Neue Beauty-Brands aus der Schweiz setzen auf wissenschaftliches Know-how und ausgefallene Technologien. Es brodelt in den Laboren.

Ein wenig erinnert der lange, schmale Gang mit den vielen Türen an einen Gefängnistrakt. Und dann auch noch das! Professor Dr.  Michael Detmar klopft gegen ein eingelassenes Bullauge und sagt schmunzelnd: «Die Fenster sind aus Panzerglas und die Türen explosionssicher.» Nicht, um zu verhindern, dass sich jemand heimlich aus dem Staub macht. Hinter den gut gesicherten Mauern des ETH-Campus in Höngg wurden die Produkte für das erste Skincare-Spin-off der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich entwickelt – und in einem Labor kann es schon mal knallen.

Die Pflegelinie IRÄYE wurde 2022 lanciert, ihre Wirkungsweise ist laut Detmar weltweit einzigartig: «Wir machen keine Standardkosmetika. Unsere Produkte sind die einzigen, die das Lymphgefässsystem aktivieren.» Jenes Netz im Körper, das lange Zeit von der Medizin übersehen wurde, weil es nahezu durchsichtig ist. «Es ist quasi unser Müllentsorgungssystem, die Gefässe leiten die toxischen Abfälle aus dem Hautgewebe», erklärt der Dermatologe. «Wir haben festgestellt, dass die Lymphgefässe auch altern, sie werden durchlässiger. Es kommt zu Entzündungen in der Haut, und die Kollagenfasern werden zerstört.» Genau hier setzen die veganen Produkte von IRÄYE an: Der patentierte Lymphactive-Komplex schafft es nachweislich, das Lymphgefässsystem zu reparieren und zu aktivieren – um bis zu 250 Prozent.

Für einen zusätzlichen Verjüngungseffekt sorgen ein Bioretinol, das wie ein Retinoid wirkt, dreifache Hyaluronsäure, Niacinamid, Vitamin   E und ein Vitamin   C liefernder Extrakt aus Kakadupflaumen. Hinter dem Serum, der Creme und der Augencreme stecken mehrere Jahrzehnte Forschungsarbeit: «Ich habe zwölf Jahre an der Harvard University in Boston am Lymphsystem geforscht und auch Patente für Shiseido entwickelt. An der ETH habe ich an einem Medikament gearbeitet, das gegen Lymphödeme hilft. Dabei bin ich auf Pflanzenwirkstoffe gestossen, aus denen wir IRÄYE entwickelt haben. Bei den meisten Kosmetika gibt es eine Idee, aus der ein Produkt wird, bei uns war es umgekehrt: Wir haben etwas entdeckt, und daraus ist die Idee entstanden.»


Selbst im Londoner Nobelkaufhaus Harvey Nichols stehen die Produkte im Regal. Ganz neu ist die Shaping Body Cream, nächstes Jahr erweitern ein Cleanser und Eye-Patches das Sortiment. «Wir wollen nicht zig Produkte auf den Markt bringen, sondern nur solche, die man wirklich braucht», so Detmar. Denn auch Nachhaltigkeit ist dem Wissenschaftler wichtig: Die Produkte sind wiederauffüllbar, die Verpackung ist aus recycelten Materialien.

Ein Labor für zu Hause

Das junge Genfer Start-up Duolab, das zur französischen L’  Occitane-Gruppe gehört, liefert das eigene Labor gleich mit: Der von Rowenta entwickelte Formulierer mischt eine personalisierte Pflege täglich neu an. So kommt die Creme nicht nur ohne Konservierungsstoffe aus, sondern wird individuell auf die Bedürfnisse der Haut abgestimmt – und wie die gerade aussehen, wird mittels künstlicher Intelligenz ermittelt. Alle zwei bis drei Wochen erfolgt eine Onlinediagnose der Haut. Entsprechend dem Ergebnis wird ein Pflegeduo in den Formulierer eingelegt: eine Kapsel mit einer feuchtigkeitsspendenden Basis und eine Kapsel mit einem konzentrierten Booster. Je nach Kombination sind 25 verschiedene Formulierungen möglich.

Das Gerät mischt die beiden Pflegestoffe und erwärmt sie auf Körpertemperatur. So können die Wirkstoffe besser von der Haut aufgenommen werden. Dabei brummt und leuchtet der Formulierer 90 Sekunden lang wie ein Mini-Ufo – die perfekte Zeit übrigens, um währenddessen die Zähne zu putzen.

Die Schweiz als Nährboden für Start-ups

In den vergangenen Jahren hat die Schweiz einen regelrechten Boom an neuen Beauty-Brands erlebt: Das im Innovationspark der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne angesiedelte Unternehmen Timeline hat Produkte entwickelt, die den altersbedingten Zellverfall verlangsamen sollen. Dahinter stehen Chris Rinsch und Patrick Aebischer, ehemaliger Präsident der EPFL, sowie 15 Jahre Forschungsarbeit.

Das Luganer Label  Oqua macht sich die Kraft des Wassers zunutze, die Männerpflegemarke Junglück entwickelt mit der Swiss Nature TECH Technology hochwirksame Naturprodukte, das Label Rebelle Beauty hat die Aktivformel OM24® für die Teepflanze Camellia sinensis patentieren lassen. «Das Label Swiss Made hat international eine positive Aussenwirkung. Produkte, die aus der Schweiz kommen, stehen auf der ganzen Welt für Qualität und Nachhaltigkeit», sagt Prof. Dr. Detmar. Finanziell ergeben die Investitionen Sinn.

Laut dem Datenanalyseportal Statista betrug der Umsatz im deutschen Kosmetik- und Körperpflegemarkt 2022 knapp 15,8 Milliarden Euro, für dieses Jahr wird ein Anstieg auf 17,14 Milliarden Euro prognostiziert. Selbst – oder vielleicht gerade – in wirtschaftlich schwierigen Zeiten floriert das Geschäft mit Selfcare, zu welcher Achtsamkeit gegenüber dem eigenen Körper gehört. Aber können sich kleine Schweizer Brands auf einem Markt behaupten, der von grossen globalen Unternehmen dominiert wird? Ja, ist Detmar überzeugt: «Die sieben grössten Player besitzen etwa 70 Prozent des Marktes. Es gibt also genug Platz für Nischenprodukte.» Und die Schweiz bietet den idealen Nährboden für Start-ups: Zum zwölften Mal in Folge hat der Alpenstaat 2022 den ersten Platz des Global Innovation Index der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) belegt, der die Innovationsfähigkeit aller Länder auf der Welt misst. Es läuft für die Schweiz also wie geschmiert – Pardon, gecremt.