Inspiriert von der Kunst des Origami, legt Eva Ott in Basel Kleider und Röcke in Falten. Ihre Plisseebrennerei ist das einzige Auftragsatelier seiner Art in der Schweiz.
Ihre Leidenschaft ist messbar, ablesbar in Millimetern und Zentimetern. Sie ist ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Ein dünnes Massband zieht sich als Tattoo von Eva Otts Hals den Rücken hinunter, verziert in dunkler Tinte die Wirbelsäule. «Solange ich denken kann, habe ich an Nähmaschinen gesessen», erzählt Ott, während sie eine Rolle Karton aus einem Regal zieht. «Meine Mutter war ebenfalls Schneiderin, schon als Kind veranstaltete ich mit den Nachbarskindern ständig Modenschauen.»
Seit Anfang 2020 aber ist alles anders – seitdem hilft Ott anderen Designerinnen und Designern, auf dem Laufsteg zu glänzen. Vor vier Jahren hat sie in Basel die Plisseebrennerei übernommen, die ursprünglich 1920 in Zürich gegründet wurde. Seither legt die 47-Jährige Kleider, Blusen und Röcke in Falten. Aber nicht nur. Auch plissierte Trainerhosen von Adidas hängen am Kleiderständer in ihrem Atelier, das nur ein paar Schritte von der Markthalle entfernt liegt. «Ich möchte zeigen, dass Plissees zeitgemäss sind, und gestalte deshalb in Kooperation mit einer Kollegin auch Vintagemode um.»
Die Schablonen werden aus flexiblem, wasserabweisendem Karton gefertigt und mit einem Plotter gerillt.
Die Einkerbungen werden mit einem Falzbeil aus Knochen gefalzt.
Plissees werden nur von Schotten und Grosis getragen? Das Klischee hat Ott spätestens widerlegt, seitdem die Zürcher Designerin Yvonne Reichmuth vergangenes Jahr mit von der Plisseebrennerei veredeltem Leder den «Swiss Design Award» gewann. Genauso wie die Modedesignerin Anastasia Bull, die gerade zur Tür hereinkommt. Kennengelernt haben die beiden sich an der Basler Hochschule für Gestaltung, wo Ott mehrere Jahre das Nähatelier leitete. «Evas Leidenschaft für Plissees ist auf mich übergesprungen», sagt Bull und lacht. Dann zieht sie einen roten Stoff mit Moiré-Maserung aus der Tasche, der heute das erhalten soll, was die meisten Menschen im Gesicht verhindern wollen. «Ich habe ihn in den USA bestellt, nur noch wenige Firmen stellen ihn her.»
Seltenes Handwerk
In der Schweiz ist die Plisseebrennerei in Basel das letzte Auftragsatelier seiner Art. Zu Otts Auftraggebern gehören Theater, Modeschaffende, Trachtenvereine, aber auch Privatpersonen. Wolle, Leder, Seide – theoretisch kann jeder Stoff plissiert werden, am besten halten die Kunstfalten jedoch auf – man verzeihe! – Polyester. «Mich fasziniert das Handwerk. Wenn man es nicht am Leben erhält, existiert es irgendwann nicht mehr.» Auch ein Grund, warum sie ihr Wissen in Workshops weitergibt. Was man mitbringen muss? Kreativität und Fingerspitzengefühl. «Für die Schablonen hole ich mir Inspiration bei Origamikünstlern wie Tomoko Fuse», sagt Ott und zeigt auf einen dicken Wälzer im Bücherregal.
Wir Origami wird die Schablone gefaltet.
Zunächst entwirft sie ein Muster auf Papier, überträgt es dann auf dem Computer digital und plottet es aus. Auf einen Karton, der besonders hitzebeständig und wasserabweisend ist. «Er muss aber dennoch Feuchtigkeit an den Stoff durchlassen.» Mit einem Falzbeil aus Knochen falzt sie anschliessend die Einkerbungen, um den Karton besser falten zu können. Rund 200 Schablonen lagern in Otts Archiv: Schuppen- und Sonnenplissees, Tollfalten, Akkordeonfalten … Maschinell gefertigte Plissees, wie sie etwa beim Label von Altmeister Issey Miyake zum Einsatz kommen, langweilen sie. Denn: «Per Hand kann ich viel spannendere Muster kreieren!»
Der Stoff wird zwischen die Ober- und Unterseite der Schablone gelegt, diese müssen exakt passen.
Bulls Stoff erhält heute ein Doppelfischgrat. Nachdem die Unterseite der Schablone am Tisch befestigt ist, wird der Stoff über ihr ausgebreitet und anschliessend mit der passenden Oberseite «gedeckelt». Ott und Bull achten penibel darauf, dass die Schablonen exakt übereinander liegen. Gewichte aus Blei sorgen dafür, dass auch ja nichts verrutscht. Sitzt alles? Dann werden Stoff und Karton wie ein Fächer zusammengeschoben und mit Kabelbindern und Schnürsenkeln fixiert. Im letzten Schritt wird das «Päckli» für zwei Stunden im Dampfschrank bei hundert Grad Celsius aufgehängt. Über Nacht kühlt das Plissee ab. «In der Regel kann ihm selbst die Waschmaschine jetzt nichts mehr anhaben», so Ott, die schon für die Spice Girls Plisseekleider angefertigt hat, für die Reunion-Tour 2019.
Zum Schluss wird das „Päckli“ für etwa zwei Stunden in den Dampfschrank gehängt.
Der Entwurf von Bull wird erstmals an der «Mode Suisse» in Zürich zu sehen sein, als Oberteil eines Kleides. «Wie eine Rüstung, die Stärke verleiht», so die Modedesignerin. Das Skulpturale, der 3-D-Effekt, ist es auch, das Ott so reizt. «Ich liebe alles, was mit Geometrie zu tun hat, alles Mechanische», sagt sie und zeigt schmunzelnd auf das Tattoo auf ihrem rechten Fuss: eine Legofigur.