Um das kreative Schaffen im Senegal zu würdigen, hat Chanel mit der Austellung "sur le fil" einen Dialog zwischen Paris und Dakar initiiert, der internationale Künstler und Kunsthandwerker zusammenbringt.

Fische und Sterne schweben durch die Luft, die Hitze treibt Schweissperlen auf die Stirn. Einem Mobile gleich hängen die Tiere und Himmelskörper an unsichtbaren Fäden von einem Affenbrotbaum, der in Jeansstoff gekleidet ist. Keine Rinde, sondern Jeans?

Der «angezogene» Baum ist ein textiles Kunstwerk, das von einer neuen Vision von Kunst, Mode, Inspiration und Wiederverwertung erzählt. Das Werk stammt von der senegalesischen Modedesignerin und Filmemacherin Selly Raby Kane und ist im Rahmen der Ausstellung «Sur le fil» zu sehen. Ihren Auftakt feierte die Schau Anfang Jahr in Dakar, bevor sie im Mai nach Paris weiterzieht.
Die Eröffnung im Senegal stellt einen Meilenstein dar, ist eine Anerkennung des kreativen Schaffens und des handwerklichen Know-hows, das die lokale Modeszene prägt. Die Gärten des Museums Théodore-Monod für afrikanische Kunst im Herzen des Stadtviertels Plateau sind grüne Inseln im Grossstadtdschungel. Hier hat der Affenbrotbaum in seinem seltsamen Traumwald Wurzeln geschlagen. Kane war nicht die einzige Künstlerin, die dem Ruf der Galerie 19M folgte. Unter ihrem Dach vereint Chanel all seine Kunsthandwerke.

Jetzt trat sie zum ersten Mal aus ihren Pariser Mauern heraus. Die Ausstellung umfasst rund 40 Werke, die aus der Zusammenarbeit von 28 Designern hervorgegangen sind. Die Jeanskomposition verkörpert den Geist der Veranstaltung, die sich auf das traditionelle Textilhandwerk konzentriert, aber in einer fast spirituellen Dimension: «Das Mosaik aus gebrauchtem Denim ruft Nostalgie und Spiritualität hervor», so die Designerin bei der Vernissage. «Es ist auch eine Anspielung auf Baye Fall, eine Sufi-Bruderschaft, die Kleidung aus Patchworkstoffen trägt.»

Die humanistischen Werte des Kunsthandwerks

Stoffe, Geschichte, Spiritualität, Mode: Die Auswahl der Werke und Kunstschaffenden erwies sich als heikel. Zwangsläufig – wie immer, wenn die westliche Welt versucht, über die jahrhundertealten Web-, Stick- und Färbetechniken hinaus die Seele eines ehemaligen Kolonialstaates zu erfassen. In diesem Fall den kreativen Reichtum und die humanistischen Werte des senegalesischen Kunsthandwerks.

Die Unterstützung des IFAN, Institut Fondamental d’Afrique Noire, erwies sich dabei als wertvoll, ebenso die Arbeit eines lokalen Komitees, zu dem auch der Soziologe Riad Fakhri als Programmdirektor gehörte. Die Ausstellung umfasst Arbeiten von 19 Senegalesen und neun weiteren Künstlern aus Frankreich, Bolivien, Südafrika und Mali. «Wir wollten kein Projekt aus Paris importieren», erklärt Fakhri. «Daher haben wir ein sehr inklusives Programm zusammengestellt, in dem zwei Arten von Berufen – Handwerker und Künstler – und zwei Orte – Paris und Senegal – nebeneinander existieren. Hier sind Künstler vertreten, die bereits Web- und Sticktechniken in ihren Werken verwenden, und andere Künstler, die wir mit Handwerkern zusammengebracht haben, wie dem Franzosen Julian Farade, der Baumwollpagnes bemalte, die normalerweise zum Tragen von Babys bestimmt sind.

Anschliessend wurden sie von der Designerin Khadija Ba und den Stickerinnen aus Ngaye Méckhé in der Region Thiès bestickt.»

Dakar als neuer kreativ Hub

Das Haus Chanel wollte den Dialog mit der Hauptstadt Dakar aufnehmen, weil der Senegal eine uralte Tradition in Sachen Webkunst und Stickereien besitzt. Und so wurde die Métiers-d’art-Kollektion 2022/2023 im Dezember in dem afrikanischen Land gezeigt – allerdings ohne lokale Anleihen, sie war einzig als Hommage gedacht.

Bruno Pavlovsky, Präsident der Modesparte von Chanel und 19M, erklärt: «Unsere Kreativdirektorin Virginie Viard entschied sich, die Métiers-d’art-Kollektion in Dakar zu präsentieren, aufgrund von Gesprächen mit Freunden des Hauses. Bei der Ankündigung dachten viele, dass wir mit lokalen Kunsthandwerkern zusammenarbeiten würden, aber das macht Chanel nicht. Alle Kollektionen werden in unseren eigenen Werkstätten hergestellt. Aber wir spürten eine kreative Energie, sodass wir Lust bekamen, den Dialog zu verlängern und eine Veranstaltung zu schaffen, die für alle zugänglich ist.»


Das Mantra der Galerie 19M, die im Januar 2022 im 19.  Pariser Arrondissement eröffnet hat, lautet: «Schaffen, ausstellen, vermitteln.» Das 25  000 Quadratmeter grosse Gebäude, das vom Architekten Rudy Ricciotti entworfen wurde, beherbergt mehr als 600 Handwerker, die in den Ateliers von elf Häusern arbeiten. Alle gehören zu Paraffection, der 1985 gegründeten Tochtergesellschaft von Chanel: die Stickereiateliers von Lesage und Montex, der Federmacher Lemarié, die Goldschmiede Goossens, das Schneideratelier Paloma oder die Hutmacherei Maison Michel, aber auch eine Stickereischule und das Maison Eres. Nicht nur in Afrika kämpft das Kunsthandwerk ums Überleben. Und doch: Die Rallye Paris -Dakar ist vorbei, der Dialog Dakar - Paris hat erst begonnen!

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