Der Klimawandel und neue Märkte zwingen die Champagnerhäuser, aus ihrer Blase herauszukommen. Die Produzenten müssen neues Terrain erkunden.
Sie steigen in den Flöten auf und signalisieren: Es ist Zeit, zu feiern! Nur die exklusivsten Tropfen dürfen sich Champagner nennen. Der Name des berühmten Schaumweins ist nach wie vor an eine bestimmte Methode und ein französisches Terroir gebunden.
Die Appellation wird von den Tempelwächtern, dem Comité Champagne, strengstens überwacht. Dasselbe Komitee, das 1993 dem Modehaus Saint Laurent verbot, ein Parfum «Champagne» zu nennen, ein Duft für «glückliche, leichte und sprudelnde Frauen». Es verbot auch der Waadtländer Gemeinde Champagne, ihre Flûtes, ein Buttergebäck, mit der Herkunftsregion zu versehen. Der gleichnamige Schaumwein darf ausschliesslich im AOC-Gebiet der Champagne produziert werden, das 34’000 Hektar Weinberge in 319 Gemeinden umfasst, die Region von Reims bis östlich von Paris. Er wird aus lediglich drei Rebsorten hergestellt: Chardonnay, Pinot Noir und Pinot Meunier. Die Methode ist jahrhundertealt und wird als Champenoise bezeichnet: Die doppelte Gärung verleiht dem Wein sein natürliches Sprudeln.
Es prickelt in England
Die überschaubare Welt der 390 Champagnerhäuser und 16’200 Winzer könnte jedoch bald ins Wanken geraten. Klimatische Umwälzungen, Veränderungen im Konsumverhalten, die Globalisierung und die Konkurrenz durch erschwinglichere Schaumweine (spanischer Cava oder italienischer Prosecco) zwingen die Produzenten dazu, umzudenken. Im vergangenen September schritt Vitalie Taittinger, die junge Präsidentin des gleichnamigen Maison, an der Seite ihres Vaters durch die Reihen des neuen Weinbergs der Familie, der Domaine Evremond. Die 2015 erworbenen Ländereien scheinen zu halten, was sie versprechen: Weinberge an hügeligen Hängen und ein Boden, der reich an Vielfalt ist. Aber was ist das? Die Familie wählte als Standort Kent, südöstlich von London, um dort 34 Hektar zu bepflanzen und einen Sparkling Wine nach traditioneller Methode herzustellen.
Zuvor hatte sie bereits ins kalifornische Napa Valley expandiert. Taittinger, aber auch Moët-Hennessy besitzen dort Weinberge, die Trauben für den Schaumwein produzieren. Antoine Lejeune, Sommelier in Guy Ravets Restaurant «Émotions» im «Grand Hôtel du Lac» in Vevey, ist nicht wirklich überrascht: «Die Engländer, sei es in Kent oder Sussex, produzieren sehr gute Schaumweine. In Frankreich, in der Bretagne, wo das Klima vergleichbar ist, gibt es ebenfalls Winzer, die vorhaben, Schaumweine nach der traditionellen Methode herzustellen. Die Region Franciacorta in Italien mit ihrem kieshaltigen Boden und dem feuchten Klima macht den Champagnern bereits Konkurrenz.»
Um mit der steigenden Nachfrage aus China oder den USA Schritt zu halten, versuchen die Häuser, ihre Produktion zu erhöhen. Auch die Launen des Klimas treiben sie dazu an, denn in den traditionellen Champagnerregionen werden seit einigen Jahren vermehrt frühe Weinlesen, höhere Alkoholgrade, ein sinkender Säuregehalt und eine Zunahme von Rebkrankheiten beobachtet. Laut einem Bericht des Beratungsunternehmens S&P Global wird sich die Gefährdung der Region Champagne durch Dürre bis 2050 fast verdreifachen. So wird darüber nachgedacht, das Gebiet um Parzellen zu erweitern, die weniger stark nach Süden ausgerichtet sind.
Einige Champagnerhäuser setzen auf Bio und revolutionieren ihre Arbeitsweise. So etwa das Haus Telmont: Die Marke wurde 1912 während der Revolte in der Champagne gegründet und schwimmt gegen den Strom. Das Haus, das sich seit seinen Anfängen in Familienbesitz befindet, wird heute von der Gruppe Rémy Cointreau, dem Präsidenten Ludovic du Plessis und dem Hollywood-Schauspieler Leonardo DiCaprio unterstützt. Sein erster zu 100 Prozent biologischer Champagner, ein mineralischer und frischer Extra Brut, trägt den treffenden Namen «Réserve de la Terre». Du Plessis, der lange bei Moët & Chandon gearbeitet hat, ist überzeugt: «Ein Champagner ist gut, wenn es der Erde gut geht.» Telmont plant, in den kommenden Jahren CO2-neutral zu werden. Die Marke verzichtet auf unnötige Verpackungen und Geschenkkartons, verwendet nur grüne Flaschen, die zu 82 Prozent recycelt werden können und die je nach Cuvée die gleiche Form haben. Für die Lieferungen werden keine Flugzeuge mehr eingesetzt. Und die Flaschen werden leichter: «Die traditionellen Champagnerflaschen wiegen 835 Gramm. Seit einigen Monaten experimentieren wir mit einer 800-Gramm-Flasche, die dem Druck von sechs Bar standhält, den die Flüssigkeit in ihrem Inneren ausübt.»
Schweizer Favoriten
Dieser Extra Brut passt perfekt zu den Champagnern, die derzeit besonders gefragt sind, sagt Gastronom Lejeune: «In den Anbauregionen wird es wärmer, sodass die Trauben zuckerhaltiger sind. Interessant ist, dass man sich jetzt auf den Restzucker stützen und einen Champagner ohne Dosage herstellen kann.» Auch in der Schweiz, am Fusse unserer Berge, setzt man erfolgreich auf den Trend: Der Jahrgangsbrut von Jacques Germanier im Wallis oder der Hermann Brut von Roman Hermann in Graubünden gehören laut dem Experten Lejeune zu den Lieblingen, die man mittlerweile auf den besten Tischen der Schweiz findet. Weine, die, auch wenn sie nicht den Namen Champagner tragen, offensichtlich adelig sind.
Das Gebiet erweitern
Die seit Jahren in Betracht gezogene heikle Revision des AOC-Gebiets Champagne, die für 2026 geplant ist und der Appellation rund 40 Gemeinden hinzufügen würde, könnte einen ersten Lösungsansatz bieten. Das Angebot – 299 Millionen Flaschen, die 2023 produziert wurden – würde dadurch konsolidiert.