
Zwicker, der älteste Optiker Zürichs, lässt im Aargau Hornbrillen per Hand fertigen. Die Modelle sind wie gemacht für Charakterköpfe.
Der Blick aus dem Fenster geht über Felder und Weiden, wandert übers freie Land. Und man kann sich vorstellen: Ein indischer Wasserbüffel würde sich hier, zwischen den Wäldern des Goffersbergs und dem Naturschutzgebiet Eichstelweiher, sicher auch pudelwohl fühlen. Moment mal! Indien? Wasserbüffel? Im Aargau? Das klingt nach verkehrter Welt. Tatsächlich gibt es eine enge Verbindung zwischen dem unteren Bünztal und Asien – zumindest eine postalische. Regelmässig trudeln Pakete im kleinen Häuschen beim Bahnhof Hendschiken ein. Der Inhalt: Hornplatten, die von den Hörnern des indischen Wasserbüffels stammen.

Sie werden im Auftrag von Optiker Zwicker zu markanten Brillen verarbeitet. Keine zarten Harry-Potter-Fassungen, die fast mit dem Gesicht verschmelzen, sondern echte Statement-Pieces. Ausdrucksstarke Modelle, die ins Auge fallen, die auf den Nasen von Charakterköpfen sitzen. «Unsere Kunden wollen keinen Mainstream. Sie möchten etwas Individuelles, das von Hand gefertigt ist», sagt Daniel Halder. Der 52-Jährige ist Inhaber von Zwicker, dem ältesten Optikergeschäft in Zürich.
Seit 2015 lässt das Familienunternehmen, in dem auch Halders Schwestern Nathalie und Christine arbeiten, die hauseigene Linie Zwickerhorn vom Hornatelier Medart im Aargau fertigen. Die Inhaber Nicolas Kunz und Sergio Pasinelli stellen mit ihrem Team ausschliesslich Brillen aus dem Naturmaterial her. Aber geht es den Büffeln für ihr Horn an den Kragen? «Keine Sorge», verneint Kunz lachend, «die Hörner sind Nebenprodukte der Landwirtschaft. Zudem ist Horn viel nachhaltiger als Kunststoff. Man kann es reparieren oder aufpolieren, wenn die Brille matt wird.»

Die aktuelle Zwickerhorn-Kollektion ist am Schreibtisch von Zwicker-Designerin Franziska Wehrli entstanden. «Meine Tochter ist Anime-Fan. Ich habe mich von den 1960er-Jahre-Formen inspirieren lassen», verrät Wehrli, und auch das: «Die besten Ideen kommen mir in den Ferien.» Nachdem sie ihre Entwürfe mit einem Bleistift skizziert hat, werden sie auf Tonpapier ausgeschnitten, um zu prüfen, wie sie im Gesicht wirken. Anschliessend werden die Modelle digital gezeichnet und ans Hornatelier Medart gesendet.
Ran an die Schleifmaschine
Der Rahmen jeder Brille wird aus einer 6,5 Millimeter dünnen Hornplatte gefertigt. «Die Hörner von Schweizer Rindern eignen sich dafür leider nicht, weil sie zu porös sind», erklärt Pasinelli. Zunächst wird die Hornplatte in der Fräsmaschine fixiert. Anhand der Daten «frisst» das Werkzeug sich wie ein Minihaifisch durch das Material und legt die Form frei. Die Raspeln landen in einer Schale, denn, so die Brillenmacher: «Sie sind ein super Düngemittel! Hobbygärtner holen sie bei uns im Atelier ab.»

Sobald die Form ausgefräst wurde, werden die Kanten an der Schleifmaschine per Hand geglättet und raue Stellen mit Schleifpapier abgeschmirgelt. Danach wird das Loch für das Bügelscharnier nachgebohrt und das Scharnier mit Sekundenkleber eingesetzt. Dann beginnt die «Wellness»-Behandlung für das Gestell: Die Brille wird mit Melkfett eingerieben und auf 200 Grad Celsius erhitzt, damit sie bombiert, also gewölbt, werden kann. Anschliessend werden die passenden Bügel befestigt und der Bügelanschlag auf 90 Grad geschliffen, damit sie sauber zusammenklappen. Zum Schluss erfolgt die «Unterschrift»: Per Laser wird die Brille graviert.

1848 vom Optiker und Graveur Mathias Jäggli gegründet, kaufte Halders Vater das Familienunternehmen von Benno Zwicker, der es von Jägglis Sohn übernommen hatte, und führte es, bis er das Zepter an seine eigenen Kinder übergab. Anlässlich des 175-Jahr-Jubiläums Ende 2023 wurde das Geschäft in der ehemaligen Post nahe des Paradeplatzes, wo früher die Kutschen aus Mailand und Paris eintrafen, modernisiert und vergrössert.

Schon Prominente wie der Schriftsteller Hermann Hesse liessen sich bei Zwicker ihre Sehhilfen anfertigen. Der Kultur fühlt sich die Familie noch immer verpflichtet: Zwicker stattet auch das Zürcher Schauspielhaus mit Brillen aus. Und welche Nase würde Daniel Halder gerne noch mit einer Zwicker-Brille adeln? Er schmunzelt: «Elton John ist ein absoluter Brillenfan. Wenn er nach Zürich käme, um eine Brille von uns zu kaufen, wäre ich sehr geschmeichelt.»

Daniel Halder
Der 52-Jährige ist in Niederweningen aufgewachsen und hat an der ETH in Zürich Umweltnaturwissenschaften studiert. Anschliessend arbeitete er als Unternehmensberater bei McKinsey und im Marketing und Vertrieb bei American Express. Er ist Inhaber von Optiker Zwicker, Götte Optik und SehFELDER sowie der CEO der Unternehmensgruppe Götte, von Optiker Zwicker und von SehFELDER.
www.optikerzwicker.ch