Puppenstil, übertriebene Details, unverhältnismässige Silhouetten... Eine Analyse des cartoonartigen Trends, der an den Geometrieunterricht erinnert.

Die Geschichte der Kleidung besteht aus einem langen Dialog zwischen Notwendigkeit, Technik und Wunsch. Früher war die Funktion eines Kleidungsstücks klar. Es schützte vor Kälte, signalisierte einen Rang oder war an die Arbeit angepasst. Dann wurde es zum Ausdrucksmittel, ja sogar zum Experimentierfeld. Von antiken Gewändern über Korsetts des 19. Jahrhunderts bis hin zur barocken Üppigkeit und revolutionären Schlichtheit der 1990er-Jahre schwankte die Mode stets zwischen Komfort und Zwang.

Heute scheinen Technologie und Spektakel die Oberhand zu gewinnen. Futuristische Materialien, übertriebene Volumen, versteckte Verschlüsse, skulptural konstruierte Silhouetten … Ein Fortschritt oder eine verschleierte Rückkehr zur Abhängigkeit von der Kleidung? Bei einigen Kollektionen fragt man sich: Wie lange braucht man, um diese komplexen Outfits, die wahre Stoffrüstungen sind, anzuziehen?

Micky Maus und Rollenspiele

Paradoxerweise gilt: Je kreativer die Kleidung ist, desto mehr neigt sie dazu, die Person, die sie trägt, zu verschleiern und sie zu einer Figur zu machen. Seit einigen Jahren ist zu beobachten, dass dieser Trend nicht nur von sogenannten Konzeptmarken wie Comme des Garçons ausgeht. Auf den Laufstegen wie in den sozialen Netzwerken werden Körper zu Trägern für Looks, die von Figuren aus Zeichentrickfilmen inspiriert sind: Micky-Maus-Schuhe bei Coperni (Sommer 2025), ein Schwimmringkleid bei Duran Lantink, ganz zu schweigen vom Designer Jonathan Anderson, der in seinen letzten Jahren als Kreativchef bei Loewe alle Proportionen der Kleidung auf die Spitze trieb, sie vergrösserte und verkleinerte. Die Rechnung ging auf, denn während seiner Amtszeit erlebte das Haus einen explosionsartigen Anstieg seiner Popularität – und seiner Verkaufszahlen.

Für manche Designer sagt Kleidung nicht mehr: «Das bin ich», sondern: «Das ist meine Rolle». Schliesst sich also der Kreis? Nachdem wir hart erkämpft haben, uns selbst kleiden zu dürfen, brauchen wir dann wie in der viktorianischen Zeit ein ganzes Team, das uns wieder beim Einkleiden hilft?

Rechteck

Für ihre Herbst-/Winterkollektion 2025 hat die Gewinnerin des LVMH-Preises 2024, Ellen Hodakova Larsson, in Paris eine äusserst kreative Kollektion inszeniert, bei der Tamburine zu Röcken, Kontrabässe zu Kleidern und Musiksaiten zu skulpturalen Käfigen verwandelt wurden. Ein Kontrast zwischen Freiheit und Einschränkung des Körpers, alten Materialien und neuen Silhouetten … Dennoch ist es für das Publikum immer ein peinlicher Moment, wenn ein Model mit grossen Schwierigkeiten über den Laufsteg stakst …

Raute

Die japanische Designerin Rei Kawakubo präsentiert mit «Smaller is Stronger» eine Kollektion mit 20 Silhouetten, die die Zwänge darstellen, denen Frauen in der Arbeitswelt ausgesetzt sind. «In letzter Zeit hatten wir das Gefühl, dass grosse Unternehmen, kulturelle Institutionen und globale Strukturen gar nicht so grossartig sind. Auch kleine Unternehmen haben einen grossen Wert. Das Kleine kann mächtig sein», sagte sie am Ende ihrer letzten Modenschau. Mit skulpturalen Formen aus gelayerten Kleidern und übertriebenen Silhouetten demonstriert die japanische Designerin ihre Dominanz und setzt sich weiterhin für eine freie und politisierte Mode ein.

Kreis

Seit nunmehr drei Saisons erkundet Marc Jacobs die Proportionen der Kleidung mit einem ausgeprägten Puppenstil. Ultrakurze Kleider in Bubble-Form, betonte Taillen, bauschige Ärmel oder XXL-Schultern – die Kreationen wirken wie Spielzeuge, die zum Leben erwacht sind. Einige Stoffe sind so steif, dass die Trägerin ihre Arme nicht bewegen kann. Die bunten Punkte auf den Gesichtern verstärken den statuenhaften Eindruck. Die Accessoires scheinen direkt aus Minnie Maus’ Kleiderschrank zu stammen. Ist das Satire oder eine Aussage über das Amerika von Donald Trump? Die Kollektion mit dem Titel «Courage» trägt ihren Namen jedenfalls zu Recht.

Dreieck

Bei der vergangenen Modenschau von Thom Browne wurden 64 Looks unter 2000 weissen Origami-Kranichen präsentiert, die Frieden symbolisierten. Die Fähigkeit zur Verwandlung, Flucht und Träume standen im Mittelpunkt der Kollektion. Mit Vogelmotiven bestickte Kleider und Federn an den Wimpern der Models liessen sie wie surreale Kreaturen wirken. Die Stücke ähnelten Panzern, Rüstungen gegen die Welt, die aber auch einen inneren Flug darstellten, den Übergang vom Alltäglichen ins Imaginäre.