Wenig bekannt, dafür umso interessanter sind die Weine aus dem oberen Piemont. Ein besonderes Augenmerk gilt dem Weinberg Boca, der vom Bündner Winzer Christoph Künzli gerettet wurde.

Eine kleine Region, die für Weinliebhaber von grossem Interesse ist: Das Alto Piemonte mit seinen sieben kontrollierten Appellationen ist dieses Jahr Teil der «Europäischen Weinstädte», wodurch die Arbeit der Region in den Vordergrund gerückt wird. Gattinara ist eines der grössten Weinbaugebiete. Es erstreckt sich von Bramaterra, Boca, Faro, Ghemme und Sizzano bis hin zu Lessona und Monferrato, also rund 20 Orte, die über Norditalien verstreut liegen. Nicht dazu gehören die Landschaft Langhe und die prestigeträchtigen Crus der Städte Barolo und Barbaresco. Eine kleine Fläche, 700 Hektar Weinberge, die sich auf den Hängen des Monte Rosa mit seinen Wasserläufen verteilen. Die Reise dorthin ist spektakulär, da die Natur grandiose Ausblicke bietet. Die Winzer haben übrigens eine Karte mit Wanderwegen herausgegegeben, die durch die Hügel des Naturparks des Monte Fenera führen. Vom Weinberg in Traversagna, einem kleinen Pass (450 m ü. M.), der von Velofahrern geliebt wird, hat man einen atemberaubenden Blick auf den Monte Rosa. 

Die Wiedergeburt eines Weinbergs

Einer dieser Weinberge verdient besondere Aufmerksamkeit: Boca, der von einem aus Graubünden stammenden Winzer bewirtschaftet wird. Eine kleine, 25 Jahre alte Appellation am Rande des Monte-Rosa-Massivs. Christoph Künzli ist mittlerweile über 60 Jahre alt und kennt sich bestens mit den Weinbergen am südlichen Alpenrand aus. Bevor die Reblaus sich in Italien ausbreitete, war das Weinbaugebiet mit 40  000 Hektar grösser als das des Piemonts und der Toskana. Der Architekt der Einheit Italiens, Graf Cavour, ein französischsprachiger Turiner mit einer Genfer Mutter, war der Meinung, dass die Weinberge am Südhang des Monte Rosa «Luxusweine» produzieren würden.

In den Herzen der Weinliebhaber hat der Nebbiolo mit dem Pinot Noir gleichgezogen, was die Feinheit der Aromen und Tannine sowie die Säure angeht. Die Weinreben hier haben einen steinigen Weg hinter sich. Schuld daran sind Krankheiten wie der Falsche Mehltau, der Echte Mehltau und später die Reblaus, aber auch die Industrialisierung, die dem Weinbau auf den steilen Terrassen der Weindörfer die nötigen Arbeitskräfte entzogen hat.


Der aus Davos stammende Weinhändler Christoph Künzli kam Ende der 1980er-Jahre hierher. Sein Vater hatte ein Haus mit einigen Weinbergen in der Toskana gekauft. Dort übte er, «indem ich als Hobby Chianti herstellte». Es machte ihm so viel Spass, dass er mit 40 Jahren auf der Suche nach einem Weingut war. Das Schicksal war ihm wohlgesinnt: Der Bündner konnte den Weinkeller von  Antonio Cerri aus Boca übernehmen, der 1997 als 80-Jähriger starb. Die Weinberge befinden sich an den Hängen der Hügel. Dort, wo die alten Rebstöcke noch nach der «Maggiorina»-Anbaumethode gesetzt sind, die auf die Zeit vor den Römern zurückgeht, bemüht er sich, sie zu erhalten. Die drei Hektar ergeben eine Cuvée aus nicht weniger als 13 sich ergänzenden Rebsorten, die gemeinsam geerntet und vinifiziert werden, wie in Châteauneuf-du Pape.  

Die anderen sieben Hektar liefern insbesondere den Hauptwein, den Boca. Der Produzent hält sich genau an das Rezept seines Vorgängers, interpretiert es nur «weicher»: ein reifes Lesegut, das im Indian Summer am Fusse des Monte Rosa geerntet wird, eine Mischung aus 85 Prozent Nebbiolo und 15 Prozent Vespolina, dazu natürliche Hefen, eine lange Mazeration von 60 Tagen und vier Jahre Lagerung in grossen Fässern aus slawonischer Eiche, ohne Filtration. «Ich greife so wenig wie möglich ein», erklärt der Winzer. «Es ist einfach: Wir haben grossartige Trauben und im Keller gibt es nichts zu korrigieren.» Das Ergebnis kann sich schmecken lassen: eine saftige Mischung aus roten Früchten und Kirschen, Tannine, die auf eine erfrischende Säure treffen, und eine famose Ausgewogenheit!

Wo und wann degustieren?

Die Weinberge in Boca, die vor 70 Jahren von 3000 Hektar auf einige wenige vertrocknete Rebstöcke zusammengeschrumpft waren, sind seit den 2000er-Jahren wieder auf etwa 40 Hektar angewachsen. Sie werden von einem Dutzend Winzern bewirtschaftet. Junge Kreative wie Davide Carlone und Marco Bui (vom Weingut Guardasole) in Grignasco und Töchter oder Enkelinnen von Winzern wie Anna Sertorio (Podere ai Valloni, die älteste Kellerei in Boca), Elena Conti (Castello Conti) und Silvia Barbaglia bieten ihre Version dieses Tropfens an. Christoph Künzli vom Weingut Le Piane baut und vinifiziert ein Viertel der DOC (kontrollierte Herkunftsbezeichnung) an. Der Rotwein verbringt mindestens 18 Monate in Fässern.

Dieses Jahr finden die italienischen offenen Weinkeller vom 25. bis zum 26. Mai statt, der 51. Boca-Weinmarkt erstreckt sich über die drei Wochenenden vom 18. Mai bis zum 2. Juni, bocanoit.dudaone.com.