Skifahren prägt die Geschichte der Schweiz. Eine Studie beschreibt die grossen Trends und Anekdoten aus der Vergangenheit. Derweil entsteht ein neuer Skiluxus.

Auf dem Mast einer Sesselbahn in St. Moritz machen der elegante rote Streifen und das Prada-Logo deutlich: Skifahren ist nicht mehr nur ein Sport, sondern eine Lebenseinstellung.

Seit einigen Saisons haben sich die Codes des Wintersports stark in Richtung Luxus verschoben, mit einer Vielzahl grosser Modemarken, deren Logos plötzlich auf Outfits zu finden sind, mit denen man die Pisten hinuntersausen kann: Coco Neige, Armani Neve, Prada, Louis Vuitton, Moncler… Verbindet man dieses Phänomen mit der explosionsartigen Zunahme der Vier- und Fünfsterne-hotels in den Bergen (235 im Jahr 2010; 305 im Jahr 2023, laut dem «Blick») und der Verteuerung der Tageskarten, ist die Sache klar: Skifahren, der Schweizer Nationalsport, wandelt sich von einem beliebten Freizeitvergnügen zu einem elitären Privileg.

1909

Zu Beginn des letzten Jahrhunderts wurde der Wintersport stark gefördert, auch zur Unterstützung der Berghotels, die es wagten, während der kalten Jahreszeit zu öffnen. Man pries die Reize der unberührten Gipfel und die Technologie, die es ermöglichte, sie zu erreichen.

Da kommt eine spannende und lebhaft geschriebene Studie über die Rolle des Skisports bei der Herausbildung der nationalen Identität gerade recht. «La civilisation du ski» (Ed. Savoir Suisse) wurde von Westschweizer Historikern – leider nur auf Französisch – verfasst, die sich auf Sport und Tourismus spezialisiert haben. Zusammen mit Laurent Tissot und Jean-Philippe Leresche hat Grégory Quin, ein Experte für Bergsport, Archive und Publikationen durchforstet und ist zum Schluss gekommen, dass man das Skifahren innerhalb der Schweizer Bevölkerung tatsächlich als «zivilisatorisch» bezeichnen kann.

«Dieser Sport stellt ein extrem starkes Bindeglied dar», erklärt der Lausanner Forscher, «denn er vereint das ganze Land in einer kollektiven Erinnerung, sei es durch die persönlichen Erfahrungen beim Skifahren oder durch die Emotionen, die grosse Champions hervorrufen.» Auf den verschneiten Alpbetrieben des Berner Oberlands, des Graubündens und des Wallis ist also ein bestimmtes Bild entstanden, das sich die Schweiz von sich selbst gemacht hat, jenseits sprachlicher, sozialer oder politischer Unterschiede. Die einenden Werte: Leistung, Gesundheit, Reinheit, Freiheit. Selbst der Komfort in den Hütten wird mit der «Skination» verbunden.

1970

Helden des Schweizer Skisports (hier Bernhard Russi): Die Schulen unterbrechen manchmal den Unterricht am Samstagmorgen, damit die Rennen verfolgt werden können.

Quin siedelt den Höhepunkt dieser Zivilisation in den 1970er-Jahren an. Eine Zeit, in der alle Klassen ins Skilager fuhren und das ganze Land für die Helden und Rivalen Bernhard Russi und Roland Collombin schwärmte. «Die nationale Identität hing auch von symbolischen Details ab», erklärt Quin. Im Skigebiet Portes du Soleil besassen die Schweizer Schlepplifte Bügel, auf der französischen Seite Teller.

Kleine und grosse Geschichten

Die Grundzüge der Geschichte des Skisports in der Schweiz sind bekannt: vom Einfluss englischer Sportler auf der Suche nach neuen Abenteuern in den 1860er– Jahren über die Demokratisierung des Wintersports nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis hin zur aktuellen Klimakrise, die sowohl das Wirtschaftsmodell als auch die Umweltverträglichkeit infrage stellt. Die grosse Stärke dieses kleinen populärwissenschaftlichen Buches besteht jedoch darin, wenig bekannte Fakten zu dokumentieren, die das Gesamtbild bereichern.

1979

Die Nachkriegszeit markiert den Übergang zum Massensport. Der Film «Les bronzés font du ski» (1979) hält die ausgelassene Sportkultur fest.

Der Essay basiert auf einer umfangreichen Gemeinschaftsarbeit von mehr als 24 Autoren, die vor zwei Jahren veröffentlicht wurde, auch auf Deutsch. Er richtet den Scheinwerfer auf Zahlen, Fakten und bisher unbekannte Details. Etwa dass der Aufschwung der Berghotellerie zum Teil auf religiöser Inbrunst (gepaart mit Geschäftssinn) beruht. Der Engländer Henry Lunn brachte Ende des 19. Jahrhunderts spirituell interessierte Touristen in ökumenischen Lagern in den Alpen unter. Der Tourismus- und Seelenunternehmer glaubte an die Kraft der unberührten Landschaft. Er investierte in Hotels und Sportanlagen, sodass seine aristokratische Kundschaft zeitweise die Hälfte der Unterkünfte in den aufstrebenden Ferienorten belegte.

St. Moritz war Anfang der 1930er-Jahre das erste Skigebiet, das einen Plan der mit Ski erreichbaren «Schneefelder» veröffentlichte. Und die heute so viel diskutierten Schneekanonen? Die allererste in Europa wurde 1968 installiert – im Chalet-à-Gobet oberhalb von Lausanne. Ganze Generationen erinnern sich noch daran, wie sie dort auf einer kurzen Piste das Skifahren lernten. Hinaufgezogen von einem Seil, das den Spitznamen «Handschuhreisser» trug.

2024

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts liegt immer weniger Schnee und die Berge diversifizieren sich, es kam zu einer «Festivalisierung» der Pisten. Man schnallt sich die Ski an, um auf den Terrassen mit DJs in der Sonne zu feiern.

Welche Entdeckung hat Quin während seiner Recherchen am meisten überrascht? «Zweifellos das Ausmass der wirtschaftlichen Rentabilität», sagt der Historiker. «Die Berge waren im Sommer immer stärker frequentiert als im Winter, die Schweizer Sportler haben bei den Sommerspielen mehr Medaillen gewonnen als bei den Winterspielen, aber der Wintertourismus ist bis zu dreimal so rentabel.»

Ein Beispiel: der Mini-Skilift hinter dem Hotel «Suvretta» in St. Moritz, dessen wirtschaftliche Bilanz Ende der 1930er-Jahre 200’000 Franken betrug, doppelt so viel wie die des internationalen Fussballverbands damals. Es scheint, dass noch Dutzende von Laufmetern an Archiven in den Skigebieten entschlüsselt werden müssen.