Im Mittelalter wehte der Geist von Cluny durch ganz Europa. die Zeugen dieser Zeit laden zu reizvollen Ausflügen in die Vergangenheit.

1. Cluny

Des Ursprungsort im Burgund

Wo alles begann. Im Jahr 910 hat Wilhelm I., Herzog von Aquitanien, genannt der Fromme, in Cluny ein Benediktinerkloster begründet – unabhängig vom König Frankreichs. Die ihm nachfolgenden Äbte errichteten eine Abtei, die während 400 Jahren als die grösste Abtei des Christentums galt. Vor allem aber brachten sie eine einzigartige theologische Sicht hervor, die zweifellos wegbereitend für den Protestantismus war. Vom Originalgebäude stehen heute nur noch Überreste, aber die Abtei zeugt vom mächtigen Einfluss des Cluny-Ordens auf ganz Europa bis ins 16. Jahrhundert. Einen Besuch wert sind das Stadthaus, das in einem der Abteipaläste eingerichtet wurde, der Kreuzgang, der Kornspeicher, die Klostermauern und die mittelalterlichen Häuser.

Das Juwel. Die 30 m hohen Gewölbe der Maior Ecclesia, der grössten romanischen Kirche (Cluny III), lassen die Ausmasse des Gebäudes erahnen: 187 m lang und 90 m breit auf Höhe des Querschiffs.

Zum Fuss Erklimmen Sie die 120 Stufen des «Tour des Fromages», um eine tolle Aussicht über das ganze Gelände zu haben.

Abbaye de Cluny, Saône-et-Loire, geöffnet tägl. 9:30-18 Uhr

2. Romainmôtier

Elf Jahrhunderte Frömmigkeit

Das älteste Kloster der Schweiz.Das Kloster von Romainmôtier wurde im 5. Jahrhundert gegründet und schloss sich im 10. Jahrhundert dem Cluny-Orden an. Der Kirchenreform und den Bernern konnte es nicht standhalten – heute sieht man nur noch Umrisse am Boden. Die Kirche aber, die seit dem 19. Jahrhundert fortlaufend restauriert wird, zeugt von einer Baukunst ausschliesslich aus der Cluny-Zeit. Unter ihren Kreuzgewölben fand am 3. Dezember 1501 eine bedeutende Eheschliessung statt: Margarete von Österreich, deren Neffe Karl V. als Kaiser über das Heilige Römische Reich regierte, heiratete hier Filibert den Schönen, Herzog von Savoyen. Ein Kirchenfenster erinnert an diese Vermäh-lung. Das Haus des Priors, 1280 erbaut, ist ebenfalls erhalten – und beherbergt jetzt ein Café und einen Shop.

Das Juwel Der Ambo, das Lesepult im Altarraum, stammt aus der allerersten Kirche aus dem Jahr 733.

Zu Fuss Eine 3 km lange Rundwanderung führt von Romainmôtier bis zur Aussichtsplattform «Belvédère de Forel», von wo aus das Städtchen aus 740 m Höhe betrachtet werden kann.

Abteikirche Romainmôtier, Kanton Waadt, freie Besichtigung.

3. Much Wenlock

Überreste in England

Reliquien unter Ruinen. 1083 gründete Roger II. von Montgommery unweit von Birmingham den Cluny-Orden von Much Wenlock; die Klosterkirche kam auf dem Grundriss eines angelsächsischen Klosters aus dem 7. Jahrhundert zu stehen. Bei den Bauarbeiten stiess man auf die sterblichen Überreste der Äbtissin Mildburg, die wie eine Heilige verehrt wurde. Besucher können die Reste der majestätischen Kirche aus dem 13. Jahrhundert, den Kapitelsaal mit den gemeisselten Verzierungen und den Klostergarten besichtigen.

Die Juwele Die dekorativen Bodenfliesen in der Bibliothek des Priorats, in ihrer ursprünglichen Form erhalten, lassen den Reichtum des Klosters erahnen. Das achteckige Wasserbecken, in dem sich die Mönche die Hände wuschen, bevor sie das Refektorium betraten, zeugt von grosser handwerklicher Sorgfalt.

Zu Fuss Ein hübscher Spaziergang verbindet die Ruinen des Priorats mit dem Zentrum der Kleinstadt Much Wenlock, wo seit 1850 die Wenlock Olympian Society Annual Games ausgetragen werden, die als Vorläufer der modernen Olympischen Spiele gelten.

Wenlock Priory, Much Wenlock, Shropshire.

4.St. Petersinsel

Cluny vor Rousseau

Klösterlich und touristisch Die kleine Insel im Bielersee, die heute über eine flache Landzunge mit dem Festland verbunden ist, wurde seit der Bronzezeit besiedelt. Im 7. Jahrhundert errichtete man hier das erste Kloster, das im Jahr 1107 dem Cluny-Orden angegliedert wurde. Folglich baute man eine Klosterkirche, die Peter und Paul gewidmet wurde. Abtei und Kloster blieben bis 1484 an den Cluny-Orden gebunden. Nach der Reformation ging die St. Petersinsel an das Niedere Spital in Bern über – das heutige Burgerspital, das noch immer Eigentümer der Insel ist. Die Kirche wurde 1557 zerstört; das Kloster jedoch ist inzwischen zu einem charmanten Hotel umfunktioniert worden – denn die Insel ist seit dem Besuch von Jean-Jacques Rousseau, der hier 1765 verweilte und den Ort in «Rêveries du Promeneur solitaire» lobte, ein beliebtes Ausflugsziel.

Das Juwel  Der gotische Saal des Klosters mit den Malereien aus dem 15. Jahrhundert.

Zu Fuss Über den Heideweg von Erlach aus erreicht man die unter Naturschutz stehende Insel in ca. einer Stunde.

Prieuré de Saint-Pierre, Führung nach Anmeldung, Dauer ca. 1 Std., 10 Fr. Reservierung: j3l.ch

5. Payerne

Eine Abtei mitten in der Stadt

Renaissance im Jahr 2020 Die grösste romanische Kirche der Schweiz thront in ihrem sehr puristischen Stil oberhalb des Place du Marché in Payerne. Sie wurde im 11. Jahrhundert auf Initiative der königlichen Familien des Burgunds erbaut und erstrahlt nach 10-jähriger (und 20 Millionen Franken teuren) Renovierung wieder in altem Glanz. Die Mauern mussten gefestigt, die Kapitelle und Fresken aufgefrischt werden. Archäologische Funde bereichern die Geschichte des Orts zusätzlich. Es stellte sich – unter anderem – heraus, dass das Grab von Königin Bertha, die die Gründung des Klosters förderte, nicht das war, wofür man es hielt …

Das Juwel Die ehemalige an der Kirchenspitze angebrachte Holzkrone kann heute im Museum von ganz nah bestaunt werden. Letzteres ermöglicht den Besuchenden ein Eintauchen ins Thema – mit Projektionen, interaktiven Posten, Kunstinstallationen, Konzerten.

Zu Fuss Hobbypilger begeben sich auf den 26 km langen Weg ab Villars-les-Moines. Der siebenstündige Marsch ist eine Etappe auf der Route, welche die elf kluniazensischen Orte der Schweiz verbindet.

Abbatiale de Payerne, tägl. 10–17:30 Uhr, viacluny.ch

6. Sahagùn

Pilgern in Spanien

Auf dem Jakobsweg Sahagùn im Norden Spaniens war prädestiniert, das «Cluny Spaniens» zu werden. Das Kloster wurde im Jahr 1132 dem burgundischen Orden angegliedert, auf den sich König Alfons VI. stützte, um Spanien von den Mauren zurückzuerobern. Aus der Cluny-Ära, die bis 1496 dauerte, steht heute noch der Eingang der Abtei, das spätere Benediktstor, das vom Ingenieur Saavedraen 1662 erbaut wurde. Von der Klosterkirche bleiben die romanische Apsis, ein Querschiff und ein Turm. In der Stadt gibt es mehrere romanische Kirchen aus Ziegelstein – Beispiele des Mudéjar-Stils, der christliche und muslimische Baukunst verschränkte.

Das Juwel Das Museum im Benediktinerinnenkloster zeigt Überreste des alten Monasterio Real de San Benito und eine Sammlung sakraler Kunst. Hier befindet sich ebenfalls das Grab von Alfons VI., dessen sterbliche Überreste von den Ordensfrauen von 1835 bis 1908 versteckt wurden.

Zu Fuss Die rund 2500 Einwohner zählende Kleinstadt Sahagùn liegt auf dem Jakobsweg: an der Verzweigung der Ruta de Madrid und des Camino Francés.

Monasterio Royal de San Benito, turismocastillayleon.com

7. Calw

Korrespondenz mit Folgen

Das deutsche Cluny-Pendant.  Im malerischen Nordosten des Schwarzwaldes stand einst ein einfaches Kloster. Alles änderte sich mit der Ankunft von Abt Wilhelm von Hirsau im Jahr 1061: Er korrespondierte regelmässig mit einem befreundeten Mönch in Cluny. Dessen Zeilen inspirierten ihn – und so erarbeitete Wilhelm zwischen 1080 und 1087 das Konzept einer Reformation, ausgehend vom Cluny-Gedanken, aber an die lokalen Begebenheiten angepasst. Die Hirsauer Reform verbreitete sich schliesslich in rund 150 Klöstern in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Das Juwel Die Klosteranlage, die sich an beiden Seiten des Flusses Nagold erstreckt, wurde ehrgeizig nach dem Vorbild Clunys erbaut. Und obschon viel zerstört wurde, ist das ursprüngliche Kloster allemal einen Besuch wert. Im schönen Kräutergarten mit 50 verschiedenen Kräutersorten wird ein Know-how gepflegt, das bis auf das Mittelalter zurückgeht.

Zu Fuss Auf einem 7 km langen Weg lassen sich in 2 Std. 15 Min. alle Kulturdenkmäler besichtigen.

Kloster St. Peter und Paul in Hirsau, Calw. Ganzjährig freier Eintritt. Touren: www.calw.de/touren

8. Rüeggisberg

Die Wiege der Stadt Bern

Am Ursprung der Zähringerstadt Die Wiege der Stadt Bern ist die Abtei von Rüeggisberg, die ab 1148 Cluny angegliedert war: Berchtold von Zähringen hatte hier die Adligen der Umgebung versammelt, um eine Stadt am Ufer der Aare zu gründen. Ausgrabungen haben das Fundament einer beeindruckenden Kirche von 27 m Länge mit fünf Apsiden (und einen 25 m hohen Glockenturm) ans Licht befördert. Anscheinend blieb es jedoch beim Fundament der Kirche. Der Standort beherbergte auf seinem Höhepunkt lediglich vier Mönche und wurde 1484 schliesslich aufgegeben. Die Steine wurden für das Berner Münster sowie für die Häuser und die Kirche des Dorfs wiederverwendet.

Das Juwel Das Nordquerhaus der ursprünglichen romanischen Kirche ist gut erhalten. Im Museumsraum sind die Reliefs ausgestellt und die Geschichte sowie die Renovationsarbeiten des Klosters dokumentiert.

Zu Fuss Bern-Rüeggisberg ist eine wichtige, 22 km lange, sechsstündige Etappe des Jakobswegs – mit dem Trio Eiger, Mönch und Jungfrau als Blickfang.

Ruinen und Museum von Rüeggisberg, Besichtigungen auf Voranmeldung, www.gantrisch.ch.

9. San Benedetto

Reichtümer der Lombardei

Eine einflussreiche Abtei. Die Besitztümer der Gemeinde San Benedetto Po – 1077 bis 1420 unter der Schirmherrschaft von Cluny – reichten bis nach Venetien, in die Emilia-Romagna und die Toskana. Die romanische Abteikirche, 1130 nach dem Vorbild von Cluny erbaut, wurde im 16. Jahrhundert vom Architekten Giulio Romano im typischen Stil der Gegenreformation umgebaut. Martin Luther hielt sich 1510 im Kloster auf und fand den ganzen Prunk anstössig. Aus der Cluny-Epoche bleiben heute ein gotisches Kloster – Lazarett genannt – und die Kapelle San Martino. In dieser Kapelle fand Mathilde von Canossa – die hinter der Angliederung an Cluny stand – ihr erstes Grab, bevor dieses nach Rom, in die Sankt-Peter-Kathedrale, überführt wurde.

Das Juwel Wunderschöne Cluny-Mosaike aus dem Jahr 1151 zieren den Boden der Totenkapelle und zeigen die vier Kardinaltugenden.

Zu Fuss San Benedetto liegt auf der Via Romea Germanica Imperiale, die teilweise den alten Römerwegen zwischen Deutschland und Rom folgt.

Kloster von San Benedetto Po, tägl. geöffnet, Kirche während Messen für Besucher geschlossen.

10. Rougemont

Bevor die Vögte kamen

Romanische Spur in den Waadtländer Alpen. Im Herzen des grünen Pays-d’Enhaut-Tals ragt die Spitze der Kirche Saint-Nicolas-de-Myre empor. Vom einzigen Cluniazenserkloster in den Waadtländer Alpen ist nur die Kirche erhalten. Das Kloster, 1080 auf Ersuchen des Grafs von Gruyère, Guillaume I., gegründet, bestand während 475 Jahren; dann musste es – bis auf die Kirche, die in ein protestantisches Gotteshaus umfunktioniert wurde – einem Schloss für die Berner Vögte weichen. Anfang des 20. Jahrhunderts brachte eine Restaurierung unter fünf Gipsschichten den Stein der ursprünglichen Kirche zum Vorschein. Das Kirchenschiff wird beidseitig von je sechs Säulen getragen, die zusammen die zwölf Apostel repräsentieren. Die Malereien wurden anhand von Motiven aus dem 13. Jahrhundert, inspiriert von jenen in Romainmôtier, nachgebildet.

Das Juwel Die Fenster aus dem Jahr 1920 von Louis Rivier du Théodore Delachaux sind einen Umweg wert.

Zu Fuss Rougemont ist Ausgangs- oder Endpunkt der Cluny-Wege der Schweiz, welche über elf Routen die Cluniazenserstätten in der Schweiz verbinden.

Kloster Rougemont, freier Eintritt. Routen: viacluny.ch

Unesco-Kandidatur über Landesgrenzen hinaus

Die über 200 Cluny-Stätten in Europa waren ein Wirtschaftsverbund mit einer kollektiven Gesellschaftsvision

Payerne und Romainmôtier haben sich der gemeinsamen Kandidatur zahlreicher Cluny-Stätten für einen Unesco-Eintrag angeschlossen. Warum?

Payerne und Romainmôtier sind wohl die bedeutendsten der 13 Schweizer Cluny-Stätten, aber es könnten sich noch weitere anschliessen. Insgesamt gibt es über 200 Cluny-Stätten in neun europäischen Ländern, etwa in Polen, Spanien, Grossbritannien. Eine gemeinsame Kandidatur (home.sitesclunisiens.org) macht insofern Sinn, als sie das Netzwerk abbildet, das Cluny einst ausmachte: Ein Wirtschaftsverbund mit einer kollektiven Gesell-schaftsvision mit der Kirche als Zentrum.

Was geschieht als Nächstes?

Eine erste Liste der kandidierenden Stätten wird per Juli 2024 erstellt. Der Entscheid wird für 2027 erwartet.

Wo liegt die ästhetische Gemeinsamkeit zwischen den verschiedenen Cluny-Stätten?

Ich würde sagen, es ist das Licht. Die Farbtöne Ocker, Silber und Gold schaffen ein einzigartiges Lichtspiel mit Wiedererkennungswert. Das passt zur Idee von Grösse, die man in vielen Cluny-Bauten findet. Und doch drückt jede Stätte diese Idee auf ihre ganz eigene Weise aus.

In der Schweiz sind die Stätten mit Wanderwegen verbunden. Wie liesse sich das touristisch nutzen?

Wir können uns gemeinsame Eintrittskarten und weitere Partnerschaften gut vorstellen. Seit dem Abschluss der Renovierung der Abtei in Payerne 2020 hat das öffentliche Interesse deutlich zugenommen. Ich habe acht der 13 Schweizer Stätten besucht; alle sind von unglaublichen Landschaften umgeben. Ich kann es nur empfehlen!

Edouard Noverraz

Assoziierter Verwalter des Verbands der cluniazensischen Stätten und Gemeinderat von Payerne.