Früher ein einfaches Heissgetränk, wird Tee heute von grossen Küchenchefs als wichtiger Teil ihrer Menüs zelebriert.

Am Morgen wird er meist hastig in einem Beutel in eine Tasse geworfen und mit heissem Wasser übergossen. In Europa blieb der Tee lange Zeit ein zwar tröstliches, aber gewöhnliches Heissgetränk. Nur unsere Nachbarn jenseits des Ärmelkanals, die Untertanen Ihrer Majestät, haben ihn nach der Rückkehr aus den britischen Kolonien mit Respekt behandelt. Sie haben die Tea Time zum nationalen Emblem erhoben – mit gespreiztem kleinem Finger.


Angetrieben durch die Globalisierung und die Entstehung von schönen Teehäusern braut sich was zusammen: Das Interesse an Tee nimmt auch in unseren Breitengraden zu. Ob schwarz, grün oder weiss, ob reiner Grand Cru oder kunstvolle Mischungen, Tee erhält immer mehr Aufmerksamkeit, auch von Küchenchefs. Sie lassen sich vom wachsenden Einfluss der asiatischen Gastronomie inspirieren und laden ihre Sommeliers ein, mit Sorten, Temperaturen und Servierritualen zu experimentieren. So entstehen überraschende und delikate Kompositionen. Die Köchinnen und Köche reagieren damit auch auf die steigende Nachfrage nach alkoholfreien Getränken und Speisen.

Alchemie der Aromen

In ihrem nach monatelanger Renovierung wiedereröffneten Restaurant im «Beau-Rivage Palace» erkundet Sterneköchin Anne-Sophie Pic in Lausanne intensiv die Geschmackspalette des Tees. Zum Auftakt eines Menüs, bei dem die Alchemie der Aromen den Ton angibt, begleitet er ihre berühmten Berlingots, ein Trio von mit Ziegenkäse gefüllten Pastakissen, die in eine Maisrahmsauce mit Safran und Lavendel eingebettet sind.


Dank des grünen Tees Sejak Sparrow’s Tongue, der auf der südkoreanischen Insel Jeju angebaut wird, erreicht Paz Levinson, Chefsommelière der Pic-Gruppe und kreative Komplizin der Köchin, neue Höhen: «Mit diesem Tee befindet man sich in einer perfekten Harmonie. Die Temperatur des Aufgusses ist jener der Sauce sehr ähnlich. Die Tannine dieses wilden koreanischen Kräutertees unterstreichen die Textur des Käses. Die Röstung des Blattes, das im Wok gegart wurde, erinnert an die Röstung von Mais.»

In einem Gaiwan (einer Tasse mit Deckel) aus Glas aufgebrüht, ist das Getränk überraschend für diejenigen, die auf Wein als Begleiter von Pasta schwören. Die Kombination ist so reizvoll, dass sie auch in Evian übernommen wurde. In der Bar des «Hôtel Royal» wurde Anfang des Jahres eine Tea-and-Cheese-Time angeboten. Eine Kombi, die aus einem Trio von gereiften Käsesorten bestand, begleitet vom chinesischen grünen Tee Long Jing Premium, der in einem Stielglas serviert wurde. Kreiert wurde der Tee-Cocktail von Carine Baudry, einer Nase aus der Parfümerie und nunmehr Tea Master des Teehauses «Nunshen».

Tee-Pairings in der Sterneküche

In Basel unterstreichen Tees und Kräutertees den Geschmack des Aromamenüs von Sterneköchin Tanja Grandits im «Stucki». In Graubünden, in Fürstenau, reicht Starkoch Andreas Caminada in seinem vegetarischen Restaurant «Oz» die aufgebrühten Getränke zu den Menüs. Sie gehen einen erstaunlichen Pas de deux mit den Gemüsekompositionen ein, die direkt aus dem angrenzenden Garten stammen.


Auch jeder Gang des vegetarischen Menüs von Patrice Vander, Chefkoch des Sternerestaurants «Les Fresques», wird von einem Tee begleitet. «Tee hat viele Ähnlichkeiten mit Wein. Bei der Verkostung beobachtet man ihn, riecht und schmeckt ihn. Man erinnert sich an seine Tannine, seine Duftstoffe, seine Materie, seine Struktur. Man analysiert seine Geruchspalette. Wie beim Wein wird eine Geschichte erzählt, erhält man Informationen über ein Terroir. Schliesslich arbeitet man bei den Kombinationen mit den Gerichten in Resonanz oder ergänzt sie, wie es ein Sommelier tut», so Baudry.


Früher musste sie Köche und Sommeliers überzeugen, nicht nur die klassischen Weinkarten anzubieten. Teemeisterin Valérie Peyre, die mit ihrem Unternehmen Tekoe dazu beigetragen hat, hochwertigen Tee in der Schweiz bekannt zu machen, bietet heute mit Chanoyu und seinen Premium-tees den grössten Schweizer Restaurants ihre verschiedenen Entdeckungen an: «Die jungen Köche und die neuen Sommeliers wagen mehr. Sie sind weiter gereist und offener dafür, etwas Neues anzubieten. Sie nehmen Rücksicht auf Menschen, die keinen Alkohol trinken und sich nicht mit stillem Wasser oder Sodawasser abspeisen lassen wollen.» Benoît Carcenat, mit zwei Sternen ausgezeichneter Chefkoch des «Valrose» in Rougemont, ist nach eigenem Bekunden kein Teetrinker. Aber auch er erkundet alle Nuancen, wenn es darum geht, den Geschmack zu sublimieren: «Tee hat eine riesige Geschmackspalette, die auf sehr subtile Weise die Aussage eines Gerichts enorm steigert.»