Seit Proust und seinem Schmelzbrötli wissen wir um die magische Kraft von Gerüchen auf unsere Gefühle. Ein Wissen, das Hotels, Boutiquen und sogar Autohersteller nutzen, um uns mittels exklusiver Geruchssignaturen in ihr Markenuniversum eintauchen zu lassen.
Leder. Und Holz. Als der Züricher Flaviano Bencivenga 2019 beschloss, die Boutiquen von Benci Brothers, seiner 2011 gegründeten Schuhmarke, mit einem Raumduft zu parfümieren, musste er sich auf eine regelrechte «mentale Reise» begeben, um eine Essenz zu finden, die perfekt zum Benci-Brothers-Universum passt.
Von Anfang an war klar, dass seine beiden Lieblingsmaterialien – Leder, wegen der Schuhe, und Holz, wegen der Möbel, auf denen sie präsentiert werden – als olfaktorische Basis dienen würden. Für das Fine-Tuning war dann aber Anna Portmann verantwortlich, Gründerin des Zürcher Raumduft-Unternehmens Kukui. «Der Duft ist für die Gesamtwahrnehmung eines Produkts viel wichtiger, als man meint», sagt Portmann. «Als zusätzliche Dimension neben den visuellen Aspekten – wie dem Logo und dem Ladenlayout – und dem haptischen Erlebnis, wenn man das Erzeugnis in die Hand nimmt, hilft Duft dabei, Emotionen zu wecken.»
Das scheint nicht nur sie so zu sehen. Sonst würde Kukui wohl kaum einige der exklusivsten Hotels der Schweiz beduften, vom Bürgenstock in Luzern über das Kempinski in Engelberg bis zum Beau Rivage Palace in Lausanne. Portmann konnte beobachten, wie im Lauf der letzten 15 Jahre die Erlebnisebene ein immer wichtigerer Teil der Kundenbindung wurde. «Parallel wird auch das Publikum immer anspruchsvoller. Also müssen Dienstleister für emotionale Wow-Momente immer tiefer in die Trickkiste greifen.»
Emotion: Das ist das Zauberwort. Denn wenn die primäre Aufgabe eines Raumparfums auch darin bestehen mag, den Aufenthalt für die Nase angenehm zu gestalten, so hat es darüber hinaus die Fähigkeit, den Erinnerungsschatz der zugehörigen Person anzuzapfen. Ein Prozess, der unbewusst abläuft, wie Sylvain Delplanque, Forscher am Interfakultären Zentrum für Affektive Wissenschaften der Uni Genf, erklärt: «Geruch, Gedächtnis und Emotion sind eng verwoben, weil die jeweils dafür zuständigen Hirnregionen nah beieinander liegen. Näher zum Beispiel als das Sehen.»
«Kauf mich!», sagt der Duft
Ein Tauchgang ins sensorische Gedächtnis: Das ist es also, was die Hoteliers diskret anstreben, wenn sie unseren Nasen etwas Gutes tun. Ein Pionier auf diesem Gebiet war die Sofitel-Gruppe, deren Markenduft «Essence» einen «glückerfüllten Nachmittag im sonnigen Südfrankreich» heraufbeschwören soll. Wie sehr uns Düfte – unbewusst – beeinflussen, wissen die Profis vom Marketing schon lange. Agnieszka Dabrowska-Leszczynska, Wirtschaftsdozentin an der Uni Lausanne, definiert Geruchsmarketing als die «Gestaltung eines Dufts, der die emotionale und kognitive Wahrnehmung von Produkten positiv beeinflusst». Mit anderen Worten: Ein klug eingesetztes Lüftchen kann sogar unsere Kaufentscheidung beeinflussen. Denn, so Dabrowska-Leszczynska: «Düfte können das Gefühl von Freude vermitteln und sich zudem ins Gedächtsnis einbrennen.»
Lang wurde die professionelle Beduftung öffentlicher Räume vernachlässigt. Was, wie Sylvain Delplanque sagt, nicht zuletzt damit zusammenhängt, «dass man oft nur dort Raumparfum einsetzte, wo es galt, schlechte Gerüche zu überdecken». Zudem hatten lang nur jene Räume ein olfaktorisches Alleinstellungsmerkmal, in denen man stark riechende Mittel aus hygienischen Gründen einsetzte. Ironischerweise war es nun aber auch eine Hygienekrise, die uns den Wert von Düften wieder erkennen liess. Delplanque: «Covid, das bei gut 50 Prozent der Betroffenen einen Verlust oder eine Verminderung des Riechvermögens mit sich bringt, rückte die wunderbaren Fähigkeiten unserer Nasen prominent in den Fokus.»
Frisch rehabilitiert, wurde der Geruchssinn teils sogar zum willkommenen Hilfsmittel, um über pandemisch vereitelte Events hinwegzutrösten. Als beispielsweise die Emil-Frey-Filiale in Crissier letztes Jahr den neuen Showroom für Jaguar Land Rover ohne Publikum einweihen musste, hatte Filialleiter Thomas Schmutz die Idee, Autofans einen Minisprühstoss Neuwagenduft frei Haus zu liefern: «Die charakteristische Mischung aus Amber- und Moschusnoten sollte bei unserer Kundschaft schon mal die Vorfeude wecken.» Clever, sinnlich – und erst noch kompatibel mit den Regeln des Social Distancing!