Sanft aktualisiert, tauchen plötzlich einstige Klassiker in den aktuellen Uhrenkollektionen auf. Eine Investition in die Nostalgie, die sich Ästhetisch und wirtschaftlich lohnt.

Der estrich ist die neue Wundertüte. Doch, wirklich! Dort holen sich die Uhrmacher derzeit ihre Inspiration. Denn dort finden sie schliesslich jene Ikonen, denen so manche Marke ihren Ruhm erst verdankt. Hier, die Reverso (Jaeger-Le Coultre, 1931)! Da, die Speedmaster (Omega, 1957)! Und schau, dort: die Daytona (Rolex, 1963)! In den letzten Jahren ist es unmöglich geworden, diese Kultmodelle auf Auktionen zu ersteigern. Um den Kunden ihren Uhrenklassiker-Traum dennoch zu erfüllen, bleibt also nur eins: eine Linie lancieren, die diesem Klassiker so nah wie möglich kommt.

Zumal man mit solchen Retro-Kreationen haufenweise Sympathiepunkte sammelt … Damit greift die Uhrenbranche die Strategie von Firmen wie Adidas auf, die 2014 ihren berühmten Stan Smith (1964) wieder auf den Markt brachte, den grössten kommerziellen Erfolg in der Geschichte des deutschen Sportgiganten. Oder Prada, wo die Bowling Bag (2000) 2020 ein tolles Comeback feierte. Oder Fendi: Die Baguette Bag hatte es schon 1997 zur It-Bag geschafft; warum sollte es 2020 nicht erneut zum Bestseller reichen? (Es reichte tatsächlich.)

Drei Vorteile, eine Voraussetzung

Der Trend gründet natürlich in der aktuellen Secondhand- und Vintage-Verliebtheit. Und weil die Uhrenmarken da nicht nur Zuschauer bleiben wollen, surfen sie noch so gern auf der nostalgischen Welle. Zumal ihnen daraus gleich ein dreifacher Vorteil erwächst: Erstens kommt ein solches ikonisches Modell mit nützlichem Gepäck daher, es gibt Skizzen dazu und Bilder davon.

Mit etwas Glück wurde das gute Stück sogar in Zusammenhang mit einem historischen Ereignis lanciert (Stichwort: Storytelling) – zum Beispiel die Omega Moonwatch, die 1969 am Handgelenk von Buzz Aldrin auf dem Mond landete! Zweitens hat die Neuauflage das Potenzial, sowohl beim jungen Publikum als auch bei den älteren Generationen zum Haben-wollen-Objekt zu werden. Und drittens braucht man sich so für einmal nicht den Launen einer allzu schnelllebigen Mode zu unterwerfen, sondern kann im Gegenteil die Konturen der eigenen Firmenidentität schärfen

Aber klar: Das funktioniert nur, wenn das entsprechende Modell jenen Grundstock an Modernität mitbringt, die ein einst avantgardistisches Design in ein auch gegenwärtig begehrtes überführbar macht.

Klassiker auf Diät

Das Rezept für das grandiose Comeback ist im Grunde einfach, aber es gilt, sich akribisch an folgende Punkte zu halten. Man weiche nicht zu sehr vom Referenzmodell ab, sondern füge sanfte Variationen hinzu: ein raffinierteres Zifferblatt, moderne Ziffern, einen neuen Durchmesser … Audemars Piguet etwa hat seine Royal Oak verkleinert und bietet ab diesem Jahr eine 34-mm-Version an. Gab IWC den Fliegern der 1940er-Jahre noch Riesendinger ans Handgelenk, damit sie die Zeit auf einen Blick ablesen konnten, wurde die Big Pilot nun auf Diät gesetzt: von 46 auf 43 mm.

Nächster Punkt: Man passe das Design an die Normen der Jetztzeit an. Sprich: Gehäuse und Armband dürfen gern viril sein, und trotzdem ist da zartes Perlmutt auf dem Zifferblatt. Dass die Neos mit den Kalibern der neuesten Generation ausgestattet sind, versteht sich von selbst. Das Sahnehäubchen? Man biete eine limitierte Auflage an, fasse eine Zusammenarbeit ins Auge, nutze ein Jubiläum – und schon schnellt die Nachfrage in die Höhe. Wenn einem all das gelingt, riecht es schon stark nach Erfolg. Vorausgesetzt natürlich, das Timing stimmt … Aber das muss man Uhrmachern eigentlich nicht beibringen.

Schwarz, einmal anders

Den Direktor des Uhren-Designstudios – Arnaud Chastaingt – zum Patron, ein schwarzes Keramikkleid, zwölf Farbakzente auf dem Zifferblatt, eine elektrisierende Lünette: Chanel hat seiner J12 aus dem Jahr 2000 (links) ein sehr vergnügtes neues Leben eingehaucht (2021, rechts). Alles an ihr ruft die Elektropop-Ära in Erinnerung, wobei die exzentrisch-bunten Details der emblematischen Farbe des Hauses Chanel – Schwarz – respektvoll den Vortritt lassen. «Bei uns gehen kreative Freiheit und die Exzellenz des Know-hows immer Hand in Hand», sagt Arnaud Chastaingt. Und so geben sich bei dieser Schönheit der Geist Coco Chanels und die Freiheit einer wild durchtanzten Nacht ein raffiniertes Stelldichein.

Chanel, J12 Electro, limitiert auf 1255 Stück, schwarze Keramik und Stahl, 38 mm, Automatikuhrwerk, wasserdicht bis 200 m, 7 550 Fr.

Eine, die das Extreme mag

Echte Fans erinnern sich natürlich an die ältere Schwester, die Heuer Ref. 844 (links). Bereits 1978 erforschte sie unerschrocken schwarze Untiefen und machte Berufstaucher glücklich. Die Version 2021 (rechts) verfügt über Super-LumiNova®-Indexe und -Zeiger, eine drehbare Lünette mit 60-Minuten-Skala sowie eine Wasserdichtigkeit bis 300 Meter. «Das ist die Uhr, die jede Herausforderung annimmt», sagt Frédéric Arnault, CEO von TAG Heuer. «Die Nachfolgerin eines heiss geliebten Modells, das nie zuvor modernisiert wurde. Für sie haben wir wieder die Grenzen des Machbaren verschoben, sie mit modernsten Funktionen ausgerüstet – und können deshalb stolz behaupten, hier eine Uhr vorzulegen, die Sie überallhin begleitet. Selbst in extreme Bedingungen.»

TAG Heuer Aquaracer Professionnal 300, limitiert auf 844 Stück, Titan, 43 mm, Automatikuhrwerk, wasserdicht bis 300 m, 4 250 Fr.

Schweres Design-Geschütz

Als Louis Cartier 1917 eine Uhr entwarf, deren Form von einem Panzer inspiriert war – genauer: einem Panzer aus der Vogelperspektive; die Seitenstege erinnern an die Raupenbänder, das Gehäuse an den Fahrerstand –, ahnte er nicht, dass sie dereinst zu einem Schlüsselstück der Marke werden würde. Seit 1977 Teil der Cartier-Must-Kollektion (links), hat sie es auch 2021 nicht nötig, sich gross neu zu erfinden. «Statt sie krampfhaft zu verjüngen, haben wir ihre Charakteristika liebevoll definiert», sagt Marie-Laure Cérède, Creative Director der Uhrenabteilung von Cartier. «Dazu gehören die perlierte, cabochonbesetzte Krone und die Rückkehr zur traditionellen Dornschliesse am Lederband.»

Cartier Tank Must, Stahl, 41 x 31 mm, Automatikuhrwerk, wasserdicht bis 30 m, 3 550 Fr.

Snowflakes sind hier nur die Zeiger

Diese Kollektion ist Adrenalin pur. Von der allerersten Oysterdate (1970, links) über die Prince Oysterdate (1995) bis zur neuesten Black Bay Chrono (2021, rechts): Sie alle sind eine Mischung aus Robustheit und Funktionalität. Die jüngste unter ihnen leistet sich als einzige Exaltiertheit kontrastierende Hilfszifferblätter. Das Hightech-Kaliber ist automatisch, mit Säulenrad und vertikaler Kupplung. Die berühmten Snowflake-Zeiger sind seit 1969 das Markenzeichen der Tudor-Taucheruhren, während das Design der Drücker von der ersten Chronographen-Generation der Marke inspiriert ist.

Tudor Black Bay Chrono, acier, 41 mm, Automatikuhrwerk, wasserdicht bis 200 m, 4 950 Fr.

Doppeltes Lottchen

Trotz des Markenlogos mit der geflügelten Sanduhr und dem Flair für die Luftfahrt gründet der Ruhm von Longines nicht nur in Pilotenuhren. Der Beweis ist die Legend Diver von 1959 (links). Und die neue Legend Diver Watch von 2021 (rechts)? Verfügt, wie das Original, über eine interne drehbare Lünette mit 60-Minuten-Graduierung und über zwei Kronen (eine auf 2 Uhr zur Betätigung der Lünette, eine auf 4 Uhr zum Einstellen von Uhrzeit und Datum). In Sachen Design unterstreichen das braune Zifferblatt und das passende Armband perfekt den Vintage-Charakter. So sieht die Erbin ihrer Inspiratorin zum Verwechseln ähnlich. Sie wollen «Such die zehn Unterschiede» spielen? Viel Glück!

Longines Legend Diver Watch, Stahl, 42 mm, Automatikuhrwerk, wasserdicht bis 300 m, 2 260 Fr..

Liebe Sammler, macht euch startklar

Voilà: ein Mythos! Breguet hat mit der Type XX aus den 1950ern (links) wohl das bei Sammlern am meisten begehrte Modell geschaffen. Erst flog es in Cockpits von Militärflugzeugen mit, dann wanderte es an die Handgelenke von Zivilpiloten – und schliesslich eroberte es die Herzen der Liebhaber feiner Mechanik. Wir sprechen hier also mitnichten von irgendeinem Chronographen. Verständlich, dass die Marke der Legende im Jahr 2021 mit der Type XXI 3815 (rechts) Tribut zollen will. Deren Design ist moderner und viriler als das seiner Vorgängerin, mit einer noch dezidierteren sportlichen DNA. Die historische Flyback-Funktion erinnert daran, dass ihre Wurzeln – nun ja: über den Wolken liegen.

Breguet Type XXI 3815, limit. auf 250 St., Titan, 42 mm, Automatik, wasserdicht bis 100 m, 14 500 Fr.

Sein grünes Wunder erleben

Zunächst mal ist da dieses dunkle Grün, das an die Kiefernwälder rund um die Manufaktur von Jaeger-Le Coultre im Vallée de Joux denken lässt. Dann diese Art-déco-Aura! Genau wie Original, das 1931 auf einem Polofeld erdacht wurde (links), wohnt auch dem Modell von 2021 (rechts) eine zeitlose Eleganz inne. Kurz: Die Reverso ist wahnsinnig gut gealtert. Kein Wunder, entdeckt man sie an den Handgelenken eleganter Menschen jeden Alters. Und weil es die Neo-Reverso in mehreren Ausführungen gibt, stört es auch niemanden, das gleiche Modell wie der Nachbar zu tragen.

Jaeger-LeCoultre Reverso Tribute Small Seconds, Stahl, 45.6 x 27.4 mm, Uhrwerk mit Handaufzug, wasserdicht bis 30 m, 8 150 Fr.