Das Ledermosaik ist der jüngste Streich bei den Kunsthandwerkern der Uhrmacherei. In Brügg verziert das Luxushaus Hermès damit Zifferblätter.

Oh Ohr, kleines Ohr… Das Hörorgan des Pferdes auf dem Zifferblatt der Uhr ist nur mit zusammengekniffenen Augen zu erkennen. Was man dann bemerkt: dass es zwei verschiedene Blautöne besitzt. Doch, doch, überprüfen Sie es mit der Lupe! Mit der Pinzette setzt Kunsthandwerkerin Afida Sadoudi die beiden winzigen Lederflächen zusammen, um das farbige Puzzle auf dem Zifferblatt der Uhr Stück für Stück zu komplettieren. Eine hochpräzise Arbeit, 24 Teile müssen verleimt und auf die Zifferblatthälfte gelegt werden – die andere Hälfte ist bei diesem Modell namens Costume de Fête für ein Emaillemuster vorgesehen. Isabelle Rivière, Leiterin des Lederateliers in der Hermès-Uhrenmanufaktur in Brügg bei Biel, betont: «Aber das Leder ist das Wichtigste!» Wer in der Uhrenwelt von Leder spricht, meint normalerweise das Armband. Ein stabiler Lederstreifen, der das Gehäuse einer Uhr trägt – eine relativ einfache Arbeit.

Wenn man Hermès heisst und Leder Teil der DNA ist, geht es natürlich extravagant zu und her. «Unser kleines Lederatelier mit
13 Personen muss das Leder mit der gleichen leidenschaftlichen Intensität zum Leben erwecken, wie es das Sattleratelier in Paris tut», so Rivière, die seit 35 Jahren im Haus ist. Sie wurde 2006 an die Ausläufer des Jura berufen, als Laurent Dordet, damals neuer CEO der Uhrensparte, es sich zur Aufgabe machte, dem emblematischen Material neues Leben einzuhauchen, ihm mehr Lebendigkeit zu verleihen.

Auswahl des Leders aus dem Lager.

Leder auf dem Zifferblatt

Während die ersten Uhren des orangefarbenen Hauses aus den 1920er-Jahren stammen, wurde die Tochtergesellschaft La Montre Hermès erst 1978 in Biel gegründet. In Brügg und der Manufaktur in Le Noirmont sind heute rund 340 Mitarbeitende angestellt. Ebenfalls aus den 1970er-Jahren stammt das vom Steigbügel inspirierte Uhrenmodell Arceaut. Das erste Zifferblatt mit Lederintarsien wurde hingegen 2018 lanciert – ein Modell mit Pferdekopfmotiv.

Ein halber Tag ist nötig, um das Puzzle in Brüssel zusammenzusetzen.

«Wir arbeiten immer mit Motiven, die von unseren Seidencarées inspiriert sind», erzählt Rivière. «Dieses erste Design bestand aus 50 Mosaikstückchen, was uns jenseits des Machbaren erschien!» Inzwischen hat sich die Anzahl der Teile des Minipuzzles vervielfacht, die Hände werden immer sicherer und die Muster immer subtiler, manchmal mit Stickereien oder Champlevé-Technik. Bisher erschienen 5 Modelle – in limitierter Auflage von 12 oder 24 Stück, manchmal in mehreren Farben. Liebhaber von Miniaturverrücktheiten können dieses spezielle Know-how bei den nächsten «Hermès in the Making Days» in Zürich vom 6. bis zum 14. November bewundern. Das Modell, das dort vorgestellt wird? Die 18-3-7, benannt nach dem Gründungsdatum des Hauses.

Das Leder wird in der Spaltmaschine rasiert, bis es so dünn wie Zigarettenpapier ist.


Die wichtigste Herausforderung bei der Verwendung von Leder in der Uhrmacherei ist die Dicke des Materials: Nichts darf den Weg des Zeigers behindern. Feines, rohes Leder ist 1,3 mm dick. Nach zwei Durchgängen in der Spaltmaschine ist es auf 0,3 mm reduziert – auf die Dünne von Zigarettenpapier. Der Kontrast zwischen den winzigen Farbspritzern der Schablonen und den Häuten im Nebenraum der Werkstatt ist überwältigend. Das Lager enthält Schätze in den erstaunlichsten Schattierungen, die Form lässt noch das Tier erahnen.

Das von einem Seidencarée inspirierte Muster wird im Miniaturformat nachgebildet.


Besonders gut gehütet wird das Geheimnis ums Ledermosaik, eine weitere Kunsttechnik, die das Muster des Zifferblatts in winzigen Punkten wiedergibt. Ist gute Laune der Schlüssel zur künstlerischen Kreativität? Man ist geneigt, es zu glauben, denn der Besuch der Lederwerkstatt wirkt energetisierend. Diese Farben! Dieses Lächeln! Und überall orangefarbene Schachteln, die zu individuellen Dekorationen gestapelt sind. Von der Decke hängen Seidentücher, die niemanden vergessen lassen, wo man sich befindet. Über ihrer Werkbank hat Isabelle Rivière das Modell De Passage à Tokyo angebracht, als Erinnerung an die aufregenden Jahre, die sie dort verbracht hat. Plötzlich ertönt die hypnotische Stimme von Asaf Avidan: Jeden Tag stellt ein anderer Handwerker seine Playlist vor. Keine Frage – im Maison Hermès hat alles einen erlesenen Geschmack!

Die Mosaikstücke werden sortiert.

Isabelle Rivière

Die Leiterin der Lederwerkstatt war zunächst in Lyon und dann in Tokio tätig und wurde 2015 an die Ausläufer des Jura berufen, um mit dem Team von Laurent Dordet, CEO von La Montre Hermès, die Einzigartigkeit des Leders in diesem Zweig des Luxushauses voranzutreiben. Die extreme Miniaturisierung des Lederhandwerks schien fast unmöglich. Heute setzen sich die Techniken der Intarsienarbeit und des Mosaiks als neue Klassiker durch.