Die künstlerische Leiterin von Dior Maison und Baby Dior, Cordelia de Castellane, widmet ihr neues Buch ihrem Garten - ihrer grossen Leidenschaft.

Ein makellos weisser Schreibtisch steht vor einem Panoramafenster, durch das Licht flutet. Nur einen Steinwurf vom Arc de Triomphe entfernt, entwirft Cordelia de Castellane zarte Dekors für Teller oder kleine mit Blumenstickereien verzierte Kleider. Doch die künstlerische Leiterin von Dior Maison und Baby Dior benötigt auch manchmal – um nicht zu sagen oft! – Auszeiten vom trubeligen Paris. Dann zieht es sie gen Norden. Nahe Chantilly, eine Stunde von Paris entfernt, steht ihr Landhaus. Oder besser gesagt: ihr Garten, ihre kreative Oase.

Denn die meiste Zeit verbringt Cordelia de Castellane an der frischen Luft, umgeben von Blumen. Auf zwei Hektar wachsen Dahlien, Lilien und Hortensien, die sie für ihr kleines Blumencafé in der Rue du Bac anpflanzt, das sie vor Kurzem unweit des Musée d’Orsay eröffnet hat. Ihre Leidenschaft für die Botanik hat sich schon früh entwickelt, bewässert von ihren Grosseltern und Spaziergängen in den Schweizer Bergen.

Nein, langweilig wird der Cousine von Victoire de Castellane, künstlerischer Leiterin des Schmucks bei Dior, so schnell nicht. Dennoch hat sie Zeit gefunden, die Feder in die Hand zu nehmen, um über ihren Garten zu schreiben. «Flower Couture: From My Garden to My House» ist eine Hommage an die Blumen, mit denen sie ihr Leben und ihr Zuhause verschönert. Und bald auch das unsere, dank jeder Menge Tipps.

Maiglöckchen, die Lieblingsblume von Monsieur Dior, schmücken diese Vase aus der Kollektion Lily Dior.

Wie lange haben Sie an dem Buch gearbeitet?

Rund eineinhalb Jahre. Ich wollte nach und nach Fotos sammeln, im Wechsel der Jahreszeiten. Einige habe ich persönlich aufgenommen, andere stammen vom Fotografen Billal Taright. Er besuchte mich jeden Monat, um die Blumen, die Pflanzen und die Entwicklung des Gartens zu fotografieren.

Ist das Buch eine Einladung, zu entschleunigen?

Ja, es geht darum, zum Wesentlichen zurückzukehren. Ich spreche viel über meine Ideen, die Dekoration, ich wollte meinen kreativen Weg aufzeigen. Die Natur hat mich seit meiner Kindheit am meisten beeinflusst. Ich wollte diesen Teil meines Lebens mit den Leserinnen und Lesern teilen, der letztlich viel privater ist als mein eigenes Zuhause. Denn mein Zuhause ist nur das Ergebnis dessen, wo alles beginnt – im Garten.

Sie haben kürzlich ein Café im Herzen von Paris eröffnet, in dem Sie die Blumen aus dem Garten Ihres Hauses verkaufen. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Ich bin in den Bergen aufgewachsen, habe viel Zeit in der Schweiz, in den Waadtländer Alpen verbracht. Ich war oft bei meinen Grosseltern, allein, da ich keine Geschwister habe. Mein Grosi malte, gärtnerte, pflückte Blumen, sie brachte mir ihre Namen bei, wir machten Herbarium. Damals gab es kein Instagram, aber es gab all diese Dinge, die wir mit den Händen machten. Sie versuchte immer, Aktivitäten rund um die Natur zu finden. Es waren sehr glückliche Jahre, die ich dort verbracht habe. Und ich denke, das ist ein bisschen meine «Madeleine de Proust», es ist zu meinem Leitfaden geworden. Und meiner Mutter geht es genauso mit den Blumen. So habe ich das Gärtnern entdeckt, sie kümmerte sich immer um ihre Rosen und Kamelien. Das ist etwas, das meine Kindheit geprägt hat und mich mein ganzes Leben begleitet hat. Letztendlich denke ich, dass Blumen die schönsten Musen der Welt sind. Es gibt einen Grund, warum alle grossen Künstler versucht haben, sie zu malen, zu fotografieren oder in der Mode darzustellen.

Der Cordelia Coffee Flower shop bietet Blumen aus dem Anwesen der künstlerischen Leiterin an.

Fasziniert Sie eine Blume besonders?

Ich liebe alle Blumen, aber ich muss gestehen, dass ich ein kleines Faible für Dahlien und für Iris habe. Ich habe davon viele in meinem Garten.

Welcher ist für Sie der schönste Garten der Welt?

Highgrove, der Garten des englischen Königs. Ein sehr schöner, sehr nachhaltiger Garten. Charles III. entwickelt ihn seit 30 Jahren. Er ist wahnsinnig gut gestaltet und durchdacht.

Gestalten Sie Ihren Garten auch möglichst umweltfreundlich?

Ja, das ist mir wichtig. Das ist auch die Botschaft in meinem Buch. Aufzuzeigen, dass die Natur uns das Schönste gibt, was die Welt zu bieten hat. Für uns Schaffende ist sie eine immense Inspirationsquelle, die man bestmöglich bewahren muss. Ich finde, diese starke Botschaft sollte man auch mit einer Modefirma übermitteln, die sehr viel bewegt und Ressourcen verbraucht. Übrigens war Monsieur Dior selbst ein Mann der Erde, das sollte man nicht vergessen. Er liebte die Natur, er liebte sein Haus, er bewahrte es sehr. Das ist die Botschaft, die ich bei Dior zu vermitteln versuche.

Eine der letzten Kollektionen, die Sie für Maison Dior kreiert haben, dreht sich un die „Gris-gris“. Talismane waren Monsieur Dior sehr wichtig, weil er sehr abergläubisch war. Sind Sie es auch?

Oh ja, absolut. Wissen Sie, ich bin jetzt fast 15 Jahre hier und ich glaube, ich hätte Dior nie so stark begleiten und mich so stark mit dem Haus identifizieren können, wenn wir nicht all diese gemeinsamen Leidenschaften hätten. Ich meine, Monsieur Dior wacht wie ein guter Freund über mich. Ein Mentor für alle, aber er ist ein bisschen mein «Geisterfreund», weil wir beide abergläubisch, kinderlieb und genussfreudig sind bzw. es waren. Und dann unsere Leidenschaft für die Blumen. Ich denke, die Erde, die Natur ist unsere Therapie. Wir sind übrigens beide Wassermänner. Er hatte eine sehr ängstliche, ziemlich besorgte Seite, und ich glaube, der Kontakt zur Natur hatte einen beruhigenden Einfluss auf ihn. Er arbeitete am Wochenende viel auf dem Land. In diesem Raum hier (Anm. d. Red.: Sie zeigt mit der Hand über ihr sehr helles Büro, das an die Ateliers von Baby Dior und Dior Maison grenzt) kreiere ich nicht wirklich viel. Ich habe das Gefühl, einen ständigen und offenen Dialog mit dem Hüter des Hauses zu führen.

Teller aus der neuen Kollektion „Les Gris-gris de Monsieur Dior“

Wo finden Sie Ihre Inspiration?

Wissen Sie, wir sind Vampire, wir ernähren uns von allem: von einer Person, die auf der Strasse vorbeigeht, von einem bestimmten Licht, einem Detail. Die Reisen sind das, was dem Motor Antrieb gibt, um die Fantasie anzukurbeln. Ich kreiere viele Kollektionen für Baby Dior und Dior Maison, mein Geist ist an diesen Rhythmus gewöhnt. Und wenn er sich ab und zu ein wenig müde fühlt, dann gehen wir spazieren, frische Luft schnappen, um mit klareren Ideen zurückzukommen.

Wo verloren Sie sich?

Bei Ihnen in der Schweiz. Natürlich verbringe ich viel Zeit in meinem Garten, aber mein Zuhause des Herzens ist für mich tatsächlich die Schweiz. Dort fühle ich mich am wohlsten auf der Welt. Ich bin die Hälfte der Zeit dort, und meine Kinder gehen dort zur Schule. In der Schweiz muss ich mich nicht wirklich um einen Garten kümmern. Ich bin dort aufgewachsen, es gibt viele Dinge, die mich beruhigen, vielleicht wegen der Berge. Im Frühjahr, wenn die Narzissen einen Teppich bilden, sind die Berge rund um Montreux wunderschön. Ich mache viele Spaziergänge mit meinem Hund Mowgli in den Waadtländer Alpen.

Kommen wir zum Tisch: Was sind für Sie die Geheimnisse einer gelungenen Tafel?

Zuerst sollte man nicht eine Familientafel mit der Tischdekoration für ein Event verwechseln. Wenn man rund 600 Personen einlädt, eine aussergewöhnliche Szenerie schafft, ist das etwas anderes, es ist alles durchdacht, es wird ein Bild geschaffen, das Emotionen weckt. Ich sage immer, zu Hause machen wir keine Events. Man sollte die Dinge einfach halten, das gehört zum Chic. Danach arbeite ich eher nach Gefühl, ich denke nicht zu viel über meine Tischdekoration nach – auch wenn das vielleicht nicht so aussieht! Ich beginne oft mit den Blumen, natürlich saisonal. Und dann schaue ich, ob ich Lust habe, eine Tischdecke zu verwenden oder nicht. Ich wähle Teller aus, bei denen ich die Farben nicht unbedingt mit denen der Blumen abstimme. Ich mag den Kontrast. Es ist wichtig, eine schöne Basis zu haben. Man kann tricksen und Dinge haben, die ein bisschen flohmarktmässig sind, nicht sehr teuer, von kleinen Marken, Zara Home zum Beispiel. Aber es ist wie mit dem Kleiderschrank: Eine Frau sollte ein hübsches schwarzes Kleid in ihrer Garderobe haben, drei oder vier essenzielle Kleidungsstücke. Schöne Gläser, schönes Besteck, das man kombinieren kann, um einen Tisch aufzuwerten. Und das Licht ist extrem wichtig. Ich dämpfe es gerne mit Kerzen. Ein gelungener Tisch ist, wenn es gut schmeckt und wenn Menschen, die man liebt, anwesend sind, viele Lacher, ein bisschen Wein, ein gebratenes Poulet, Käse, Brie, eine Mousse au Chocolat … Das gefällt auch meinen Kindern.

Dior steht für eine gewisse Vorstellung von französischer Eleganz. Wie würden Sie diese definieren?

Ich würde sagen, es ist etwas, das keinerlei Anstrengung zeigt. Die französische Eleganz sieht man nicht. Man fühlt sie, aber man sollte nicht merken, dass etwas Mühe gemacht hat, damit es elegant wirkt. Ich denke, das ist ein bisschen der französische Chic. Das «Zuviel», das «Ich habe es versucht» oder das «Ich habe mir den Kopf zerbrochen» sollte man vermeiden. Die Dinge geschehen einfach und natürlich.

Für Sie ist Handwerkskunst das Wichtigste?

Ohne die Handwerker bliebe alles auf dem Papier. Sie sind die wahren Zauberer. Ich habe grossen Respekt und eine immense Bewunderung für das Handwerk, insbesondere das französische und das italienische. Es ist die Stärke von Dior, talentierte Menschen einzubeziehen, um etwas auf eine magische Art zu erschaffen, das von hoher Qualität ist, das von Generation zu Generation weitergegeben wird. Ein Kleid von Baby Dior, ein Objekt von Dior Maison: Das sind keine Konsumprodukte, man sammelt sie, man bewahrt sie auf. Ich habe meine Kinder in meine eigenen Kleider von Baby Dior gekleidet. Heute bin ich die Hüterin dieser Qualität, das ist mir wichtig. 

Ab in den Garten

Cordelia de Castellane hat für ihr Buch „Flower Couture“ (Rizzoli-Verlag) die Türen zu ihrem üppigen Garten weit geöffnet. Eine Einladung, sich die Hände schmutzig zu machen – auf die schönste Art und Weise.