Die slowenin Andreja Ravnak wurde zur Reisefotografin des Jahres gekürt. Ihre Bilder fangen die Formen der Natur ein.
Husch, husch – sie hatte kaum Zeit, ihren Mantel auszuziehen, um sich in die Videokonferenz einzuloggen. Die Architektin kommt gerade von einem Termin auf der Baustelle des Büros Razvoj Vizije d.o.o., das sich auf öffentliche Gebäude spezialisiert hat. Später wird sie für die Zeitschrift «Digital Camera Slovenia» arbeiten, für die sie die Bilder und die meisten Texte liefert. Die 48-jährige Andreja Ravnak ist ein kreativer Tausendsassa. Davon zeugt auch der internationale Preis, den sie gerade als Fotografin gewonnen hat: den «TPOTY». Sie ist als Travel Photographer of the Year, Reisefotografin des Jahres, ausgezeichnet worden.
«Andreja Ravnaks fotografische Arbeit über die Agrarlandschaften Sloweniens, Italiens und Tschechiens offenbart eine märchenhafte Schönheit in Kombination mit einer Raumstruktur, die man von einer Architektin erwarten würde», erklärt Chris Coe, Mitbegründer der Trophäe. Die Künstlerin amüsiert es, dass man sie – jetzt, da sie berühmt ist! – für seltsame Veranstaltungen wie Preisverleihungen anfragt. Sie erzählt auch, dass sie mit ihrem 18-jährigen Sohn René, der ebenfalls Fotograf ist, in einer Wohnung in Celje, der drittgrössten Stadt des Landes, lebt. Eigentlich aber redet Andreja Ravnak nicht gerne. Zumindest nicht vorschnell. Lieber denke sie erst darüber nach, wie sie Dinge formuliere. Also notiert sie sich die Fragen für dieses Interview und beantwortet sie später schriftlich und mit akribischer Genauigkeit.
Was bedeutet Ihnen der Preis TPOTY?
Ich habe viele nationale und internationale Preise erhalten, aber dieser Preis ist aufgrund der Medienpräsenz, die er mit sich bringt, aussergewöhnlich. In Slowenien verbreitete sich die Nachricht rasend schnell in allen sozialen Netzwerken. So eine Sichtbarkeit bin ich nicht gewohnt. Diese Anerkennung berührt nicht nur mich als Person, sondern ist auch eine starke Inspiration für Fotografen wie mich: Alles ist möglich, wenn man seinem Herzen und seiner Leidenschaft folgt. Und ein bisschen Glück gehört natürlich auch dazu. Insgesamt fühle ich mich in meinen Entscheidungen bestätigt und nehme diese Auszeichnung als Herausforderung, neue kreative Projekte zu entwickeln.
Wie sind Sie zur Fotografie gekommen?
Ich hatte schon immer das Bedürfnis, den Lauf meines Lebens einzufangen und wertvolle Erinnerungen zu bewahren – vor allem, weil ich meinem Gedächtnis nicht recht über den Weg traue. Derzeit arbeite ich mit Fotoapparaten von Canon oder mit meinem Huawei-Telefon. Vor etwa 15 Jahren sah ein Geschäftspartner meine Arbeit, war beeindruckt und schlug mir vor, einem örtlichen Fotoclub beizutreten. Das war eine Herausforderung für mich, denn ich bin ein introvertierter Typ. Meine fotografische Reise begann, und der Club nahm an verschiedenen internationalen Ausstellungen teil, wobei ich für meine Fotografien mehrere Preise gewann.
Was war die wichtigste Lektion, die Sie daraus gelernt haben?
Meine erste grosse Auszeichnung, eine Goldmedaille der FIAP (Fédération Internationale de l’Art Photographique), erhielt ich für eine Aufnahme, die ich von meinem Balkon aus gemacht hatte. Sie zeigt die Schatten der Gartenmöbel. Was ich gelernt habe: Man muss nicht unbedingt um die Welt reisen. Ein starkes Foto erfordert vor allem Aufmerksamkeit für das, was uns umgibt, den Sinn für die Inszenierung und auch ein wenig Fantasie.
Die Preise haben also Ihren Horizont erweitert?
Auf jeden Fall! Meine fotografische Entwicklung war völlig spontan und ich betrachtete sie als kreatives Hobby. Meine Arbeit wurde durch Einladungen in Jurys, zu Ausstellungen und für Reisepreise geformt. Im Jahr 2011 lernte ich durch einen Preis und eine Ausstellung in den Emiraten tolle Menschen kennen. Diese Kontakte ermöglichten es mir dann, mehrmals nach Nordnorwegen zu reisen. Dann führte mich ein weiterer Fotowettbewerb in die Toskana.
Die Toskana ist nicht gerade Neuland …
Vor zehn Jahren schien es mir völlig unvorstellbar, mich mit einem Motiv zu beschäftigen, das schon so viel abgelichtet wurde, all die Menschenmassen vor den typischen Sehenswürdigkeiten. Ich war selbst überrascht, wie sehr ich diese Reise und die Gesellschaft der anderen Fotografen genoss. Die Landschaft faszinierte mich. Im Laufe der Jahre kehrte ich immer wieder dorthin zurück, mit demselben Team, aber zu unterschiedlichen Jahreszeiten. Nach all diesen Jahren bin ich immer noch in die Toskana verliebt, ihre Formen, ihre Farben, ihre Felder, die sich in die Hügel schmiegen.
Ihre Werke sind sehr grafisch.
Ich liebe nackte, frisch gepflügte Landschaften. Ähnliche Landschaften findet man auch in Südmähren, in der Tschechischen Republik. Ich bin immer bereit, mich für ein Abenteuer hinters Steuer zu setzen, wenn ich an Workshops in der Provence, im Baskenland, in den Dolomiten, in Montenegro oder in Südengland teilnehme. Meine Art zu sehen beinhaltet eine gewisse Distanz, auf der Suche nach Struktur, nach Poesie. Ich suche nach Details in der Ferne. Ohne mein Teleobjektiv wüsste ich nicht, wie ich eine Landschaft fotografieren sollte. Diese Perspektive verfeinert das Thema, betont die Geometrie und die Abstraktion, bringt Stimmungen und Emotionen zum Vorschein.
Hat dieser Blick etwas mit Ihrem Beruf als Architektin zu tun?
Ich habe es noch nie analysiert, aber meine Fotografenkollegen haben darauf hingewiesen, dass diese Verbindung offensichtlich ist. Ein Gefühl für Raum, Komposition, Licht. Ich erkenne zweifellos Schemata, Linien und Strukturen.
Welche persönliche Beziehung haben Sie zu den Landschaften, die Sie am liebsten fotografieren?
Ich bin vor allem von der Geologie unseres Planeten fasziniert. Ich bin sehr empfänglich für die Ästhetik von Wüsten, Erosionen, Klippen, Vulkanen … In Slowenien haben wir eine üppige Natur, die ich liebe und mit der ich mich eng verbunden fühle, aber sie inspiriert mich fotografisch nicht so sehr wie die Felder in der Toskana und in Mähren, die durch Erosionen geformt werden. Sie bilden die charakteristischen Wellen, die mich so berühren.
Gibt es eine Umweltbotschaft in Ihrer Arbeit?
Einen Teil meines Lebens habe ich auf dem Land verbracht. Ich weiss, wie wichtig das Land für die Produktion gesunder und nahrhafter Lebensmittel ist. Ich kenne die Probleme der Kleinbauern, die mit grossen Industriekonzernen und neuen Technologien konfrontiert sind. Slowenien ist ein Land, das sich selbst ernähren könnte, mit einer Bevölkerung, die weit verstreut auf dem Land lebt, in der Nähe von Feldern und Gärten. Aber das ist nicht die Geschichte, die die grosse Agrarindustrie erzählt.
Erzählen Sie von Ihrer Kindheit.
Ich wuchs bei meiner Mutter auf dem Land auf, mein Vater starb, als ich noch sehr jung war. Ich war als Kind immer an der frischen Luft und spüre noch immer diese aussergewöhnliche Verbindung zwischen Mensch und Natur. Wahrscheinlich habe ich die kreative Ader meiner Mutter geerbt: Ich habe viel gemalt, geschrieben und gebastelt. Das hat auch meine Berufswahl beeinflusst. Die Architektur bietet diese wunderbare Mischung aus Kreativität und technischem Können. Von meinem Vater habe ich sicherlich meine Leidenschaft für den Sport geerbt. Mit 30 Jahren habe ich mit Karate begonnen und habe den schwarzen Gürtel. Ich bin auch sehr aktiv im Bogenschiessen.
Wie bringen Sie Ihre verschiedenen Tätigkeiten unter einen Hut?
Das Architekturbüro, in dem ich arbeite, realisiert vor allem öffentliche Projekte wie Schulen, Sportanlagen und Spitäler. So leiste ich einen Beitrag zur Gesellschaft. Die Arbeit ist flexibel und lässt mir Zeit für meine Hobbys und Leidenschaften. Ich bin etwa Bildmanagerin der slowenischen Ausgabe der Zeitschrift Digital Camera geworden, für die ich auch viele Inhalte in gedruckter Form und auf der Website beisteuere. Ausserdem leite ich Fotoworkshops, arbeite mit einer Seniorengruppe an der Seniorenuniversität, halte gelegentlich Vorträge und organisiere im Rahmen des Fotoclubs eine Vielzahl von Wettbewerben und Ausstellungen … Ich gehe sehr spontan vor und habe keine Ahnung, was die Zukunft für mich bereithält. Ich weiss es zu schätzen, dass ich in einer Gesellschaft lebe, die mir diese Freiheit lässt – auch als Frau. Da ich aber Spass und Arbeit miteinander vermische und keinen Zeitplan habe, arbeite ich am Ende immer. Das erfordert Disziplin und Ressourcen.
Wohin geht die nächste Reise?
Im September ist eine Reise nach Chile und Bolivien geplant, auf die ich mich schon sehr freue. Dann steht Kasachstan auf meiner Wunschliste, vielleicht im Jahr 2025. Wie immer: weite Landschaften, Felsen und Steilhänge.