Homo Faber, die Messe für Kunsthandwerk, lässt einen die Lagunenstadt neu entdecken.
1. Porzellan
Zauberhaft zerbrechlich
Das gibts zu sehen Vergessen Sie Teller! Das hier ausgestellte Porzellan geht weit (sehr weit!) über den alltäglichen Gebrauch hinaus – man nehme nur den kunstvoll gearbeiteten Totenkopf der Japanerin Katsuyo Aoki (links). Der Dialog zwischen Europa und Japan erweist sich als faszinierender Clash zweier radikal unterschiedlicher Herangehensweisen an das Material. Die in London ansässige japanische Künstlerin Hitomi Hosono etwa lässt sich für ihre üppig geschmückten Objekte von der Botanik und traditionellen Landschaften inspirieren. Ruth Gurvich hingegen, Französin mit argentinischen Wurzeln, präsentiert reizvoll Zerdrücktes, Geknicktes oder Verbogenes. Und natürlich werden auch die grossen Traditionsmanufakturen wie Meissen, Sèvres, Nymphenburg und Bernardaud geehrt.
Das Highlight Staunenswertes gibts hier nicht nur in Augenhöhe: In der barocken Klosterbibliothek, entworfen vom Architekten Baldassare Longhena, wimmelt es nur so von Schnitzwerk und Holzverzierungen.
Fondazione Cini, Biblioteca Longhena: „Porcelain Virtuosity“.
2. Gartenbau
Blühender Geheimtipp
Das gibts zu sehen Über die Zugbrücke zwischen Dogenpalast und Markusplatz erreicht man das kunstvolle Eingangstor, stösst es auf – und kann kaum glauben, dass hier der in Venedig omnipräsente Stein auf 5000 m2 einer Fülle aus Grün und Pastellfarben weicht: Die Wege in den Giardini Reali sind von Hortensien gesäumt, Kanäle schlängeln sich durch Gewächshäuser und Gartenlauben, neben zeitlosen Blumen bilden Bambushalme orientalische Nischen. Die «königlichen» Gärten sind übrigens kein Überbleibsel der Dogenherrschaft; vielmehr wurden sie Ende des 18. Jahrhunderts auf Geheiss von Napoleon Bonaparte angelegt. Die letzten 30 Jahre der Verwilderung überlassen und erst kurz vor Pandemieausbruch wieder auf Vordermann gebracht, sind sie noch ein Geheimtipp. Aber wohl nicht mehr lange …
Das Highlight Ein (Eis-)Kaffee wäre jetzt die Krönung? Kein Problem. Im garteneigenen Café kann man die meditative Ruhe geniessen und die Zeit vergessen.
Giardini Reali, täglich 9-19 Uhr, Eintritt frei.
3. Spieldosen
Raffinierte Mechanik
Das gibts zu sehen Venedig schlägt nicht nur Brücken in der Lagune – sondern bis in die Schweiz! Genauer: nach Lausanne, an die Kunsthochschule Ecal, und ins waadtländische Sainte-Croix. Der Jurabogen ist bekannt für sein Savoir-faire in der traditionellen mechanischen Kunst, die in der Uhrmacherei, aber auch für die Herstellung von Spieldosen und Musikdosen zur Anwendung kommt. Diesem immateriellen Unesco-Kulturerbe wird an der Homo-Faber-Messe mit einer – vom Westschweizer Nicolas Le Moigne mitkuratierten – Ausstellung gehuldigt. Fünf von der Designerin Charlotte Therre konzipierte interaktive Installationen können via Mechanismen aktiviert werden. Ein Zusammenspiel aus Licht und Material.
Die Alternative Wem Venedig zu weit weg ist, sei ein Ausflug in die Ursprungsregion der Musikmechaniken ans Herz gelegt: Das Musée Baud im Dorf L’Auberson in der Gemeinde Sainte-Croix beherbergt Schätze aus der Zeit zwischen 1750 und 1940.
Fondazione Cini: „Mechanical Marvels“:
4. Japonismen
Dialog zwischen Ost und West
Das gibts zu sehen In Japan und in Italien kommt dem Streben nach dem Schönen eine gleichermassen grosse Bedeutung zu. Deshalb umfasst die Homo-Faber-Messe eine Ausstellung, die von Japan inspirierte Werke von 19 italienischen Kunsthandwerkern zeigt: Mosaike, Masken, Glas, Spiegel … Als Schnittstelle zwischen dem Orient und dem Okzident empfing die Handelsstadt Venedig 1585 erstmals eine Delegation japanischer Adliger, die grosszügig mit Seiden- und Brokatstoffen beschenkt wurden.
Das Highlight Zu den Kunsthandwerkern der Ausstellung gehört Lino Tagliapietra, der so etwas wie der Star unter den zeitgenössischen Glasbläsern ist: Seine Werke sind in den grössten Museen der Welt zu finden. Der inzwischen 87-jährige Venezianer, der auch viel in den USA gearbeitet hat, hat 2014 ein Atelier in Murano eingerichtet. Das Backsteingebäude direkt am Wasser beherbergte einst die Schreinerei der Fondamenta Serenella und ist quasi zur Pilgerstätte für Fans von Maestro Tagliapietra geworden. Besuche sind möglich – allerdings nur auf Voranmeldung!
Fondazione Cini: „Italy and Japan: Marvellous Liaisons“.
5. Kostüme
Für Film, Oper und Carnevale
Das gibts zu sehen
Das Schaufenster, das auf einen Kanal im Stadtteil Cannaregio hinausgeht, ist eher bescheiden. Man muss schon eintreten, wenn man in die zauberhafte Welt von Stefano Nicolao eintauchen will! Sein 1980 eröffnetes Schneideratelier ist eine regelrechte Zeitmaschine. Nicolao träumte von einer Schauspielerkarriere, bevor er merkte, dass ihn die Arbeit hinter den Kulissen sogar noch mehr reizte.
Nun setzt er die Tradition der venezianischen Kostümschneiderei fort, die jedes Jahr während des Carnevale zu neuem Leben erweckt wird; zudem ist er in der internationalen Film-, Theater- und Opernszene tätig, allen voran natürlich für La Fenice. Nicolaos Œuvre umfasst inzwischen rund 15 000 Kostüme.
Das Highlight Beim Besuch im Atelier kann man auch die Stoffe berühren und so die Arbeit von Stefano Nicolao aus nächster Nähe erleben. Der Schneider ist auch Kostümhistoriker – und hat unter anderem die Kostüme für die prämierten Spielfilme «Farinelli» (1994) und «Elizabeth» (1998) entworfen.
Cannaregio 2590, Besuch im April nur auf Voranmeldung (via www.homofaber.com) möglich.
6. Glas
Farbenfroh und blumenbestückt
Das gibts zu sehen
Wer kennt sie nicht, die Glasmanufaktur Venini? Vor genau 101 Jahren gründeten der Mailänder Anwalt Paolo Venini und der venezianische Antiquar Giacomo Cappellin ein Atelier, in dem sie fortan ihre grossen künstlerischen Ambitionen in der jahrhundertealten Tradition der Glaskunst verwirklichen wollten. Die Idee war von Anfang an, die kreativsten Köpfe und Hände Venedigs zu verpflichten; tatsächlich hat das Unternehmen in den 100 Jahren seines Bestehens zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Die Homo-Faber-Ausstellung konzentriert sich auf Vasen. Ein fast rauschhafter Reigen aus Farben und Transparenz – der noch dadurch verstärkt wird, dass die Vasen mit Bouquets der bekanntesten Blumenkünstler der Gegenwart bestückt werden.
Das Highlight Die doppelte Farbenpracht gibt einem das Gefühl, durch einen verwunschenen Garten zu wandeln. Wer nicht genug bekommt, besuche unbedingt noch den Venini-Flagshipstore (an der Fondamenta dei Vetrai 50). Die Preise können einem den Puls kurz in die Höhe treiben – aber schauen kostet ja nichts …
Fondazione Cini: „Blossoming Beauty“.
7. Federn
Die zarteste Form von Couture
Das gibts zu sehen
In einem Raum, der an Antonello da Messinas «Der heilige Hieronymus im Gehäuse» (1474, eins der ersten italienischen Gemälde in Öltechnik) erinnert, stellen 14 Exponenten der Fashionbranche hochraffiniertes Know-how vor: das Schmuckhaus Van Cleef & Arpels beispielsweise das Crimpen, also das Verbinden zweier Komponenten mittels plastischer Verformung, oder der Mailänder Lederwarenspezialist Serapian die Ledermosaiktechnik. Am schwersten beeindrucken dürfte aber das Federleichte: Das Pariser Unternehmen Lemarié, gegründet 1880, ist eines der weltweit letzten, das der delikaten Kunst der Federverarbeitung frönt. Seit 1996 gehört Lemarié, wo auch exquisite Textilblüten und Smokarbeiten (in Fältchen geraffte Stoffe) herkommen, zur Chanel-Gruppe.
Das Highlight
Das Winter-Brautkleid, in dem Luna Bijl als krönender Abschluss der HW-Show 2019/2020 von Chanel über den Catwalk schwebte. Der Jupe besteht aus Federn, die wie Schneeflocken zu Boden fallen.
Fondazione Cini: „Genealogies of Ornament“, kuratiert von der Engländerin Judith Clarck.
8. Fotografie
Kulturgut aus Fleisch und Blut
Das gibts zu sehen
In Japan, dem Gastland der aktuellen Homo-Faber-Ausgabe, werden die erfahrensten Kunsthandwerker als lebendes Kulturgut verehrt. Die Fotografin Rinko Kawauchi hat zwölf davon besucht und ihre Meisterschaft (etwa auf dem Gebiet der Keramik, der Lackarbeit, der Web- und der Färbekunst) festgehalten. Gleich nebenzu, im Cenacolo Palladiano (dem
ehemaligen Refektorium) sind zudem zwölf Perlen der japanischen Handwerkskunst zu sehen: Kimonos, ein Blumenkorb aus geflochtenem Bambus, eine Harfe aus Urushi-Lack … Das eher schlichte Cenacolo Palladiano beherbergte übrigens einst Veroneses berühmtes Gemälde «Die Hochzeit zu Kana». Heute ist hier nur noch eine Kopie zu sehen: Das Original fiel den Beutezügen Napoleons zum Opfer und hängt heute im Louvre.
Das Highlight Sonoko Sasaki (im Bild), 1939 in Tokio geboren und seit 2005 lebendes nationales Kulturgut, beherrscht uralte Textiltechniken wie das Weben von Seidenfäden in der Tsumugi-Tradition, um Pongé (Wildseide) herzustellen, aus dem Kimonos gefertigt werden.
Fondazione Cini: „The Ateliers of Wonders“.
9. Spiegel
Zauberhafte Reflexe
Das gibts zu sehen Exklusiv für Homo Faber öffnet eines der ältesten und angesehensten Ateliers von Venedig seine Türen für die Öffentlichkeit: Die Firma AAV Barbini Specchi Veneziani wurde zwar erst 1927 von Nicolò Barbini (1903-1985) gegründet; die Familie hatte sich aber davor schon während Jahrhunderten (!) einen Namen gemacht als Produzent von erstklassigem Spiegelglas. Heute führen die Erben von Nicolò das stolze Unternehmen. Im Rahmen der Messe geben sie Einblick in die verschiedenen Produktionsschritte, die es braucht, um einen Qualitätsspiegel herzustellen: von der Entwurfsskizze über den Glaszuschnitt bis hin zur Versilberung und Gravierung.
Das Highlight Ausgefallene Spiegel à gogo kontrastieren mit einem zeitgenössischen Interieur – und entführen die Besuchenden nach Indien, Marokko oder Saudi-Arabien – wo Palastwände traditionell mit kunstvollen Spiegeln geschmückt wurden – sowie zum spektakulären Königspalast in Bangkok.
Calle Dietro gli Orti 7, Murano. Besuch im April nur auf Voranmeldung (via www.homofaber.com) möglich.
10. Mosaik
Mustergültige Arbeit
Das gibts zu sehen
Bildende Kunst und Kunsthand-werk sind in einem ständigen Dialog. Genau diesen will der deutsche Designer und Innenarchitekt Sebastian Herkner mit der Ausstellung «Pattern of Crafts» beleuchten. Dazu hat er 18 Kreative eingeladen, das geometrische Muster des Vorplatzes der Basilika San Giorgio Maggiore neu zu interpretieren – mit dem Ziel , darauf aufbauend Dekorelemente zu schaffen, die sich in ein zeitgenössisches Interieur einfügen lassen. Die Vielfalt der vertretenen Techniken und Materialien ist grandios: von Glas und Mosaik über Holz, Tapeten bis hin zu Metall und Textilien. Sogar gewobene Algen sind dabei (von der Pariser Designerin Violaine Buet)!
Das Highlight Es wäre ein grober Fehler, nur den Vorplatz der Basilika San Giorgio Maggiore zu besuchen (auch wenn die Aussicht auf den gegenüberliegenden Markusplatz fantastisch ist!) und die im Jahr 1610 eingeweihte Kirche nicht auch zu betreten. In der majestätischen Basilika finden sich nämlich gleich zwei Meisterwerke von Tintoretto: «Die Mannalese» und «Das letzte Abendmahl».
Fondazione Cini, Sala Barbanti: „Pattern of Crafts“.
Ziel ist es zu zeigen, was der Mensch immer besser können wird als jede noch so ausgeklügelte Maschine