Sie ziehen gemächlich durch die Schneelandschaften des Saanenlands: Die Schlitten der Kutscherei Reichenbach sind untrennbar mit dem winter in Gstaad verbunden und werden von jeher in der Werkstatt des Familienchalets hergestellt.

Die schneebedeckten Berge. Die mit Raureif behangenen Bäume. Die rauchenden Nüstern der Pferde. Die eingefrorene Landschaft des Saanenlandes bildet die Kulisse für eine romantische Fahrt im Stil von Doktor Schiwago. Kutschentouren rund um Gstaad gehören zu den Klassikern in der Weihnachtszeit. Der 48-jährige Ueli, der die Kutscherei Reichenbach leitet und meist anstelle des Kutschers das Gespann führt, hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht, als er 1992 das Unternehmen für Pferdeausritte gegründet hat. Im Sommer kutschiert er Gäste in Galaroben zu Festen und Hochzeiten. Im Winter hingegen bringen seine romantischen Schlitten die Gäste in die Stille der Natur.


Der erste Frost ist noch weit entfernt, als wir an diesem Herbsttag die kleine Strasse entlangfahren, die das Zentrum von Gstaad mit dem Chalet der Familie Reichenbach in Lauenen verbindet. Auf den umliegenden Wiesen grasen Kühe, die Blumenkästen sind noch voller Geranien, die kleinen Fenster zieren Vorhänge – das Hauptquartier des Familienunternehmens hat sich seine Authentizität bewahrt. Ueli, der von seinem treuen vierbeinigen Freund begleitet wird, hat das wettergegerbte Gesicht eines Menschen, der seine ganze Zeit an der frischen Luft verbringt. Unter seiner Tweedmütze blitzen eisblaue Augen hervor. Wenn es darum geht, uns in die Geheimnisse der Schlittenherstellung einzuweihen, ist er anfangs zurückhaltend. Die ersten Fragen werden auf Bärndütsch beantwortet. Auch wenn das Unternehmen alle Nationalitäten transportiert: Seine Produkte sind 100   Prozent made in Saanenland.

Die Liebe zum Pferd

Ueli Reichenbach hat sein ganzes Wissen von seinem Grossvater, der Karren für die Landarbeit herstellte, und von seinem Vater Ernst, der ebenfalls geschickte Hände hatte. Er beobachtete die sicheren Bewegungen der beiden und hörte sich die Ratschläge an, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Der leidenschaftliche Pferdeliebhaber stellt nur Schlitten her, um seinen eigenen Betrieb am Laufen zu halten: «Ein Pferdeschlitten von uns ist sowieso unverkäuflich, weil er viel zu teuer wäre. Es ist alles Handarbeit, es stecken viele Stunden Arbeit darin, mindestens sechs Monate braucht es, bis wir eine Kutsche gefertigt haben. Wer sich heutzutage eine zulegen will, kauft sie in Ländern, in denen Arbeit und Rohstoffe billiger sind, bei Herstellern, die industrialisierter produzieren», erklärt er, während er die Türen zu seiner kleinen Werkstatt im Erdgeschoss des Chalets öffnet.

Hier haben der Handwerker und sein Vater gemeinsam jedes der fünf Modelle gebaut, mit denen die Winterwanderungen durchgeführt werden. Bei fahlem Glühbirnenlicht auf einer Werkbank, die von den Jahren poliert wurde und mit Holzwerkzeugen vollgestopft ist. Die Arbeit an den Fahrzeugen aus Eschenholz, das für seine Festigkeit und seine Elastizität bekannt ist, hat viele Tage und Nächte in den Zwischensaisons gefüllt. Die einzige Voraussetzung? Sie mussten bereit sein, wenn die ersten Schneeflocken fielen.


Die nach Schablonen, die seit Jahrzehnten als Massstab dienen, zugeschnittenen Teile werden in einer ganz bestimmten Reihenfolge zusammengesetzt: «Es ist wie ein Haus, vom Boden bis zur Decke. Hier beginnen wir mit den Kufen, dann den Beinen, dem Rahmen und schliesslich den Bänken. Der letzte Schliff kommt mit dem Anstrich und der Dekoration mit den Schaffellen, die warm halten sollen.» Die verschiedenen Teile des Schlittens sind erstaunlich komplex: «Für eine Tür braucht man 57 verschiedene Teile», erklärt Reichenbach. Die Schlitten werden von kräftigen Freibergern gezogen, die er und seine Familie im Stall hinter dem Chalet züchten und einreiten.


Dank eines ausgeklügelten Systems von abnehmbaren Rädern sind die Pferde in der Lage, ihre Fahrt fortzusetzen, wenn der Schnee, wie es immer häufiger der Fall ist, auf sonnigen Abschnitten der Strecke schmilzt. Ein Fahrzeug, das fast so alt ist wie die Mobilität und sich im Handumdrehen an neue Gegebenheiten anpasst – die Schlitten werden uns noch lange begleiten.

Abschliessend wird rote und grüne Farbe auf die Kutsche aufgetragen.

Ueli Reichenbach

Weil er kein Bauer werden wollte und Pferde seine Leidenschaft waren, fing Ueli 1992 mit gerade einmal 16 Jahren an, seine ersten Passagiere zu befördern. Seitdem ist die Familie Reichenbach – Brüder, Schwestern, Väter, Cousins und Cousinen – dank der alten Kutschen und selbstgebauten Schlitten nicht mehr zu bremsen. Zu ihrer Kutscherei gehört auch das Bochtehus Beizli, ein über 300 Jahre alter Bauernhof am Fusse des Naturschutzgebiets Rohr, wo die Passagiere und andere Besucher mitten im Nirgendwo eine Mahlzeit zu sich nehmen können.