Seit 50 Jahren schafft Us-Künstler James Turrell mit Licht und Farbe einzigartige Kraftorte.

1. Österreich

Kapelle für Gipfelstürmer

Der Ort Auf 1780 Meter überm Meeresspiegel steht ein beinah perfekt geformter Kegel. Bei einer Wanderung in der Region soll James Turrell dem Bergpanorama hoch über Lech am Arlberg verfallen sein: Hier ist die Luft glasklar und sind die Nächte tiefschwarz – weil die umliegenden Gipfel jegliche störenden Lichteinflüssen abschirmen.

Das Kunstwerk Wie eine Bergkapelle wurde dieser Skyspace 2014 auf einer natürlichen Anhöhe gebaut. Er verschmilzt fast mit der Landschaft, ist über einen engen, 15 Meter langen Tunnel zugänglich – und bietet bei Sonnenaufgang wie -untergang während rund 50 Minuten ein regelrechtes Lichtspektakel.

Gut zu wissen Diese Gegend flirtet gern mit der Kunst! Bereits 2010 liess das Kunsthaus Bregenz für das Projekt «Horizon Field» ganze 100 menschengrosse Eisenfiguren des britischen Bildhauers Antony Gormley auf der Anhöhe installieren. Stehen geblieben ist nur eine Einzige. Wer findet sie?

Oberlech Tannegg, Lech am Arlberg. Saisonal wechselnde Öffnungszeitung

2. Norwegen

In bester Gesellschaft

Der Ort Auf einem Hügel über Oslo hat Christian Ringnes, Kunstsammler und Philanthrop, 2013 einen 25 Hektaren grossen Park anlegen lassen, in dem er Werke renommierter Künstler wie Marina Abramović oder Jenny Holzer, aber auch solche von Rodin oder Maillol einbetten liess. Die Sammlung befindet sich mitten im Grünen, ist permanent zugänglich – und wird jedes Jahr um ein bis zwei Stücke erweitert.

Das Kunstwerk Turrell hat sich hier eines alten Wasserreservoirs angenommen, um uns über den Einfluss von Farbe auf unsere Raumwahrnehmung sinnieren zu lassen: Die Wände lösen sich gleichsam auf, der Raum erscheint endlos. Das Werk «Ganzfeld: Double Vision» wird von einem Skyspace namens «The Colour Beneath» ergänzt. Im Land der Nord-lichter ist der Dialog zwischen Natur und Täuschung hoch faszinierend.

Gut zu wissen Ab Frühling 2020 wird man von hier direkt ins neue Munch-Museum gelangen: via Seilbahn!

Ekebergpark, Kongsveien 23, Oslo. Turrells Werk ist von 11 bis 16 Uhr zugänglich, Eintritt frei. www.ekebergparken.com

3. Argentinien

Durch den Tunnel zum Wein

Der Ort Das Weingut Colomé in der Region Cafayate, auf 2300 bis 3111 m ü. M., gehört zu den höchstgelegenen der Welt. 1831 gegründet, ist es zudem das älteste auf den Hochebenen der argentinischen Anden. 1998 hat das Schweizer Unternehmerpaar Ursula und Donald Hess das für seine hochklassigen Weine renommierte Gut übernommen; 2009 haben die beiden leidenschaftlichen Kunstsammler dort einen regelrechten James-Turrell-Tempel eröffnet.

Das kunstwerk Auf über 1700 m² erstrecken sich neun durch einen Tunnel verbundene Lichträume: Ein von Turrell selbst entworfenes Museum, das rund 50 Jahre seines Schaffens in Szene setzt – und ein Technicolor-Kaleidoskop, das einen jedes Zeit- und Raumgefühl verlieren lässt.

Gut zu wissen Das auf dem Gut gelegene Boutique-Hotel bietet neun Zimmer mit Blick in die Natur. Wer hier, mit einem Glas Altura Máxima in der Hand, einen Sonnenuntergang erlebt, vergisst das nie wieder.

Bodega Estancia Colomé, Ruta Provincial 53, km 20, Molinos, Salta. ab 200 Fr., bodegacolome.com

4. China

Stiller Kubus in der Millionenstadt

Der Ort Mitten in Peking, nur einen Steinwurf von der Verbotenen Stadt entfernt, steht der über 600 Jahre alte Dong-Jingyuan-Tempel. Umsichtig zum Kulturzentrum umgestaltet (auf Initiative des belgischen Unternehmers und Sammlers Juan Van Wassenhove und unterstützt von den Filmstars Li Chow und Lin Fan), verschränkt er historische Elemente mit zeitgenössischer Architektur und bietet ein dichtes Ausstellungsprogramm.

Das Kunstwerk Im «Gathered Sky» – der nüchterne Kubus ist der einzige Skyspace in China – streckt man sich auf einer Matte aus, bettet den Kopf auf ein Kissen und gibt sich eine Stunde lang dem Pekinger Himmel hin. Das Erlebnis wird musikalisch untermalt … und wer die Ohren spitzt, hört vielleicht sogar Vogelgezwitscher.

Gut zu wissen Der Komplex umfasst auch ein Teehaus, das Concept Store und Restaurant in einem ist. Man verweilt mit Blick auf ein Meer aus alten Häuserdächern … Eine Oase inmitten der Millionenstadt.

The Temple Hotel, Dongcheng District, Peking. «Gathered Sky» ist donnerstags bis sonntags zum Sonnenuntergang geöffnet, Eintritt ca. 20 Fr.

5. USA, Arizona

Utopie im Vulkan

Der Ort Mitten in der Wüste von Arizona, einer Region, die auch Painted Desert genannt wird, erhebt sich der Krater eines erloschenen Vulkans. Anfangs der 1970er verbringt Turrell hier eine Nacht unter freiem Himmel – und hat eine Eingebung. Er macht sich unermüdlich daran, Land zu erwerben, und beginnt 1977 mit dem Bau einer teils unterirdischen Siedlung.

Das Kunstwerk Dies soll die Krönung von Turrells Schaffen werden: An einem Ort, wo die Nacht nicht dunkler sein könnte, will er zu Betrachtung und Selbstbetrachtung einladen. Der umgebaute Vulkanbauch beherbergt ein Tunnelnetz, das bisher nur wenigen Privilegierten zugänglich war. Dereinst – man rechnet mit einer Bauzeit von noch fünf Jahren – soll die fertige Siedlung 21 Kapseln umfassen, die es erlauben, die Veränderung des Lichts bei Tag wie bei Nacht zu verfolgen … mit der Wintersonnenwende als Höhepunkt.

Gut zu wissen Anfang Jahr spendete Kanye West 10 Millionen Dollar, damit das Projekt endlich vollendet werden kann. Zudem bringt er diese Tage einen Film heraus, der vor Ort spielt («Jesus Is King»).

Roden Crater, bei Flagstaff, Arizona, rodencrater.com

6. Japan

Meditation im Schneegestöber

Der Ort Der Pavillon mit seiner traditionellen Holzarchitektur ist weniger ein Hotel als vielmehr ein Ort der Meditation, den sich Turrell im Jahr 2000 als Hommage an Junichiro Tanizakis Essay «Lob des Schattens» ausgedacht hat. Entstanden im Rahmen der ersten Kunsttriennale in der Region Echigo-Tsumari, liegt das «House of Light» in der Nähe der Stadt Tokamachi, die für ihre bitterkalten, schneereichen Winter bekannt ist – was die hohe Treppe zum fast drei Meter über Boden errichteten Bau erklärt.

Das Kunstwerk Man mische die schlichte japanische Ästhetik mit Farbe, die die Sicht auf die Dinge ändert (etwa jene Glasfaser, die das Badewasser erleuchtet) – fertig ist das jeweils bei Sonnenaufgang und -unter-gang von einer Lichtchoreografie belebte «House of Light». Das Dach des Hauptraums kann zurückgeschoben werden, um – je nach Jahreszeit – im Sonnenlicht oder im Schneegestöber zu schwelgen.

Gut zu wissen Hier soll man die Erfahrung mit anderen teilen. Das gilt auch für die gelieferte Mahlzeit.

Hikari No Yakata, Nacht ab 230 Fr., Besuche 11.30-15 Uhr. 15 Min. Autofahrt ab Bahnhof Tokamachi, hikarinoyakata.com

7. Schweiz

Schlossturm im Lärchenwald

Der Ort An einem Sonnenhang im Engadiner Nationalpark thront seit 1913 das Hotel Castell. 2004 komplett renoviert, vereint der eigensinnige Bau heute den Charme von Stuckdecken mit zeitgenössischem Design. Zahlreiche Kunstschaffende haben am Gesamtbild mitgewirkt, etwa Pipilotti Rist mit der Roten Bar. Die Sammlung von Besitzer Ruedi Bechtler, die es zu besichtigen gibt, geniesst hohes Ansehen – weltweit.

Das Kunstwerk Der Skyspace «Piz Uter» ist ein zum Himmel geöffneter, gemauerter Zylinder. Vom Hotel aus gelangt man über einen Meditationsweg zu diesem scheinbar alten Turm, wo man auf einer Betonsitzbank den Himmel sowie, durch seitliche Öffnungen, die Lärchenlandschaft ringsum bestaunt.

Gut zu wissen Liebe Romantiker: Nach dem Skifahren könnt ihr auf der schlosseigenen Eisbahn ein paar Runden in märchenhaft verschneiter Landschaft drehen. Und danach? Ein Dinner bei Kerzenschein …

Hotel Castell, Zuoz, ab 225 Fr.  Eröffnung der Wintersaison am 13. Dez., geführte Kunstbesichtigungen (auch für Auswärtige, auf Reservation) jeden Do, 17 Uhr., hotelcastell.ch

8. USA, Ohio

7000 LEDs im Gewächshaus

Der Ort Auf den ersten Blick ein botanischer Garten wie viele andere auch: solide Nadelbaumsammlung, tropische Pflanzen, Gemüseanbau-Kurse. Da ist aber noch mehr! Die Stadt Columbus im US-Bundesstaat Ohio hat unlängst viel Geld investiert, um ihr grünes Juwel zu einem Begegnungsort und Kulturzentrum mit Interventionen diverser zeitgenössischer Künstler zu machen. Es hat sich gelohnt: Der 1895 angelegte Garten taucht plötzlich als Hotspot auf der Landkarte hipper Kunstliebhaber auf.

Das Kunstwerk Turrells «Light Raiment II» aus dem Jahr 2008 ist sozusagen die Galionsfigur der kulturellen Ambitionen des Franklin-Parks: Jeden Abend tanzen mehr als 7000 computergesteuerte LEDs über die viktorianische Struktur des altehrwürdigen John E. Wolfe Palm House.

Gut zu wissen Die Gewächshaus-Terrasse ist ein beliebter – und gediegener – Ort für Openair-Konzerte.

Franklin Park Conservatory and Botanical Gardens, Columbus, Ohio. Täglich 10 -17 Uhr, Eintritt 19 Dollar. fpconservatory.org

9. Deutschland

Kapelle mit Geschichte

Der Ort Wer über den Friedhof Dorotheenstadt in der belebten Berliner Mitte schlendert, spaziert gleichsam durch die deutsche Geschichte: Hier liegen Bertolt Brecht, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Rosa Luxemburg … Die ursprünglich von 1928 stammende Friedhofskapelle wurde nach den Bombenangriffen zum Kriegsende schlicht und hell wiederaufgebaut.

Das Kunstwerk Die biblische Idee von Gott als Quelle des Lichts wurde schon in gotischen Kirchen vermittelt, indem die Sonne durch die farbigen Fenster drang und die Steinmauern erleuchtete. In Turrells «Luther’s Light» (2015) sind es elf verschiedene, aufeinander folgende Farbtonkombinationen, die den Raum fluten und die Architektur scheinbar auflösen.

Gut zu wissen In Turrells Lichtraum finden regelmässig Lesungen zum Thema «In der Farbe gehen» statt.

Friedhof Dorotheenstadt, Chausseestr. 126, Berlin. Nur geführte Touren: Fr–Mo, jeweils eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang, 10 Euro. Genaue Zeiten unter evfbs.de

10. Griechenland

Privatpool und Privathimmel

Der Ort Der exquisite Hotelkomplex gehört zur Aman-Kette – was ihn ganz oben auf so manche Luxusferien-To-do-Liste katapultiert. Auf einen Felsvorsprung des östlichsten Peloponnesfingers gebaut, unweit der Stadt Porto Heli und antiker Ruinen, bietet er eine 360-Grad-Sicht auf Olivenhaine, Meer und Nachbarsinseln.

Das Kunstwerk Es ist die Villa 31, die ein kleines grosses Geheimnis birgt! Nachdem man seinen Blick den lieben langen Tag übers kristallklare Wasser der Ägäis und den 22 Meter langen Privatpool hat schweifen lassen, kann man als glücklicher Bewohner dieser Villa die Augen auch noch gen Himmel richten: Die Installation «Sky Plain» – ein mit dunklem Marmor verkleideter, sechs auf sechs Meter grosser Pavillon mit einer grossen Öffnung im Zenit – rahmt ein hübsches Stück davon. So, dass man das Gefühl hat, mit den Sternen allein zu sein. Mehr Luxus geht nicht.

Gut zu wissen Der einzige Skyspace der Mittelmeerregion steht auch anderen Gästen des Amanzoe offen: als Krönung eines Dinners unter freiem Himmel.

Amanzoe Hotel Resort, Argolida, Griechenland. Ab 2600 Fr. für die Villa 31. aman.com/resorts/amanzoe

Meine Arbeit kennt weder Objekt noch Bild noch Fokus. Was also sieht man sich an? Man sieht sich selbst sehen!

James Turrells Lichtkunst: Unfassbar spektakulär

Was ist es, das an den Werken von James Turrell so begeistert? Vielleicht – vermutlich – die Art, wie sie einen berühren. Bewegen. Egal, woher man kommt, welcher Generation man angehört oder wie gebildet man ist, wer sich in Turrells Universum aus Licht und Farbe begibt, erlebt etwas Intimes, Meditatives.


Die berühmteste Werkserie des Amerikaners – die Skyspaces, schlichte (Farb-)Räume mit einer Öffnung im Zenit – betritt man wie eine Kirche, um sich in der Tiefe eines gerahmten Stücks Himmel zu verlieren. Mal setzt Turrell auf natürliches Licht, mal – und häufiger – auf ein Zusammenspiel farbiger LEDs, welche die Wahrnehmung schärfen oder bewusst verfälschen.
Tönt simpel, ist es aber nicht: Jede Installation ist bis ins Detail durchdacht, so, dass die Gegebenheiten ihres Standorts optimal genutzt werden. Trotzdem erlebt jeder und jede das «Eintauchen» ins Werk anders. «Meine Arbeit kennt weder Objekt noch Bild noch Fokus», sagt Turrell. «Was also sieht man sich an? Man sieht sich selbst sehen! Mir liegt daran, eine Denkerfahrung zu ermöglichen – ganz ohne Worte.»


Turrells Leidenschaft für Licht begann mit seiner Entlassung aus der Haft, die er 1967 (für antimilitärischen Aktivismus) isoliert und im Dunkeln verbringen musste. Heute – im nächsten Mai wird Turrell 77 Jahre alt – weiss er seine Werke in namhaften Museen rund um den Globus. Aber lieber noch bettet er sie ausserhalb des institutionellen Rahmens ein, in der Natur oder im Zusammenspiel mit Architektur.


Gegenwärtig findet man rund 80 Skyspaces in 29 Ländern. Nur am Roden Crater in der Wüste von Arizona, zweifellos sein Meisterwerk Nummer 1, feilt er immer noch herum. Seit mittlerweile 40 Jahren. Gut Ding will eben Weile haben.

L’artiste américain James Turrell a développé une passion pour la lumière
et la couleur après un épisode d’incarcération.