Das Tourbillon, die wohl mythischste unter den UhrenKomplikationen, Ist vor genau 220 Jahren Erfunden worden. Und verdreht den Herstellern bis heute den Kopf!
Der mythos des Tourbillons beginnt mit einem Rätsel. Wie kann die Komplikation, welche die Auswirkungen der Schwerkraft auf die Präzision eines Uhrwerks dämpft, mehr als 200 Jahre überdauert haben, ohne dass man gross etwas an ihr hätte verbessern müssen? Das nennen wir gutes Altern! Am 26. Juni 2021 war es genau 220 Jahre her, dass in Paris das Patent für einen sogenannten «Régulateur à Tourbillon» eingereicht wurde.
Seither hat die Erfindung Generationen von Uhrmachern den Kopf verdreht. Die Chefs lassen von Manufakturen mit geschwellter Brust verkünden, dass sie zu ihrem Repertoire gehör. Die Liebhaberinnen und Liebhaber versetzen schöner Zeitmesser reihenweise in Verzückung, immer wieder aufs Neue. Was ist das Geheimnis dieser Komplikation, die die Regeln der Physik ein klein bisschen auszuhebeln vermag?
Immer kleinere Gehäuse
Will man dem auf den Grund gehen, führt kein Weg an einem Mann vorbei. Im Jahr 1747 hat er in Neuchâtel das Licht der Welt erblickte: Abraham Louis Breguet. Als gelernter Uhrmacher und studierter Mathematiker liess er sich in Paris nieder und erfand nicht nur die erste Taschenuhr, bei der man die Zeit durch Befühlen ablesen konnte (die sogenannte «Blindenuhr»), sondern auch die Tonfeder für Repetieruhren, das Okular für astronomische Teleskope, die Vorläuferin der modernen Stoppuhr …
Kurz: Dieser Breguet war ein brillanter Tüftler. Und weil er wusste, dass die Schwerkraft die Ganggenauigkeit einer Uhr je nach deren Lage beeinträchtigt, kam er auf die Idee, das Schwingsystem (also Unruh und Unruhspirale) in einer Art beweglichem Käfig einzubetten, der sich um sich selbst dreht und so Lagen- oder Schwerpunktfehler einmal pro Minute ausgleicht. Der Name, den Breguet sich für diesen Miniatur-Geniestreich ausdachte: Tourbillon. Wirbelwind!
Von nützlich bis wünschenswert
Stand am Ursprung der Erfindung des Tourbillons der Wunsch, die Ganggenauigkeit einer Uhr unabhängig von ihrer vertikalen oder horizontalen Lage zu gewährleisten, verdankt sich sein Mythos seiner späteren Entwicklungsgeschichte. Denn in den 220 Jahren seit seiner Erfindung galt es, die Vorrichtung so einzuschrumpfen, dass sie in immer kleinere Gehäuse passte. Keine leichte Aufgabe. Und ganz schön zeitintensiv. Aber die Uhrmacher der verschiedenen Marken liessen nicht locker – und so konnte Omega seine erste Armbanduhr mit Tourbillon 1947 präsentieren. Nur ein Jahr später doppelte Patek Philippe nach. Und in den 1980ern setzte Audemars Piguet noch einen drauf und lancierte das allererste automatische Uhrwerk mit 2.5-mm-Tourbillon.
Bis heute trennt das Tourbillon gewissermassen die Spreu vom Weizen. Wer als Uhrenhersteller etwas auf sich hält, der führt es im Angebot. Dabei teilt sich das Tourbillon das Rampenlicht auch gern mit einer anderen Komplikation, etwa dem ewigen Kalender, dem Chronographen, der Minutenrepetition … Es kann auch sichtbar im Zifferblatt platziert werden, wie bei der Reverso Hybris Mechanica Calibre 185 von Jaeger-Le Coultre, bei der Tourbillon 24 Secondes von Greubel Forsey oder bei eini-gen Modellen von Purnell. Auch unter den Glanzstücken des aktuellen Jahres – und da ist die Auswahl weiss Gott riesig! – tritt das Tourbillon in unterschiedlichsten Spielarten auf (siehe Box rechts). Wenn es noch Beweise bräuchte, dass die Branche bis heute verrückt ist nach Breguets kleiner Meisterleistung, die am 7. Messidor des Jahres IX (nach dem damaligen republikanischen Kalender) vollbracht wurde: Hier sind sie!