
Die It-Tasche bekommt Konkurrenz: Immer mehr Modelabels setzen auf Beauty-Linien als "Accessoire" ihrer Marke. Das geschäft ist lukrativ.
Dass er die Kunst des Crossmarketings perfekt beherrscht, stellte Olivier Rousteing bei der Präsentation seiner Frühling- / Sommerkollektion 2025 in Paris unter Beweis. Der Balmain-Designer schickte seine Models in Entwürfen über den Laufsteg, deren Farben von Make-up-Produkten inspiriert waren. Kleider in Lippenstiftrot, Blusen in Foundation-Nude, Röcke in Rouge-Rosé. Gepaart mit Drucken von Augen, Lippen, Nägeln. Auch bei den Accessoires machte er nicht Halt: An den Händen baumelten Taschen in Form von Lidschattenpaletten und Parfumflakons. Auf den ersten Blick eine normale Fashion Show, zeigte sich auf den zweiten: Auf dem Catwalk rührte Rousteing ordentlich die Werbetrommel für sein jüngstes Projekt – die Lancierung von Balmain Beauty.
Fast gleichzeitig eröffnete Ende September die erste Balmain-Beauty-Boutique im schicken Pariser Viertel Marais. In den Regalen stehen acht Düfte der Kollektion «Les Éternels de Balmain», die Balmain gemeinsam mit dem Kosmetikriesen Estée Lauder Companies entwickelt hat. Mit dem Lizenznehmer soll Rousteing auch an einer Make-up-Linie tüfteln. «Was ich an der Mode hasse, ist, wenn Mode und Beauty nicht zusammen sind. Mode kann nicht ohne Beauty existieren, und Beauty kann nicht ohne Mode existieren», so der Modedesigner gegenüber «Vogue».
Und da eine Marke ohne ihre Kundschaft ebenfalls nicht überleben kann, perfektionierte Balmain auch gleich seine «Clientelling»-Strategie. Die besten Kunden erhielten eine Geschenkbox mit einem Duft und wurden zur Boutique-Eröffnung eingeladen. Dass sie in den Kleidern von Balmain erschienen, versteht sich von selbst.


Ebenfalls im Herbst vergangenen Jahres feierte Celine ein Debüt. Creative Director Hedi Slimane hat das französische Label inzwischen zwar wieder verlassen, als Abschiedsgeschenk liess er dem Modehaus aber das erste Make-up-Produkt in seiner
80 Jahre langen Geschichte da: einen roten Lippenstift, dessen goldene Hülle das Triomphe-Emblem ziert.
Seit Januar 2025 ist die Lippenstiftserie «Le Rouge Celine» mit 15 verschiedenen Farbtönen im Handel. In Planung sind weitere Celine-Beauté-Launches wie Mascara, Puder, Rouge, Lippenbalsam, Eyeliner und Nagellack. Jede Saison soll ein neues Produkt eingeführt werden. Die Lippenstifte sind mit Duftakkorden von Rose und Reispuder versetzt und stellen damit eine Verbindung zur Haute-Parfumerie-Kollektion her, die Celine 2019 präsentiert hat.
Ein ganzheitliches Erlebnis
Als Pionierin wagte Gabrielle «Coco» Chanel vor mehr als hundert Jahren den Ausfallschritt von der Mode zur Kosmetik. Am 5. Mai 1921 lancierte sie mit «Chanel No 5» das erste Parfum des legendären Hauses. Denn, so die Visionärin: «Eine Frau, die kein Parfum trägt, hat keine Zukunft.» Die Komposition aus Aldehyden, Jasmin und Vanille war für damalige Zeiten ungewöhnlich. «Ich möchte der Frau ein künstliches Parfum schenken», erklärte Coco Chanel gegenüber der Zeitschrift «Paris Match». «Ich sage bewusst künstlich, wie ein Kleid, also angefertigt. Ich bin eine Couture-Handwerkerin.»
Bestärkt vom Erfolg – das Parfum ist bis heute ein Bestseller und gehört zu den meistverkauften der Welt –, lancierte Chanel noch im selben Jahrzehnt die ersten Make-up-Produkte. Auch Konkurrent Christian Dior erkannte das Potenzial und brachte 1947 das Parfum «Miss Dior» auf den Markt, ebenfalls gefolgt von einer Make-up-Linie. 1957 respektive 1964 zogen Givenchy und Yves Saint Laurent nach. Bis heute sind die vier Marken quasi der «Smoking» unter den Luxuskosmetikanbietern. Und wenn Produkte wie die Lidschattenpalette «Couture Mini Clutch» von YSL auch noch aussehen wie ein Handtäschchen, ist das Outfit perfekt.
Erst 2022 hat das italienische Modelabel Dolce & Gabbana das Beauty-Zepter, das von 2016 bis 2021 beim japanischen Kosmetikunternehmen Shiseido lag, wieder inhouse geholt – und unter der Leitung von CEO Gianluca Toniolo 300 neue Mitarbeitende nur für D & G Beauty angestellt. «Für Stefano und Domenico ist ein Parfum oder ein Hauch von Make-up das letzte Accessoire, das man trägt, bevor man zu einer Party, zur Arbeit oder zu einem Abendessen geht, so wie man eine Tasche, Schuhe oder einen Schal trägt», so Toniolo zu «The National».


Seit 2022 entwickelt Dolce & Gabbana unter der Regie von CEO Gianluca Toniolo die Beauty-Linie im eigenen Haus. Jüngster Launch: die Everlast Foundation.
Für den Italiener sind die beiden Sparten Parfum und Make-up unverzichtbar, um in der obersten Liga mitzuspielen, wie er gegenüber «Glossy» klarmachte: «Wenn eine Designermarke nur über Parfum im Beauty-Bereich tätig ist, gilt man nicht als etablierter oder grosser Akteur. Man braucht mindestens zwei Kategorien, wie Düfte und Make-up, um an der Spitze der Designermarken zu stehen. Und genau das ist unser Ziel.» Noch dieses Jahr will D&G Beauty auch eine Skincare-Linie lancieren.
Skeptische Naturen könnten nun monieren, dass eine Marke verwässert, je mehr sie sich diversifiziert. Die Sorgen sind unbegründet, im Gegenteil. Die Beauty-Sparte könnte sich für den einen oder anderen Brand sogar als Rettungsschirm erweisen. Während der Umsatz des Luxuskonzerns Kering, zu dessen Portfolio Modelabels wie Gucci, Balenciaga oder Saint Laurent gehören, im dritten Quartal 2024 um rund 15 Prozent einbrach, legte Kering Beauté kräftig zu.
Auch LVMH gab bekannt, dass Beauty eine der wenigen Sparten ist, die im besagten Quartal nicht rückläufig war. Das Geschäft mit der Kosmetik ist lukrativ. Laut Statista soll der Umsatz der Kosmetikindustrie bis 2027 auf über 580 Milliarden US-Dollar anwachsen – besonders in China und Südkorea birgt der Markt ein grosses Potenzial. Die Beauty-Industrie ist äusserst profitabel mit hohen Margen und grossen Gewinnspannen.
Ein neues Publikum
Es ist auch eine Investition in die Zukunft. Denn mit einem Kajal, der nur den Bruchteil einer «Kelly Bag» kostet, erreichen die Labels ein breiteres – und auch jüngeres – Publikum. Eines, das sie im Idealfall langfristig an sich binden und das später auch in die teurere Kleidung investiert. Es ist sicher kein Zufall, dass Balmain die 29-jährige Sängerin und Schauspielerin Dove Cameron als Ambassadorin für das Parfum «Carbone» ausgewählt hat. Oder Prada Beauty mit der Popsensation Sabrina Carpenter zusammenspannt, nachdem die Sängerin im Musikvideo zu «Please Please Please» Pradas Lip Balm im Ton «Astral Pink» trug – und dafür sorgte, dass dieser zeitweise ausverkauft war. Auch Carpenter gehört der Generation Z an, eine wichtige Zielgruppe, die beruflich gerade durchstartet.


Die erste Skincare-Linie des französischen Modelabels besteht aus einer Handseife, einer Bodylotion, einer Handcreme, einem Duschgel, einem Eau de Cologne und einem Lip Balm. 98% der Inhaltsstoffe sind natürlichen Ursprungs.
Doch es ist ein Balanceakt, die grosse Masse anzusprechen und trotzdem die Positionierung im High-End-Bereich nicht zu gefährden. Das Ultraluxuslabel Hermès hat 2020 vorgemacht, wie es geht, als es seine erste Lippenstiftkollektion präsentierte – zu Preisen, die deutlich über dem durchschnittlichen Marktwert von Lippenstiften liegen. Während die Produkte in vielen Nobelkaufhäusern erhältlich sind, setzen etwa Celine und Bottega Veneta – das Label brachte 2024 die erste Duftkollektion unter der Leitung seines damaligen Chefdesigners Matthieu Blazy heraus – auf eine exklusive Distribution in ihren eigenen Läden.
Der belgische Designer Dries Van Noten sieht in Beauty-Linien weit mehr als den verlängerten Hemdsärmel der Mode. «Die Beauty ist die Essenz dessen, wofür die Modemarke steht. In gewisser Weise kann sie sogar noch persönlicher sein, weil es etwas ist, das man auf die Haut aufträgt, und spürt, wie es mit dem eigenen Körper reagiert», sagte Van Noten zur «Vogue».
Welche Bedeutung seine 2022 gelaunchte Beauty-Linie, bestehend aus Parfums und Lippenstiften, für ihn hat, lässt sich auch daran ablesen, dass er im Sommer 2024 die letzte von ihm selbst entworfene Modekollektion zeigte – aber weiterhin eine beratende Funktion bei der Beauty-Linie innehaben wird. Diente sein eigener, 22 Hektar grosser Garten nahe Antwerpen doch als Inspiration für die Farben und Muster.


Etwa die neuen Lippenstifthüllen. Die Linie soll sukzessive erweitert werden.
Diversität auch beim Make-up
Alles nur schöner Schein? Natürlich haben die CEO die Zahlen im Blick, aber nicht nur. Im Juli 2024 machte Paco Rabanne die LGBTQIA+-Ikone Troye Sivan zum ersten globalen Werbeträger seiner neuen Beauty-Linie, deren Produkte explizit genderneutral sind, und unterstrich damit die Wichtigkeit von Inklusion und Diversität. Gerade in der glänzenden Modewelt, in der Schönheitsideale meist gestreamlint sind, in der «Body Positivity» nur ein, zwei Saisons auf dem Laufsteg en vogue war, keine Selbstverständlichkeit.
Der ehemalige Creative Director von Valentino, Pierpaolo Piccioli, betonte bei der Lancierung der Make-up-Linie ebenfalls den Gedanken der Inklusion: «Die Arbeit, die wir bei Valentino leisten, orientiert sich an den Werten, auf die wir vertrauen. Wir sind von einer Ästhetik, die auf Exklusivität beruht, zu einer inklusiven Ästhetik übergegangen.» Die Lippenstifte der 2022 gegründeten Untermarke kommen in 50 verschiedenen Farben daher, die «Very Valentino»-Foundations sind in 40 unterschiedlichen Nuancen erhältlich, für jeden Hautton die passende. Sie wurden an 5000 Frauen in acht Ländern auf allen Kontinenten getestet.
Die Konkurrenz auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten ist gross. Noch dieses Jahr will die US-Marke Marc Jacobs Beauty einen neuen Anlauf nehmen, nachdem sie 2021 eingestellt wurde, genauso wie Balenciaga und Alexander McQueen, die es ebenfalls wagen, ihre Kundschaft noch einmal mit Düften zu umwerben. Und dann stehen noch jede Menge «Newcomer» in den Startlöchern: Marni bringt in Zusammenarbeit mit Coty sukzessive Parfums und eine Linie von Beauty-Produkten heraus, Miu Miu hat mit der L’Oréal-Gruppe einen Vertrag unterzeichnet, genauso wie Jacquemus. «Parfums und Make-up waren schon immer Teil meiner Vision für die Marke», liess Creative Director Simon Porte Jacquemus im Februar verlauten. Die Liaison zwischen Mode und Make-up – sie steht den Marken gut zu Gesicht.