Coachbuilding - Das anfertigen einer individuellen Karosserie - erlebt derzeit ein Revival. Bitte anschnallen!

Ein Castello erhebt sich über dem pittoresken Dorf. Doch die Aufmerksamkeit der Touristen gilt etwas anderem: dem offenen Zweisitzer auf der Piazza davor – mit sinnlichen Rundungen, wie sie nur ein Carrozziere skulpturiert haben kann. Und einem kristallenen Emblem, das selbst Kenner keiner bekannten Marke zuzuordnen wissen. Der Reihensechszylinder erwacht, die Passanten verstummen. Und plötzlich ist alles nur noch Strasse, Wind, Motorenmusik, Dolce Vita. Fast wähnt man sich in den 1950ern. Allerdings nur fast. Die Antriebstechnik stammt von einem modernen «BMW Z4», und aus der Mittelkonsole ragt ein Display mit Navigation. Der «Ares Wami Lalique Spyder» zeugt von einer Zeit, die es niemals gab. Ein Traumauto im wahrsten Sinne des Wortes.


Gebaut wurde das Sehnsuchtsmobil in der als «Terra di Motori» bekannten Emilia-Romagna. Die Historie alteingesessener Marken wie Ferrari kann der 2014 vom Schweizer Ex-Lotus-Chef Dany Bahar mitgegründete Boutique-Hersteller Ares Modena nicht vorweisen, in puncto Exklusivität spielt er aber vorne mit. Auf 25  000 Quadratmetern entstehen jährlich nur gerade 280 Fahrzeuge, darunter auch zweirädrige. Dem aus der Gründerzeit des Autobaus bekannten Coachbuilding-Prinzip folgend, werden auf Basis bestehender Chassis (Fahrgestelle, Anm. d. Red.) neue Karosserien aus Carbon geformt. So entstehen kostbare Unikate. Oder, wie in diesem Fall, Kleinserien von zwölf Stück.

Funkelndes Kristall

Während die meisten Modelle im Kundenauftrag gebaut werden, resultiert der Spyder aus einer aufsehenerregenden Kollaboration: Silvio Denz, Schweizer CEO des französischen Kristallimperiums Lalique, sah in dem Retro-Roadster die perfekte Gelegenheit, das Werk von Firmengründer René Lalique fortzuführen, der in den 1920ern einige der ikonischsten Kühlerfiguren schuf. In der Folge wurden insgesamt 13 handgefertigte Kristallobjekte mit berühmten Motiven wie «Masque de Femme» in Karosserie, Räder und Interieur eingearbeitet. «Ein Meisterwerk, das ultimativen Luxus verkörpert», freut sich Denz über das Ergebnis, das demnächst für 445  000 Euro an die ersten Käufer ausgeliefert werden soll. Zuzüglich Steuern, versteht sich.


Die Nachfrage ist vorhanden. Laut Ares Modena besteht die Schwierigkeit einzig und allein darin, zu bestimmen, welche von den mehr als 50 Interessenten ein Exemplar erhalten. Erstaunlich ist das nicht. Denn während die Massenhersteller noch immer unter den Folgen der Coronapandemie und der Chipkrise leiden, brummt das Luxusautogeschäft. Rolls-Royce, Bentley, Ferrari, Lamborghini, Bugatti – sie alle meldeten 2022 finanzielle Rekordergebnisse. Eine Trendwende ist nicht in Sicht; Experten gehen davon aus, dass der Markt bis 2030 zweistellig pro Jahr wächst.

Sonderanfertigungen boomen

Besonders profitabel sind dabei jene Fahrzeuge, die wie bei Ares Modena nicht bloss nachträglich personalisiert, sondern im engen Kundendialog individuell entwickelt werden. Wie Mitte des 19.   Jahrhunderts, als das Coachbuilding vor allem in Grossbritannien Hochkonjunktur hatte – bevor Henry Ford Autos am Fliessband herstellen liess. Entsprechend unterhält mittlerweile fast jeder High-End-Autobauer eine Abteilung für Sonderanfertigungen. So entstand bei Rolls-Royce das auf vier Stück limitierte Cabriolet «Droptail», das mit dem Namenszusatz Amethyst zum violetten Unikat mit dem grössten Holzdeck der Markengeschichte wurde. In typisch britischer Manier schweigt man sich über den Preis aus, in Fachkreisen wird von einem Betrag im hohen Zehnmillionenbereich gemunkelt.

Das limitierte Cabrio Droptail von Rolls-Royce wurde im August in der version Amethyst präsentiert.


Als «Statement für Innovation und Nachhaltigkeit» stellte Maserati Anfang November dieses Jahres den «GranTurismo One Off Luce» vor, einen Elektrosportwagen mit verspiegeltem Aussenkleid und nachhaltigem Interieur. Das «One Off» bedeutet, dass es davon nur ein einziges Exemplar gibt.

Beim Gran Turismo One Off Luce von Maserati ist das Äussere lasergraviert und spiegelverchromt.

Ebenso einmalig ist der auf Basis des ohnehin schon exorbitant teuren «Bugatti Chiron Super Sport» erstellte «Golden Era», dem die Designer 45 Skizzen mit Motiven aus der Markenhistorie von Hand auf die Karosserie zeichneten – laut eigenen Angaben das anspruchsvollste Projekt, das die Individualisierungssparte «Sur Mesure» je umzusetzen hatte. Der Auftrag kam von einem Bugatti-Sammler, der die Geschichte des Zwölfzylindermotors honorieren wollte.

Der Bugatti Chiron Super Sport Golden Era ist das Ergebnis von zwei Jahren innovativer Handwerkskunst.

Die Optik zählt

Allen Beispielen gemeinsam ist, dass Technik und Leistung in den Hintergrund rücken. In Zeiten, in denen ein Tesla «ab der Stange» über Tausend PS leistet, setzen Exklusivität und Handwerkskunst einen Kontrapunkt zum industriellen Luxus. Und wenn dann noch ein Kenner vor dem Fahrzeug stehen bleibt und darüber rätselt, wo er es einordnen soll: unbezahlbar!