Diane von Furstenberg erfand vor fast 50 Jahren das legendäre Wickelkleid. Jetzt wird sie mit einer Ausstellung in Brüssel geehrt.
Ihr Lebensmotto hängt um ihren Hals. Eine Kette mit dem Schriftzug «In Charge». Funkelnde Diamanten auf gebräunter Haut. Zwei Wörter, die das Leben jener Frau zusammenfassen, die mit der Erfindung des Wickelkleides Geschichte geschrieben hat: Diane von Furstenberg.
Mit Anfang 20 heiratete die gebürtige Belgierin den Prinzen Egon von Fürstenberg, wanderte mit ihm in die USA aus, entledigte sich der beiden Punkte auf dem Ü (und bald darauf auch des Prinzen) und baute ein Kleiderimperium auf. Zum nahenden 50-Jahr-Jubiläum des Wickelkleides ehrt das Brüsseler Fashion & Lace Museum die 76-jährige Modeikone jetzt mit der Ausstellung «Woman Before Fashion». Der Name ist ein Fingerzeig auf das, was sich wie ein roter Faden durch das Leben der Designerin zieht: Frauen zu unterstützen.
Seit 2010 verleiht sie jährlich den Förderpreis «DVF Award», zudem rief sie die Plattform «In Charge» ins Leben, auf der sich Frauen auf der ganzen Welt vernetzen und voneinander lernen können. Der Grund mag in ihrer Biografie liegen: Ihre Mutter überlebte das Konzentrationslager Auschwitz, lehrte sie, niemals ein Opfer zu sein. «Allein meine Geburt war ein Triumph über das Elend», so von Furstenberg. Symbolhaft ist auch ihre Ernennung zur Patin der Freiheitsstatue: Für das Statue of Liberty Museum sammelte sie
100 Millionen US-Dollar an Spenden. Auch mit ihren Kleidern möchte Diane von Furstenberg Frauen Freiheit schenken.
Erinnern Sie sich an den Moment, als Ihnen die Idee für das Wickelkleid kam?
Zuerst entwickelte ich tatsächlich ein Wickel-T-Shirt, erst danach kam das Kleid. Ich habe in Italien in einer Textilfabrik gearbeitet, wo Jerseystoffe hergestellt wurden. Dort habe ich auch alles über Muster und Farben gelernt. Inspiration für das Wickelkleid waren die Outfits von Ballerinas.
Wenn man sich die aktuelle Weltlage anschaut – sind Ihre Kleider derzeit besonders relevant, weil man sich in ihnen einwickelt und geborgen fühlt?
Hm, schwer zu sagen. Es ist nicht einfach, sich selbst und seine Arbeit zu beurteilen. Das ist auch der Grund, warum ich diese Ausstellung so mag: Sie zeigt die Sichtweise von jemand anderem auf meine Kleider und mein Schaffen.
Wie ist die Ausstellung zustande gekommen?
Das Fashion & Lace Museum hat mit Nicolas Lor einen neuen, sehr jungen Kurator. Seine erste Ausstellung wollte er über mich machen, also rief er mich an. Ich fragte ihn, warum er seine allererste Ausstellung über eine alte Frau machen möchte. Es gibt so viele grossartige belgische Avantgarde-Designer! Er meinte, dass meine Arbeit zeitlos und immer noch sehr bedeutsam sei. Ein grosses Kompliment!
Was hat es mit dem Titel «Woman Before Fashion» auf sich?
Für mich steht die Frau stets an erster Stelle. Früher wusste ich nicht, was ich werden möchte, aber ich wusste genau, was für eine Frau ich sein wollte: eine, die ihr eigenes Leben bestimmt – A Woman In Charge! Ich wurde eine wegen eines Kleides. Und weil ich mit diesem kleinen Kleid vielen anderen Frauen Selbstbewusstsein geschenkt habe, wurde es zum Symbol für die Befreiung der Frau.
Warum spielt Freiheit so eine elementare Rolle in Ihrem Leben?
Meine Mutter war eine Feministin. 18 Monate bevor ich auf die Welt kam, sass sie als politische Gefangene im Konzentrationslager Auschwitz ein. Am Ende des Krieges wog sie nur noch 29 Kilo, man ging nicht davon aus, dass sie überleben würde. Aber sie tat es. Sie kam zurück nach Belgien und meine Grossmutter fütterte sie wie einen kleinen Vogel. Der Doktor sagte ihr damals, dass sie mindestens drei Jahre warten müsse, um ein Kind zu bekommen, ansonsten würde ihr Kind nicht «normal» sein. Neun Monate später kam ich auf die Welt und war nicht normal (lacht). Die Tatsache, dass ich unter diesen Umständen auf die Welt kam, war alleine ein Triumph. Ein Triumph über das Elend.
Als Sie neun Jahre alt waren, nahmen Sie einen Zug von Brüssel nach Paris und sagten später, diese Reise habe Sie selbst zur Feministin gemacht. Inwiefern?
Auf dieser Reise hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl, das Sagen zu haben. Meine Mutter hatte mich in den Zug gesetzt, die Fahrt dauerte damals fünf Stunden. Ich war noch sehr jung. Ich hatte ein wenig Angst, zeigte es aber nicht – weil ich zum ersten Mal spürte, verantwortlich für mich zu sein.
Ihr Unternehmen haben Sie auf einem einzigen Produkt aufgebaut. Das war auch mutig – um nicht zu sagen riskant?
Darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht. Ich entwarf dieses Kleid und es wurde mir aus den Händen gerissen. Es verkaufte sich so gut, dass die Abnehmer immer mehr und mehr wollten. An einem Punkt dachte ich, dass es zu viel wird, dass eine Sättigung eintritt. Aber in so einem Geschäft trifft man nicht alle Entscheidungen alleine.
DVF stand kurz davor, Konkurs anzumelden. Ausgerechnet während der Pandemie, als viele Unternehmen ins Straucheln gerieten, haben Sie das Steuer herumgerissen und schreiben wieder schwarze Zahlen. Wie haben Sie das geschafft?
Wir haben viele Läden geschlossen, den Onlinevertrieb ausgebaut und mein Partner in Asien hat mir mit der Produktion geholfen. Aber wir sind immer noch mitten im Umstrukturierungsprozess.
Glauben Sie, dass weibliche Designerinnen eine andere Herangehensweise an Mode haben als männliche Designer?
Absolut. Christian Lacroix hat einmal zu mir gesagt: Männer entwerfen Kostüme, Frauen entwerfen Kleidung. Nimm zum Beispiel Jersey. Designer mögen ihn nicht, aber Designerinnen lieben ihn, weil sie wissen, dass ein dehnbarer Stoff sehr bequem ist. Ich bin davon überzeugt, dass Designerinnen viel praktischer veranlagt sind als Designer.
Mit 28 Jahren waren Sie bereits auf dem Cover der «Newsweek» und des «Wall Street Journal». Haben Sie damals gedacht: Das war’s, was soll jetzt noch kommen?
Wissen Sie, was lustig ist? Zu der Zeit bewunderte mich die ganze Welt. Aber tief in mir drinnen ging es mir nicht gut. Von aussen betrachtet wirkt man vielleicht sehr erfolgreich, aber niemand sieht, dass man gerade eine schwere Zeit durchmacht. Und manchmal sieht es für Aussenstehende aus, als würde es nicht gut laufen, dabei planst du bereits dein Comeback. Die Dinge sind nie einfach so, wie sie scheinen.
Glauben Sie, dass Sie mit Ihrer Idee heute noch denselben Erfolg hätten wie damals, vor 50 Jahren?
Ich habe mein Leben fast immer so gelebt, als hätte es Social Media schon gegeben. Ich war eine europäische Prinzessin, die in New York ankam: jung, gute Beine, volles Haar. Damals haben meine Kleider nur 86 Dollar gekostet. Um sie zu verkaufen, bin ich durchs ganze Land gereist. Je erfolgreicher ich wurde, desto selbstbewusster wurde ich – und dieses Selbstbewusstsein hat sich auf die Frauen übertragen, die meine Kleider kauften. Die wichtigste Beziehung im Leben, die man hat, ist die mit sich selbst. Also ja: Ich bin überzeugt, ich hätte heute denselben Erfolg.
Sowohl Michelle Obama als auch Amy Winehouse wurden in Ihren Kleidern abgelichtet – zwei völlig unterschiedliche Persönlichkeiten aus verschiedenen Altersgruppen. Was macht Ihr Design so attraktiv für diverse Zielgruppen?
Meine Kleider werden ein Teil deines Selbst. Wenn du sie trägst, verschmelzen sie mit dir. Genau das ist es, was ich an ihnen liebe. Man sollte sich nicht an das Kleid erinnern, sondern daran, wie man sich in ihm gefühlt hat.
Auf der ersten Weihnachtskarte, die Michelle Obama aus dem Weissen Haus verschickt hat, trägt sie ebenfalls ein Kleid von Ihnen.
Das war ein grosser Deal: die erste Weihnachtskarte als First Lady!
Fragte sie bei Ihnen an?
Nein, nein. Es handelte sich um eine Aufnahme aus einem Shooting für die «Vanity Fair». Annie Leibovitz hat die Fotos gemacht, sie ist eine Freundin von mir. Sechs Monate später stand Weihnachten vor der Tür und Michelle Obama hat sich genau für dieses Bild entschieden.
Glauben Sie, dass Kleidung eine politische Botschaft vermitteln kann?
Ganz sicher. Ich liebe es, wenn Sprüche in den Stoff eingearbeitet sind, mit denen man mit kleine Statements abgibt.
Seit 2018 sind Sie Ehrenbürgerin Brüssels, jetzt diese Ausstellung. Überrascht Sie der späte Ruhm in Ihrem Geburtsland?
Es gibt dieses Sprichwort: dass man in seinem eigenen Land nie erfolgreich wird, dass man erst woanders entdeckt werden muss. Die Belgier sagen, dass sie sehr stolz auf mich seien, das ist sehr emotional für mich. Ich habe gemerkt, wie sehr ich Belgien liebe.
Sie gingen in Lausanne aufs Internat und haben in Genf studiert. Welche Erinnerungen haben Sie an die Schweiz?
Ich liebe die Schweiz! Dieses Jahr war ich in Davos. Ich hatte vergessen, wie beruhigend die Schweiz ist.
Was genau finden Sie so tröstlich an der Schweiz?
Ich kann es gar nicht genau sagen, aber für mich gibt es kein anderes Land, das so beruhigend ist. Man geht in eine Apotheke – und schon beim Betreten ist man geheilt (lacht).
Auf der Website von DVF gibt es auch ein Horoskop. Sind Sie abergläubisch?
Was für ein Sternzeichen sind Sie?
Ich bin Widder.
Ah! Das ist ein glückliches Zeichen. Ich bin Steinbock.
Was macht Steinböcke aus?
Warten Sie, ich zeige es Ihnen (scrollt durch ihren Instagram-Feed und zeigt das Bild eines Steinbocks an einem Berg, Anm. d. Red.). Sehen Sie, wir sind beide Hörnertiere, das macht uns aus: Für uns gibt es nur einen Weg – wir klettern immer nach oben!
Während der Pandemie haben Sie das Buch «Own It: The Secret to Life» geschrieben. Was ist das Geheimnis des Lebens?
Als ich die In-Charge-Bewegung ins Leben gerufen habe, merkte ich, dass es vor allem um Selbstverantwortung geht. Wenn man seine Unvollkommenheiten umarmt, werden sie zu deinem Gewinn. Wenn man seine Verletzlichkeit annimmt, kann man sie in Stärke verwandeln. Das Buch war sehr erfolgreich, deshalb schreibe ich bereits ein neues. Es wird «Live It: The Secret To Joy» heissen. Ich liebe Wörter, daher sehen einige meiner Kleider auch wie Poster aus.
Wie aktiv sind Sie noch ins tägliche Geschäft involviert?
So lange, bis ich sicher bin, dass alles in guten Händen ist.
Ihre Enkeltochter Talita ist Co-Chairwoman von DVF. Wird sie das Geschäft eines Tages übernehmen?
Sie wollte immer bei DVF arbeiten. Ja, ich werde die Firma voraussichtlich eines Tages an sie übertragen.
Haben Sie dieselben Visionen oder sind sie unterschiedlich?
Sobald sie das Unternehmen übernimmt, wird es ihre Vision sein.
Sie sind jetzt seit 50 Jahren in der Modeindustrie, haben viele Aufs und Abs mitgemacht. Wird man mit der Zeit gelassener?
Wissen Sie was? That’s life!
Das Leben hat Sie gut behandelt.
Ja, ich hatte ein wunderschönes, erfülltes Leben. Es ist wie ein Fluss, der sich durch verschiedene Landschaften schlängelt: Manchmal ist es hügelig, manchmal sonnig, manchmal bewölkt. Das Wichtigste aber ist: Schwimme nie gegen die Strömung!