
Stararchitekt Norman Foster zeigt in Venedig, wie Mobilität in einer Stadt neu gedacht werden kann. Ein Gespräch über seine Vision für die Zukunft.
Der Himmel über Venedig greint. Die Gäste müssen die Installation, die aus einer Zusammenarbeit der Architekten der Norman Foster Foundation und den Designern von Porsche hervorgegangen ist, im Regen begutachten. Die Besichtigung wird verkürzt, die Reden werden verschoben, gerade rechtzeitig, um die Abendkleider und Smokings vor dem Schlamm und Kies des Arsenals zu bewahren. Ungeachtet der erzwungenen Eile hinterlässt die Installation einen bleibenden Eindruck. «Gateway to Venice’s Waterways» (Tor zu Venedigs Wasserwegen) ist ein architektonischer Diskurs über einen nachhaltigen städtebaulichen Wandel, der zu mehr elektrischer Mobilität einlädt.
Das Arsenal ist ein riesiger Komplex ehemaliger Werften, der zu einem Ausstellungsraum umgebaut wurde. Dort findet derzeit die 19. Architekturbiennale (bis zum 23. November) zum Thema «Intelligens. Natural. Artificial. Collective» statt. Die vier englischen Wörter bedürfen keiner Übersetzung, sie stehen für die Herausforderungen, vor denen Städte heute stehen. Mehr als 750 Teilnehmer aus aller Welt präsentieren experimentelle Projekte und innovative Installationen, verwandeln die Stadt in ein gigantisches Labor für Klimafragen.
Unter ihnen Stararchitekt Norman Foster, elegant gekleidet in einen beigefarbenen Anzug und einen schwarzen Rollkragenpullover. Die Einladung des Automobilherstellers Porsche, der über die Neugestaltung der Mobilität von morgen nachdenkt, ging an die richtige Person: Foster, einen begeisterten Autofan und Sammler aussergewöhnlicher Modelle. Der Pritzker-Preisträger, eine der wichtigsten Persönlichkeiten der internationalen Architektur, trifft sich mit der Presse im Palazzo Pisani Moretti, einem opulenten Barockpalast aus dem 15. Jahrhundert mit Blick auf den Canale Grande. Das Gebäude wurde kürzlich von Dries Van Noten erworben.
Wie Fosters Werk flösst auch seine Präsenz Respekt ein. Dem 90-Jährigen verdanken wir symbolträchtige Bauwerke wie die Kuppel des Reichstags in Berlin oder den Hauptsitz von Apple in Kalifornien, der in Zusammenarbeit mit dem verstorbenen Apple-Gründer Steve Jobs entworfen wurde. Als Visionär betont Foster, wie wichtig es ist, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in einer historischen und ganzheitlichen Perspektive miteinander zu verbinden, im Einklang mit der Natur. «Um sich die Zukunft vorzustellen, muss man zuerst weit zurückblicken», meint er. Für den britischen Lord haben Architektur, Design und Stadtplanung einen direkten Einfluss auf unsere Lebensqualität. Der aufgeklärte Geist inspiriert weiterhin den Dialog über die Entwicklung unserer Städte und unserer Umwelt.
Ihre Installation mit Porsche ist eine Reflexion über die Mobilität der Zukunft.
An der Schnittstelle zwischen Design und Architektur erinnert die 37 Meter lange Installation an die zahlreichen Brücken der Stadt und reagiert auf die aktuellen Herausforderungen der Verkehrssituation in Venedig. Dieser schwimmende, wellenförmige Ponton aus Aluminium bildet eine Brücke zur E-Mobilität. Er schlägt vor, eine Verbindung zu neuen elektrischen Transportmitteln auf dem Wasser herzustellen, wie zum Beispiel Wasservelos, einer Mischung aus Gondel und Wassertaxi, und Booten mit 100 Prozent elektrischem Antrieb. Indem wir nachhaltige Mobilität auf dem Wasser als Modell für die Zukunft untersuchen, wollten wir eine urbane Innovation schaffen, die die Vergangenheit respektiert und die Zukunft begrüsst.

Warum interessiert Sie gerade die Zukunft der Mobilität?
Die Architekturbiennale in Venedig ist meiner Meinung nach eine grossartige Gelegenheit, zu experimentieren, zu erforschen und Diskussionen anzuregen. Mobilität ist in vielerlei Hinsicht der Schlüssel zu Städten. Städte wiederum sind der Schlüssel zum Klimawandel. Historisch gesehen gab es eine Zeit, in der Städte extrem schmutzig waren, voller Tiere und Pferdemist. Das Auto hat die Städte gewissermassen «gesäubert». Heute stehen wir meiner Meinung nach in Bezug auf Mobilität und Klimawandel vor einer Revolution, und alles, was diese Debatte anregen kann, ist zwangsläufig positiv. Das Thema der diesjährigen Biennale ist die Idee eines Portals. Wir haben dies als symbolische Brücke, als Wasserstrasse, als Plattform verstanden. Anhand unserer modellierten Projekte haben die Studierenden von Porsche eine sanftere und leisere Art der Fortbewegung auf dem Wasser veranschaulicht: die nautische Mobilität. Die Idee, dass man wie an Land in die Pedale treten könnte. Es gibt auch eine elektrische Version des Wasservelos, aber diese wurde von den Behörden nicht zugelassen, da sie als zu schnell eingestuft wurde.
Welche Städte sind in Bezug auf Architektur und Mobilität am nachhaltigsten?
Dabei müssen mehrere Faktoren berücksichtigt werden. Städte mit geringem CO2-Fussabdruck fördern Fussgänger und das Leben in der Nachbarschaft: also traditionelle, kompakte, fussgängerfreundliche Städte. Ich denke dabei vor allem an ein europäisches Modell, im Gegensatz zu der weitläufigen, vom Auto abhängigen Stadt. Denken Sie an New York im Vergleich zu Los Angeles. Venedig ist ein aussergewöhnliches Beispiel für eine extrem fussgängerfreundliche Stadt.
Die Auswirkungen der Autos sind also klar…
In Bezug auf den CO2-Fussabdruck verbraucht eine fussgängerfreundliche Stadt nur halb so viel Energie wie eine weitläufige Metropole. Zwei Forscher der Universität Berkeley haben eine Karte der Ostküste der Vereinigten Staaten erstellt, auf der die Farben den CO2-Fussabdruck anzeigen: Rot und Orange für die höchsten Werte, Dunkelgrün für die niedrigsten. Auf dieser Karte ist fast das gesamte Gebiet rot, gelb, orange … bis auf einen kleinen dunkelgrünen Fleck: Manhattan. Obwohl jeder denkt, dass eine sehr dichte und vertikale Stadt viel Energie verbraucht, sagen die Daten etwas anderes.
Diese Städte sind auch bei Reisenden besonders beliebt.
Laut Umfragen stehen kompakte und fussgängerfreundliche Städte an der Spitze der Rangliste, sowohl bei Touristen als auch bei den Bewohnern. Ausserdem sind sie aus Sicht des Umwelt- und Biodiversitätsschutzes effizienter – siehe das Beispiel Singapur. Ein weiterer wichtiger Aspekt: Diese Städte erweisen sich als gerechter und offener für eine diverse Bevölkerung, was die soziale Segregation verringert. Ich denke zum Beispiel an Wien. Österreichs Hauptstadt hat im Bereich des sozialen Wohnungsbaus viel Neues geschaffen.

Das Thema der diesjährigen Biennale konzentriert sich auf die aktuelle Debatte um künstliche Intelligenz. Glauben Sie, dass KI die Berufe des Architekten und des Designers verdrängen wird?
Das ist in etwa so, als würde man sagen, dass man sich nicht mehr treffen muss, weil die Technologie Videokonferenzen ermöglicht. Oder dass Take-away-Bestellungen Restaurants verdrängen werden. Tatsächlich glaube ich, dass KI langfristig die menschliche Erfahrung des Zusammenkommens stärken wird, denn nichts kann den persönlichen Kontakt ersetzen. Wir sind soziale Wesen. Das wurde während der Coronapandemie deutlich, als wir einen Boom bei Mahlzeiten im Freien und eine stärkere Verbindung zur Natur erlebten. Künstliche Intelligenz ist nichts Neues. Sie entwickelt sich weiter, wird leistungsfähiger, ersetzt aber nicht den menschlichen Faktor. In der Architektur beispielsweise ist die Chemie zwischen den Kunden und den Nutzern eines Gebäudes von grundlegender Bedeutung. Es wird viel über KI gesprochen, aber letztlich leben wir in einer physischen Welt. Man kann zwar eine Virtual-Reality-Brille aufsetzen, aber lebt nicht in einer virtuellen Welt: Man sitzt auf einem Stuhl, steht in einem Raum, bewegt sich auf dem Wasser oder auf dem Land. Als Designer habe ich mich schon immer für neue Technologien interessiert, weil sie völlig neue Möglichkeiten bieten. Innovation ist immer eine Chance, aber man muss sie bewusst nutzen.
Die Welt dreht sich gefühlt immer schneller. Hat diese Schnelllebigkeit auch Auswirkungen auf die Architektur?
Es mag paradox erscheinen, aber die einzige Konstante im Leben ist der Wandel. Und die Geschichte der Architektur ist in vielerlei Hinsicht die Geschichte der Technologie. Design und Architektur sind Antworten, die darauf abzielen, die Lebensqualität zu verbessern und konkrete, nachhaltige und menschliche Lösungen in sehr unterschiedlichen Kontexten zu bieten, von den Slums in Afrika bis zu den europäischen Städten. Ja, wir erleben eine Beschleunigung des Wandels, aber wenn wir einen Schritt zurücktreten und eine historische Perspektive einnehmen, werden wir uns dieser aussergewöhnlichen Fortschritte bewusst. Wir halten es beispielsweise für selbstverständlich, dass wir nur einen Schalter betätigen müssen, um Licht, Wärme oder Kühle zu erhalten. All diese heute selbstverständlichen Dinge sind jedoch relativ neu.
Technologische Durchbrüche sind also durchweg positiv?
Natürlich gibt es immer auch eine Kehrseite der Medaille. Nehmen wir zum Beispiel die Kernenergie: Sie ist die sauberste und sicherste Energieform. Aber die Kehrseite ist die Atombombe. Die Kehrseite der Elektrizität ist der elektrische Stuhl. Und die Kehrseite der Impfung ist der bakteriologische Krieg. Es gibt immer diese beiden Aspekte, aber ich denke, wenn man das Gesamtbild betrachtet, ist der Fortschritt insgesamt positiv.
Gibt es einen Norman-Foster-Stil, oder ist jedes Projekt völlig anders?
Ich würde sagen, dass meinen Projekten eine Philosophie zugrunde liegt, Werte und Prinzipien, aber ich schätze das Fehlen eines definierten Stils. Für mich steht die Idee eines bestimmten Stils für etwas Universelles, das überall angewendet werden kann. In Wirklichkeit machen jeder Standort, jeder Auftrag, jede Beziehung zum Bauherrn und die damit verbundenen kulturellen Aspekte jedes Projekt zu einem Unikat. Das ist es, was mich fasziniert.

Wie gross ist Ihr Spielraum?
In der Regel erklärt der Bauherr, was er möchte, und der Architekt präsentiert seine Vision des Projekts. In einem zweiten Leben würde ich gerne Botschafter werden, um zu lernen zu überzeugen. Und in Abendkursen würde ich zeichnen lernen, aber meine Hauptaufgabe ist es eigentlich, den Kunden zu überzeugen.
Können Sie ein symbolträchtiges Projekt in diesem Sinne nennen?
Die Renovierung des Reichstags in Berlin! Als ich vorschlug, die Öffentlichkeit auf eine Plattform steigen zu lassen, um die Aussicht auf die Stadt zu geniessen und die Politiker von oben zu beobachten, antworteten einige: «Wer will schon auf das Dach des Parlaments gehen?» Und als ich vorschlug, dort ein Restaurant einzurichten, sagten sie: «Warum sollten die Leute dort einen Kaffee trinken wollen?» Aber nach und nach hat sich die Idee der Nähe durchgesetzt. Das Interessante an diesem Fall ist, dass Politiker darauf trainiert sind, unterschiedlicher Meinung zu sein. Hier mussten sie sich ausnahmsweise einmal einig sein. Und überraschenderweise – das ist gelebte Demokratie – haben sie alle für das Projekt gestimmt.
Was für ein Perspektivwechsel!
Letztlich ist Kommunikation der Schlüssel. Heute ist der Reichstag in Berlin mit mehreren Millionen Touristen pro Jahr das meistbesuchte Parlament der Welt.

