Am Comer See hat ein dänisches Designerehepaar einen Palazzo aus dem 17. Jahrhundert aus dem Dornröschenschlaf erweckt und "La Carlia" zu seinem Garten Eden gemacht.

Eigentlich müsste man sich dem italienischen Anwesen stilecht im Riva-Boot vom See aus nähern, es an der Anlegetreppe festmachen und langsam über die Freitreppe durch den symmetrisch angelegten Park nach oben gehen, um mit jedem Höhenmeter das kunstvoll kalkulierte architektonische Ensemble zu begreifen.

Die Villa La Carlia thront auf einem Hügel nahe Tremezzo und überragt alle nicht minder beeindruckenden Nachbargebäude. Auf der Terrasse angekommen hat man einen majestätischen Weitblick auf das Ostufer des Comer Sees, die Berge und die pittoreske Halbinsel Lavedo. «Wir fragen uns immer noch jeden Tag, bei jedem Blick aus dem Fenster, ob wir träumen», erzählt Marianne Brandi schmunzelnd.


Die Designerin steht hinter dem dänischen Möbel- und Accessoire-Label Day Home. Sie und ihr Mann Keld Mikkelsen, der die Modemarke Day Birger et Mikkelsen gründete, hatten eigentlich nie vor, aus Dänemark auszuwandern. Sie wollten nur einen Freund besuchen, der sich am Comer See niedergelassen hatte – eine Region, die sie von früheren Ferien in bester Erinnerung hatten. Ihr Freund kannte den Immobilienmakler, der für die leerstehende und renovierungsbedürftige Villa La Carlia einen neuen Besitzer suchte. «Hier am See scheint die Zeit in alter Schönheit stehen geblieben zu sein. Wir mochten sofort das unaufgeregte, freundliche Lebenstempo, den Flair des Dolce Vita alter Schule», erzählt Brandi. «Nur zum Spass besuchten wir mit ihm das Anwesen, und es war, als ob das Haus zu uns sprach: » Aus der Liebe auf den ersten Blick wurde ihr neues Zuhause, das sie mit behutsamer Renovierung wieder in seinen Originalzustand zurückversetzten.

Die 1676 von Tommaso De Carli erbaute Renaissancevilla ist eines der ältesten Häuser am See und war ursprünglich ein Familiendomizil mit direktem Zugang zum Wasser. Der Reichtum der norditalienischen Region begann im 15. Jahrhundert mit der Seidenraupenzucht, aus der sich die noch heute weltberühmte Seidenindustrie entwickelte.

Tommaso de Carli di Volesio war im 18. Jahrhundert ein Kunstmäzen, der unter anderem den Bau der bekannten Kirche San Lorenzo von Tremezzo anstiess und finanzierte. «Irgendwann wurde das Haus von den Erben verprasst», sagt Brandi. «Die Villa war in vier Wohnungen aufgeteilt worden, die wir nach und nach von den Vorbesitzern erwarben. Seit den 1980er-Jahren wurden sie als Ferienappartements vermietet.» Es brauchte tatsächlich viel Geduld, Liebe und Pflege, um das Dornröschen wach zu küssen.

«Der Zustand des Hauses war furchtbar, die prachtvollen Deckenfresken waren teils mit gelber Farbe übertüncht», erinnert sie sich. «Wir brachten die Räume Schritt für Schritt wieder in die ursprüngliche Aufteilung, entfernten Küchen, Wände, hässliche Farben und Bäder und berieten uns für die Farbgebung mit Mailänder Experten, um historisch möglichst authentisch zu sein und trotzdem einen zeitgenössischeren Ausdruck zu finden.»

Das Interior-Design als Spiegel der Seele

Den Palazzo dekorierte das Paar mit einem Gespür für eklektische Harmonie und schöne Kontraste. Die hohen Räume haben sie gefüllt mit Antiquitäten, Seidenvorhängen, modernen Skulpturen und antiken Diskuswerfern, Murano-Lampen, Trommeln und Gitarren, Fotokunst und indischen Teppichen. Gemischt mit Leopardenmustern, modernen Designs von Day Home und Fundstücken, die sie in den kleinen, oft schrägen Läden und Flohmärkten der Umgebung entdeckten. «Anfangs dachte ich beim Interieur konservativer und wollte mich mehr an den Renaissancestil der Architektur halten», sagt die Dame des Hauses. «Aber dann meinte Keld, dass gekonnte Stilbrüche dem Ganzen mehr Swing geben würden. Und er hatte recht!»

Die Villa La Carlia ist wie eine Synthese der langjährigen kreativen Zusammenarbeit der Eheleute. Alles, was die beiden gemeinsam und getrennt voneinander geschaffen haben, fliesst hier zu einer vielschichtigen Melange aus Ethno-Elementen, Klassik und Moderne zusammen. Zu einem fluiden, leichten und nomadischen Stil, der offen für Veränderung ist.

«Bedürfnisse ändern sich im Laufe des Lebens, und ich sehe das Interieur hier wie ein Chamäleon, das sich stets den wechselnden Stimmungen anpassen kann», sagt sie. Auch ihre eigenen Designs würden immer widerspiegeln, wo sie sich in ihrem Leben gerade befinde: welche Menschen, Gefühle und Orte ihr wichtig sind. Sie ist fast ihr ganzes Leben lang gereist. «Ich fühlte mich in Dänemark zu Hause genauso wie jetzt in Italien und hatte immer eine besondere Nähe zu Indien, wo meine Tochter mit ihrem Mann heute lebt.»

Geburtsstunde eines neuen Modelabels

Ihr Leben am Comer See hat sie sogar zur Gründung einer neuen Modemarke inspiriert: La Carlia, benannt nach ihrem Haus. «Ich bin begeistert von der besonderen Art der Italienerinnen, sich elegant und gleichzeitig entspannt zu kleiden. Mein Stil hat sich definitiv verändert, seit ich hierhergezogen bin. Sweatshirt und Jeans sind passé. Ich bin eine echte Möchtegern-Italienerin geworden und bevorzuge heute lockere Kaftans, Blusen und elegante Hosen.»


Ihre Kollektionen, von denen sie die ersten während des Lockdowns entwarf, sind Ausdruck ihres heutigen Mindsets: Darin mixt sie italienische Strickwaren, indische, farbenfrohe Stoffe und Muster und dänischen Minimalismus. «Im Laufe des Lebens entwickelt sich der eigene Stil. Manche verlieren das Interesse daran ganz, andere passen ihn an und ändern ihn so, dass er ihrem Alter und ihrem Lebensstil entspricht.

Ich habe mit dem Alter festgestellt: Ich fühle mich jetzt viel wohler und entspannter in meinem Körper und wie ich wahrgenommen werde. Ich ziehe mich heute nur noch zu meinem eigenen Vergnügen und Wohlbefinden an.» Die Villa La Carlia ist insoweit nicht nur zu einem standesgemässen Showroom ihrer neuen Marke geworden, sondern auch zu einem Showroom zweier erfüllter Designerleben.