Laut, flach und kompromisslos war gestern: Sportliche Traditionsautomarken wie Maserati setzen vermehrt auf elektrische Alleskönner.

Ein Knistern liegt in der Luft. Der Blick schweift über das elegant geschwungene Armaturenbrett und bleibt kurz am majestätischen Dreizack auf dem Pralltopf des Lenkrads hängen, bevor der linke Daumen den Motorstart aktiviert. Es folgt: nichts. Die Displays leuchten auf, aber das, woran sich die Fahrzeuge aus Modena jahrzehntelang selbst bei geschlossenen Augen erkennen liessen, was den Fahrer zum Dirigenten eines einzigartigen 6- oder 8-Zylinder-Orchesters machte und wofür man auch gerne den Unmut der Nachbarn in Kauf nahm, bleibt aus. Einzig der Beiname, der die neue, vollelektrische Version des Maserati Grecale kennzeichnet, hat einen schönen Klang: Folgore, übersetzt Blitz. Es ist offenbar ein Blitz ohne Donner.


Dass sich die Welt in den 110 Jahren, seit es die Marke gibt, verändert hat, hört man aber nicht nur. Aus der erhöhten Sitzposition heraus sieht man es auch. Vorbei sind die Zeiten, in denen der stolze Kühlergrill ausschliesslich Coupés, Cabrios und Limousinen zierte. Wie fast alle Sport- und Luxusautohersteller, seit es Porsche vor 22 Jahren mit dem Cayenne vormachte, baut Maserati mittlerweile auch sportlich-luxuriöse Allradler mit mehr Bodenfreiheit, Allradantrieb und gewissen Offroad-Qualitäten. Und wie bei allen, die ihrem grossen SUV noch einen kompakteren Bruder zur Seite gestellt haben, dominiert der kompakte. Zwei Jahre nach seiner Markteinführung ist der Grecale bereits der meistverkaufte Maserati der Schweiz: 2023 wurden hierzulande 364 Exemplare verkauft, während es vom grösseren Levante nur 72 waren.


Gute Übersicht, leichtes Einsteigen und viel Platz für einen Wochenendausflug in die Berge auf der einen Seite, höhere Margen und bessere Profitabilität auf der anderen Seite – die Gründe für den SUV-Boom sind vielfältig. In den meisten Märkten beträgt ihr Anteil bei den Neuwagen bereits 40 Prozent oder mehr. In den nächsten zwei Jahren sollen die weltweiten SUV-Zulassungen von 32 auf 35   Millionen Fahrzeuge steigen. «Wer keinen SUV im Modellangebot hat, ist als Autobauer nicht mehr ernst zu nehmen», sagt der deutsche Branchenkenner Ferdinand Dudenhöffer.


Dass die Klimadebatte oft in Zusammenhang mit den SUV gebracht wird, hat den Boom bislang nicht gebremst, wohl aber deren Elektrifizierung beschleunigt. Ein kleines, leichtes Elektroauto wäre gewiss die ökologischere Wahl, doch hat die Karosserieform auch Vorteile: Indem sie mehr Platz für grössere Akkupakete bietet, erlaubt sie Reichweiten von 500   Kilometern und mehr. Umgekehrt begünstigt der Elektroantrieb bei SUV die Fahrdynamik, weil die schweren Akkus im Unterboden den naturgemäss hohen Fahrzeugschwerpunkt senken und das aus dem Stand verfügbare Drehmoment für gute Beschleunigungswerte sorgt. So braucht der Grecale Folgore mit seinen 820   Newtonmetern 4,1   Sekunden für den 0-auf-100-Sprint und damit nur 0,2 Sekunden länger als die Version Trofeo mit V6-Biturbo.

Das Rennen ist veröffnet

Während Ferrari beim Purosangue vorerst noch am Verbrennungsmotor festhält – ein E-Antrieb wäre wohl zu viel des Tabubruchs, nachdem der frühere Konzernchef Sergio Marchionne einen SUV stets ausgeschlossen hatte («Nur über meine Leiche!») –, schwimmen andere sportliche Traditionsmarken schon mit dem Strom.

Lotus, mehr als sieben Jahrzehnte lang Synonym für kleine, leichte Sportwagen, präsentierte 2022 seinen ersten SUV, der zugleich sein erstes Elektroauto ist. Über 900 PS Leistung und die Bezeichnung «Hyper-SUV» machen deutlich, dass der Eletre kein Ökomobil sein will, sondern SUV-typisch praktisch – und dabei irre schnell. Polestar, einst die Rennsportabteilung von Volvo, ist mittlerweile eine eigenständige Elektroautomarke und bringt gleich zwei E-SUV an den Start: den Polestar 3 und den coupéartigen Polestar 4.

Alfa Romeo steigt mit dem Milano ins Rennen ein. Porsche hat sogar entschieden, die zweite Generation des Bestsellers Macan alternativlos als Stromer anzubieten und damit «auf ein völlig neues Niveau» anzuheben. Premiumhersteller wie BMW, Audi und Mercedes sind sowieso längst mit von der Partie. Der Maserati Grecale Folgore befindet sich in bester Gesellschaft.


Allein am Sound soll es übrigens nicht scheitern: Auf Knopfdruck lässt sich ein softwaregenerierter Motorsound aktivieren, der das Zylinderorchester von einst imitiert. Aber warum sollte man? Wer es beim leisen Surren der E-Motoren belässt, lauscht der Zukunftsmusik. Vor allem aber haben die Nachbarn nichts davon. Zu hören ist der synthetische Motorsound nämlich nur im Innenraum.