Halb Vase, halb Skulptur: Keramik von Linck mäandert an der Grenze zur Kunst. Gefertigt werden die Liebhaberstücke seit den 40er-Jahren in der nähe von Bern.
An Margrit lincks Hände erinnert sie sich noch genau: rau waren sie, mit feinen Rissen durchzogen, wie Sommererde, wenn lange kein Regen gefallen ist. Ausgetrocknet vom Ton, den sie nach ihren Entwürfen geformt hat – zu Vasen, Schalen, Lampen und Kerzenhaltern, die auch 80 Jahre später noch Liebhaberstücke sind.
«Als ich Kind war, hat Margrit einmal meine Hände in ihre genommen und gesagt: Mach was aus ihnen, sie sind voller Kraft!», erzählt Annet Berger. Der Moment ist ihr geblieben. Die 47-Jährige ist seit 2011 Inhaberin und Kreativdirektorin von Linck-Keramik, in dritter Generation. «Ich habe das Geschäft von meiner Tante übernommen, sie war die Schwiegertochter von Margrit Linck.» Jene Berner Visionärin, die seit den 40er-Jahren Keramik angefertigt hat, die mehr Kunst als Gebrauchsgegenstand ist, deren skulpturale Formen sich genauso gut auf der heimischen Fensterbank machen wie in Galerien. Eine emanzipierte, starke Frau, die sich im Dunstkreis von MirÓ und Giacometti bewegte – und deren Werke damals dennoch von den Skulpturen ihres Ehemannes überschattet wurden. «Die Schnittstelle zwischen Kunst und Design ist bei Margrits Entwürfen sehr gross, der Grad an Perfektion herausfordernd», sagt Berger.
Die geometrischen Objekte werden auch heute noch kunsthandwerklich hergestellt, in einer ehemaligen Hammerschmiede in Worblaufen bei Bern. In hohen Industriefenster bricht sich das Sonnenlicht, hinter dem Gebäude gurgelt die Aare.
An einer Drehscheibe zieht Keramikerin Debora gerade Modell V18 hoch. Die Objekte entstehen stets in Kleinserien von 20 bis 30 Stück, aus Einsiedler Ton, der nach dem Brennen eine poröse Struktur hat. Wumms! Ein runder Klumpen knallt mit Karacho auf die Scheibe, wird mit Wasser angefeuchtet, damit er schön weich und formbar bleibt. Mit jeder Drehung nimmt der Batzen mehr Gestalt an, bilden sich unter dem Druck von Deboras Händen ein kantiger Bauch und runder Hals heraus. Freischwingende, horizontal angebrachte Nadeln, die an Mikadostäbchen erinnern, dienen dabei als Richtlinie. Sie zeigen die vorgegebene Höhe des jeweiligen Stücks an, «aber ganz viel ist auch Intuition und Erfahrung», so die Keramikerin.
Der letzte Schliff
Nachdem der Ton ein bis zwei Tage angetrocknet ist, wird das Modell in einem «lederharten» Zustand abgedreht. Was so viel heisst: Es erhält den letzten Schliff. Mit Metallschlingen wird überschüssiges Material abgenommen, Kanten werden mit einem nassen Schwämmchen abgerundet, sämtliche Flächen noch einmal nachbearbeitet. Nach einem letzten «Verschwammen» und rund zwei Wochen Trockenzeit heisst es dann: Ab in den Ofen! Bei 980 Grad kommen die Vasen rund sieben Stunden in den Vorbrand. Anschliessend übernimmt Werkstattleiterin Nathalie – sie ist aufs Glasieren spezialisiert. Mit einer Spritzpistole und Schutzbrille ausstaffiert trägt sie die Glasur auf. Schön gleichmässig, damit es auch ja keine Unebenheiten gibt. «Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Unsere Formen haben viele Stellen, die schwer zu erreichen sind aufgrund der unterschiedlichen Winkel», erklärt Nathalie. Bei einem letzten Brennvorgang verschmelzen die trockenen Pigmente.
Durch die Hitze im Brennofen ändert sich die Farbe des Tons von greige zu ziegelrot. Anschliessend folgt die Glasur, die mit einer Spritzpistole aufgetragen wird.
Von wenigen schwarzen Stücken abgesehen produzierte Gründerin Margrit Linck fast ausschliesslich weisse Keramik, die Form sollte für sich sprechen. Seitdem Annet Berger die Manufaktur führt, kommen ab und an neue Farben hinzu: Puderrosa, Karbonblau und ganz neu Trench, ein heller Beigeton – für die Winterausstellung in Bern. Alles limitierte Editionen, die oftmals im Rahmen von Kooperationen entstanden sind.
«Wir haben mit Modehäusern wie Roksanda Ilincic, Matches Fashion oder Birkenstock zusammengearbeitet», erzählt Berger. Sie selbst hat der Modebranche, für die sie früher gearbeitet hat, den Rücken gekehrt. «Die Mode ist immer schnelllebiger geworden, mich fasziniert die Langlebigkeit von Dingen. Seitdem ich ein Kind war, fesseln mich die Entwürfe von Linck – selbst 30 Jahre später langweilen sie mich nicht.» Dass Handwerkskunst derzeit wieder eine Blüte erlebt, spielt ihr dabei in die Hände. Jene, denen Margrit Linck einst besondere Fähigkeiten vorausgesagt hat.
Annet Berger
Die gebürtige Bernerin führt das Familienunternehmen seit 2011 in dritter Generation. Zuvor sorgte ihre Tante dafür, dass die Entwürfe von Gründerin Margrit Linck bewahrt und in die Zukunft geführt wurden. Berger beschreibt ihren Lebenslauf als den «einer Suchenden».
Die 47-Jährige arbeitete früher in der Mode und im Bereich Interior Design,absolvierte einen Nachdiplomstudiengang in Design, Art und Innovation. Am meisten fasziniert sie im Leben «das Dazwischen» – auch in der Keramik. Die Winterausstellung findet vom 15. – 23.12. im Berner Marzili statt.
www.linck.ch