch an Ihre unbeschwerte Kindergartenzeit denken? Der bunte Stuhl zaubert garantiert ein Lächeln ins Gesicht. Aber nicht nur: Das Modell aus recyceltem Plastik verkörpert traditionelles Kunsthandwerk und erfüllt die beiden wichtigsten Kriterien unserer Zeit: Begehrlichkeit und Nachhaltigkeit. Designt wurde er von Bibi Seck. Bibi, wer? Seck zählt zu den angesagtesten Designern Dakars.

Er verwandelt Plastikflaschen in mobile Möbel mit gradlinigen Formen, für den Garten bis zum Wohnzimmer. Der Designer lebt zwischen Dakar und New York, hat mit Unternehmen wie Herman Miller oder Normann Copenhagen und dem Uhrenhersteller Tag Heuer zusammengearbeitet und ist ein Paradebeispiel für den kreativen Reichtum der senegalesischen Hauptstadt.


Die Hafenstadt im Westen Afrikas dehnt sich immer weiter in Richtung Wüste aus, um Platz für mehr als fünf Millionen Einwohner zu schaffen. Zebrastreifen oder Ampeln? Vergessen Sie es. Es herrscht Chaos – das aber auf wundersame Weise im Alltag funktioniert. Hier und da gibt es noch architektonische Überbleibsel aus der Kolonialzeit, als Frankreich noch über den Senegal bestimmte. Prächtige weisse Häuser mit Kolonnaden, umgeben von üppigen Gärten. Überschattet werden sie von jenen Gebäuden, die mitten im Sand in die Höhe ragen. Um eine rasant wachsende Bevölkerung aufzunehmen, deren Jugend vor Kreativität sprudelt. Nein, die Vergangenheit ist definitiv kein Thema mehr, in Dakar zählt nur die Gegenwart.

Die Stühle von Bibi Seck sind aus recycelten PET-Flaschen hergestellt.

Knallige Farben spotten tristen Büros

Neben der Musik sind im Senegal Design und Mode starke Motoren für die Verwirklichung von Träumen. Es wird mit dem gearbeitet, was zur Hand ist. Die Not ist ein Verbündeter. Während Bibi Seck alte PET-Flaschen in poppige Sitzgelegenheiten verwandelt, verarbeitet sein Landsmann Ousmane MBaye Altmetall. Aus dem Blech entstehen elegante Aufbewahrungsmöbel in fröhlichen Farben. Eine Prise afrikanischer Energie, die der Strenge vieler Büros spottet. Trotzt man erst einmal den ewigen Verkehrsstaus der Stadt, ist alles andere ein Kinderspiel: Man muss nur in der Altstadt oder in den Vororten der Metropole einen der vielen Handwerker mit goldenen Fingern kontaktieren – und wie von Wunderhand werden alle Wünsche im Handumdrehen erfüllt.


Fest in ihrer Kultur verankert und trotzdem weltoffen, schwören die jungen senegalesischen Künstler Klischees ab. Klar kommen auch immer noch die typischen Materialien wie Wachs und Bologan-Stoffe und die Technik der Indigo-Färbung zum Einsatz. Aber sie definieren nicht mehr das «Made in Senegal». Für die kreativen Köpfe, deren Ruf mittlerweile über die Grenzen des Landes hinausgeht, sind Geschichte, Religion und Volksglaube ein fruchtbarer Boden. Und sie nähren ihn mit einer gehörigen Portion Kühnheit. Wie Sarah Diouf, Gründerin der Marke Tongo. Im Musikvideo von «Spirit», dem Titelsong des Disney-Films «König der Löwen», trug die US-Sängerin Beyoncé ein Outfit von Diouf.


Hier ein Kimono aus schwarzem Leder, bestickt mit Garnelenmotiven, dort ein eng anliegendes Kleid mit Einsätzen aus Plastik: Auch die Kollektionen der Designerin Selly Raby Kane heben sich deutlich von den schillernden Boubous ab, die die meisten Frauen auf den Märkten tragen. Weite, locker fallende Kleider. Um den Jetset von Dakar – etwa Beyoncé – zu verführen, braucht es eine gehörige Portion Fantasie. Und daran mangelt es der Designerin, Kostümbildnerin und Filmemacherin nicht.

Mit ihren gebleichten Haaren, der herzförmigen Sonnenbrille und ihren futuristischen Kreationen verkörpert Kane genau jene Szene, die das kulturelle Herz von Dakar höherschlagen lässt. Ihre Modelle sind fröhlich, aber akribisch genau entworfen. SRK (ihre Initialen sind zu ihrer Marke geworden), die auch einen Abschluss in Betriebswirtschaftslehre hat, nimmt Mode nicht auf die leichte Schulter. «Ich habe immer versucht, die Codes zu überschreiten und neue Genres in der senegalesischen Gesellschaft zu schaffen – die manchmal sehr vorgefasste Ideen hat.» Dakar ist für sie das perfekte Biotop: «Ich bin sehr dankbar für diese Stadt mit ihrem reichen kulturellen Erbe. Es ist jenes von Senghor, dem ersten Präsidenten der Republik, der auch Dichter war.»

Sarah Diouf, eine der aufstrebenden Modedesignerinnen des Senegals.

Ein starkes Band knüpfen

Das Geheimnis von Dakars besonderem Geist? Vielleicht ist es das starke Gemeinschaftsgefühl, sinniert die Designerin. Vielleicht ist die Verbundenheit das Band, das Handwerk und Kunst zusammenhält. Die Kreativität quillt aus jeder Pore der Stadt – vom Stoffmarkt Coloban, auf dem die aussortierten Kleidungsstücke aus Europa landen, bis hin zu den Freiluftateliers am Strassenrand. «Gemeinsames Handeln ist für unsere Gesellschaft immens wichtig.»


Der Concept Store Sandaga wurde von Khadija Aisha Ba gegründet, die mit Kane die Schulbank drückte. Ba, eine leidenschaftliche Bewunderin des verstorbenen Louis-Vuitton-Designers Virgil Alboh, hat auch das Modelabel L’Artisane gegründet. Niemand Geringeres als Topmodel Naomi Campbell rückte es ins Rampenlicht. Wie die Kleider aussehen? Sie sind eine bunte Mischung aus übergrossen Boubous, englischen Stickereien am Kragen, Pop-Art-Patches und XXL-Schmuck. Bei Ba werden Armbänder, die auf eine Schnur aufgefädelt sind, als Halskette getragen.

Nicht einfach zur Zierde: Mit ihnen möchte sie die stolze Haltung einer traditionellen Fulani-Prinzessin zur Schau stellen. Die dazu passenden Babouche-Slipper sind mit Rüschen versehen und goldfarben, für einen glänzenden Auftritt am Abend. Malick Badji, genannt Milcos, ist Designer der Marke Nio Far. Er gehört zur Volksgruppe Dogon und präsentiert seine Kollektionen durch Performances. Seine Sneaker sind der Hit! Die Modelle werden im Senegal hergestellt und bestehen aus Leder und Bogolan, einem gewebten Baumwollstoff aus Mali. Sie finden sich selbst an den Füssen und auf den Instagram-Feeds von Berühmtheiten wie der US-Sängerin Alicia Keys.

Die Exposition in den sozialen Medien ist ein echter Schub für junge Marken, die aufgrund der Sichtbarkeit auf den internationalen Markt katapultiert werden. Milcos kann ein Lied davon singen: Inzwischen erobern seine Schuhe die Grossstadtdschungel von Paris, Abidjan, Genf oder New York: «In den letzten fünf Jahren hat Mode aus Dakar einen enormen Boom erlebt», sagt er. «Die junge Generation hat die Chance der sozialen Netzwerke genutzt, um überall auf der Welt präsent zu sein.»


Die Dakar Fashion Week feierte im vergangenen Sommer ihr 20-jähriges Bestehen mit einer viel beachteten Modenschau auf der Île de Gorée. Die Biennale von Dakar, Dak’art, hat für ihre 14. Ausgabe im vergangenen Jahr mehr als 50 Künstler zusammengebracht. Es gibt aber auch eine Vielzahl von jungen Veranstaltungen, die äusserst ambitioniert sind – wie das Gorée Island Cinema, das Festival der urbanen Kulturen Festi Graff oder Partcours, eine Veranstaltung, die auf Architektur und Kunstschaffende fokussiert.


Es ist sicherlich kein Zufall, dass Chanel die Metropole im Dezember 2022 als Schauplatz für seine Métiers-d’art-Kollektion wählte – und damit die wohl luxuriösesten Scheinwerfer der Modewelt erstmals auf ein afrikanisches Land richtete. Gemeinsam mit der hauseigenen Pariser Galerie 19M, die die Handwerkszweige von Chanel vereint, ehrt das französische Modehaus den Reichtum des senegalesischen Know-hows. Die brodelnde Kulturszene des Senegals öffnet sich für Neugierige aus aller Welt – und erobert die Herzen im Sturm

Blick auf den Ozean vom Hotel Seku Bi.

Unbedingt besuchen

ÜBERNACHTEN

Hotel Seku Bi

Das Boutiquehotel liegt nur wenige Schritte vom Place de l’Independence entfernt und ist eine Insel der Ruhe im Herzen der Stadt. Es besteht aus zwei charmanten französischen Kolonialhäusern, von denen man aufs Meer blickt. Die Zimmer und Gemeinschaftsbereiche sind voller zeitgenössischer afrikanischer Kunstwerke.

33, Rue Béranger-Ferraud, www.sekubi.com

Gästehaus Gorée ASAO

ASAO wurde von der Französin Valérie Schlumberger, Mutter der Schauspielerin Léa Seydoux, gegründet. ASAO ist in erster Linie ein Verein für lokale Projekte mit sozialer Ausrichtung. Aus ihrem rosafarbenen Kalkhaus hat Schlumberger eine Pension mit fünf Zimmern gemacht, die farbenfroh dekoriert sind. Im Erdgeschoss verkauft eine Boutique wunderschöne Artikel aus lokalen Stoffen, die von den Frauen des Vereins bestickt wurden.

7, Rue Saint-Joseph sur l’île de Gorée, www.asao.fr

ESSEN

LuLu Home Interior & Café

Im Westen Dakars, im Viertel Fann Résidence, befindet sich der Concept Store Lulu. Das angeschlossene Restaurant bietet Gerichte mit lokalen und ausländischen Einflüssen an. Das Lokal liegt inmitten eines Basars, der mit verschiedenen aus Europa importierten Möbelstücken und lokalem Kunsthandwerk ausgestattet ist.

Corniche ouest, Fann Residence, Rue 8, instagram: @lulusenegal

Beluga

In einem hellen und modernen Saal wird man mit einer originellen Küche verwöhnt, die das Beste aus Ost und West vereint. Fisch, Fleisch und Geflügel … von Ceviche bis Sushi, alles ist frisch und köstlich. Wir lieben den Jardin Beluga, einen Korb mit exotischen Früchten und hausgemachten Sorbets, die auf einem Eisbett liegen.

162, Rue Mousse-Diop, www.groupelaparrilla.com/beluga

Le Bazoff

Hier gibt es köstliche senegalesische und kapverdische Spezialitäten. Das Lokal wird von der örtlichen «jeunesse dorée» frequentiert, der Service ist äusserst herzlich. Im Pub kann man den Abend bei einem Drink und ein paar Tanzschritten zu tropischer Musik verlängern.

Sicap, Rue 10 N°3070

SHOPPEN

Le Sandaga Shop

Der Concept Store von Khadija Ba, der Designerin der Marke l’Artisane. Hier sind ihre Kreationen und Lieblingsstücke versammelt.

5, Rue Victor-Hugo 5, www.lesandaga.com

La Maison Verte

Rattanmöbel, afrikanische Heimtextilien: In diesem Dekoladen gibt es Kunsthandwerk aus aller Welt und aus fairem Handel.

24, Rue Victor-Hugo, instagram: @lamaisonvertedakar

F Koncept

Der in Dakar geborene Faiëz hat früher im Concept Store Colette in Paris gearbeitet und versammelt in seiner Boutique die schönsten senegalesischen und afrikanischen High-End-Marken.

27, Rue Jules-Ferry, www.wibes-store.com/points-de-vente/f-koncept

Selly Raby Kane

Im Showroom der Modedesignerin kann man ihre futuristischen Modelle entdecken.

Mermoz-Sacré-coeur, instagram: @sellyrabykane

ANREISE

Die Agentur unterhält seit langem eine besondere Beziehung zu Afrika und bietet massgeschneiderte Touren an. Im Senegal organisiert
sie Reisen à la carte und vermittelt Kontakte zu Kreativen.

Voyageurs du monde, 6, Rue de Bourg, Lausanne und 19, Rue de la Rôtisserie, Genève. www.voyageursdumonde.ch/voyage-sur-mesure