Erfunden, um zu arbeiten, wurde das gute alte VW-Büssli schnell zum Lieblingsvehikel der Freitzeitgesellschaft. Eine kleine Tour durch die Geschichte eines Fahrzeugs, das die Herzen bis heute zum Schmelzen bringt.

Sommer 2020. Jessica und Etienne packen ihre sechsköpfige Kinderschar ins Auto, um zu einem Roadtrip aufzubrechen, der sie in drei Wochen durch alle 26 Kantone der Schweiz führen wird … Um das Klöntal im Glarnerland oder Courtelary im Berner Jura stilsicher und einigermassen bequem zu erreichen, kommt als Transportmittel nur etwas infrage: zwei nicht tot zu kriegende VW-T4-Busse aus dem Jahr 1998.


Nicht tot zu kriegen: Das ist der Ausdruck, der einem in den Sinn kommt, wenn man an dieses kultige Gefährt denkt, das vor 70 Jahren erstmals in Hannover vom Band lief und bis heute nichts von seiner Anziehungskraft verloren hat. Im Gegenteil. Doch zurück zu den Anfängen, deren in diesem Fall tatsächlich zwei sind, ein proletarischer und ein kapitalistischer: Zum einen waren da die Werksarbeiter in Hannover, die einige VW-Käfer zu universellen Nutzfahrzeugen umbauten; zum anderen war da der holländische Geschäftsmann Ben Pons, der weltweit erste Käfer-Importeur, der 1947 die Entwurfszeichnung eines ihm vorschwebenden Nutzfahrzeugs der Volkswagen-Geschäftsleitung vorlegte. Um es kurz zu machen: Drei Jahre später stand die erste Version des VW Typ 2 am Genfer Automobilsalon. Warum Typ 2? Weil er nach dem Käfer das zweite Fahrzeug war, das VW auf den Markt brachte.

1948 –  Der französische Kollege des VW-Büsslis war der Citroën Typ H. Er schaffte es sogar in mehr Filme als sein deutscher Konkurrent.

Und das Ding entpuppt sich als voller Erfolg. Kein Wunder: Mit seiner grossen Kabine und eindrücklichen 790 Kilo Tragvermögen ist vom Einsatz als Rettungswagen bis zum Gartentransporter so ziemlich alles möglich. Bekanntlich (und wenig verwunderlich) ist es jedoch nicht das Arbeitstier-Potenzial des Minibusses, das die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf sich ziehen wird … 1951 kommt die zweifarbige Version auf den Markt – mit beidseitigen Doppeltüren, 23 (anfangs noch 21) Fenstern und Platz für maximal neun Passagiere. Was könnte wohl das Schicksal eines solchen Vehikels sein, in einer Welt, die sich im vollen Wiederaufbau befindet? Noch einmal spielt der Niederländer Ben Pons Geburtshelfer – und exportiert das Fahrzeug in die USA. Als einziger Beteiligter am Zweiten Weltkrieg, der selbigen mehr oder weniger unversehrt überstanden hat, ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten gerade dabei, jenen Lebensstil zu erfinden, der bald schon die ganze Welt erobern sollte: die Freizeitgesellschaft. Der VW-Bus kommt da wie gerufen.

Schon bald macht sich der Split Window (wie das Büssli dort wegen seiner geteilten Frontscheibe genannt wird) auf kalifornischen Strassen und Stränden breit. Richtig Fahrt nimmt der Hype allerdings erst auf, als das Modell zum Campingmobil ausgebaut wird. Bereits 1951 beginnt der deutsche Autoausstatter Westfalia, Schlafsofas, Klapptische und allerlei Schränkchen für den Bus zu produzieren. Alles ist auch als Set zum Selbsteinbau zu haben – ein regelrechtes Requisitenkit für Alltagsfluchten der sich auf dem Vormarsch befindenden Mittelklasse! 1954, für die zweite Version des Campingsets, trumpft Westfalia mit einem Dachaufsatz auf, der hochgeklappt noch einmal mehr Platz schafft – und sich im Laufe der Folgejahre von der Möglichkeit, eine Hängematte für die Kids aufzuhängen, zu einer recht eigentlichen Lagerstätte mausern wird.

Die Hippies kommen!

Von da an ist der VW-Bus überall. In den ersten 20 Jahren, bis 1967, ändert sich an seinem Äusseren so gut wie nichts, und noch heute zaubert es einem ein Lächeln aufs Gesicht, wenn man bisweilen eins der Uraltmodelle auf der Strasse spottet. Erschwinglich auch für Studentenportemonnaies (zumal, wenn ein paar zusammenlegen), wird der «Bulli», wie er in seiner deutschen Heimat heisst – weil das kurz für BUs/LIeferwagen steht oder weil er bullig aus sieht, da gibt es mehrere Theorien – zum Fortbewegungsmittel der globetrottenden Nachkriegsgeneration.

1968 –  Der Künstler Bob Hieronimus bemalt den legendären Light-Bus, der im Folgejahr zur Ikone des Woodstock-Festivals wird.

Flower-Power! Wo mittels Musik, demonstrativ langer Haare und sinneserweiternder Substanzen gegen den Vietnamkrieg, für Frauenrechte und gegen Rassendiskriminierung protestiert wird, da ist der VW-Bus meist nicht weit. Psychedelisch bunt bemalt wird das, was einst Statussymbol der Eltern war, zum Peace-Mobil von deren Blumenkindern.

Eine ganz besondere Karriere macht jenes Exemplar, das der Künstler Bob Hieronimus auf Wunsch seines Besitzers 1968 in einen «magischen» Tourbus umwandelt: Der Light-Bus (so genannt, weil seine Bemalung Geschichten über die spirituelle Erleuchtung erzählt …) schafft es im August 1969 am legendären Woodstock-Festival auf ein Agenturfoto und damit in zahllose Zeitungen. Seine Symbolkraft als Hippie-Ikone ist so stark, dass eine Replik davon – das Original war leider unauffindbar – zum 50-Jahre-Jubiläum des Musikfestivals 2019 auf US-Tournee geschickt wurde.

So viel zum Ruhm des VW Typ 2 T 1. Die 1970er überlässt das Urmodell dann seinem Nachfolger, dem T 2, der einen Tick länger und komfortabler ist, vor allem aber über seitliche Schiebetüren und eine ungeteilte Frontscheibe verfügt. Es sind die Kathmandu-Jahre: Wer damals in seinen Zwanzigern ist und es nicht physisch nach Asien schafft, der träumt zumindest davon, während er laut singend durch die Nachbarschaft hötterlt.

Kantiger in den 80s

Und auch sonst ist der Bulli überall. Bevor die japanischen Mini-Vans übernehmen, monopolisiert VW den Leichttransport an allen Fronten: Post, Fernsehen, Handwerker, Armee: Ohne das Büssli geht nichts. Die Wende kommt in den 80ern, als die Konkurrenz endlich aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht. Als wüsste er, dass ihm nun ein rauerer Wind entgegenbläst, kommt der T 3 nun einiges kantiger und, ab 1984, mit Allradantrieb daher. Mit wie viel Nostalgie – ach was: Liebe! – man dem Bulli aber immer noch begegnet, zeigt sich etwa daran, dass VW, bevor man 199o den T 4 in Produktion nimmt, noch eine letzte, auf 2500 Stück limitierte T-3-Abschluss-Sonderserie herausbringt: die «Limited Last Edition». (Wer keinen davon erwischte, aber partout ohne seinen T 3 nicht glücklich wurde, musste nach Afrika: Dort wurde das Modell noch bis 2003 gebaut, jedoch nur als Rechtslenker und für den südafrikanischen und namibischen Markt.)

Und heute? Zieht der VW California alle Register, um die neue Generation bei der Lenkradstange zu halten: mit Tempomat, Sitzheizung und Klima-Anlage (logisch!), aber auch mit Kühlschrank, Parkcomputer und Rückfahrkamera. Schliesslich wollen all die Surfer und Kletterer, die sich ihn zulegen, nicht nur schnell bei ihren Wellen respektive Felswänden sein, sondern auch bequem dorthin gelangen … Der California ist ein Stück Freiheit, das man sich leistet, selbst wenn man ihn 350 Tage im Jahr irgendwo auf dem städtischen Asphalt parkieren muss.

2021 – Der Typ H ist zurück! Der Jumper lässt sich mithilfe des Aufsatzes von Caselani in ein fahrendes Mini-Hotel verwandeln.

Ein neues Kapitel?

Und was hat Corona mit all dem zu tun? Die Pandemie kam dem Minicamper zweifellos zupass, nicht zuletzt, weil die Möglichkeiten, mit dem Flieger ans Ende der Welt zu jetten, in letzter Zeit doch arg begrenzt waren … Also hopp, ins Büssli gesessen, den Maskenalltag hinter sich gelassen und fernab von all den Virenschleudern ein Stück Freiheit genossen! Zumal die Sehnsucht nach mehr Dreck, ein bisschen Wildheit und einem unkomplizierteren, weniger durchgetakteten Leben ohnehin schon länger in der Luft lag.

Ganz ohne Komfort und das WWW gehts dann aber doch nicht. Schliesslich muss man sich erst mal im Netz schlau machen, wie man sein Büssli technisch und optisch auf Vordermann bringt, und dann gilt es. auf Instagram und Co. all die umgesetzten Hacks und Dekotipps ins beste Licht zu rücken! Der Hashtag #vanlife umfasst beinahe zehn Millionen Posts. Was auch kein Wunder ist, schliesslich hat so ein Bus in atemberaubender Landschaft schon etwas für sich. Schade nur, dass die neuen Modelle dem charmanten Original in Sachen Optik nicht das Wasser reichen können, denken Sie? Das sieht man VW offenbar ähnlich; jedenfalls ist für 2023 eine Elektro-Version angekündigt, deren Karosserie mit runden Linien versehen werden soll – für den Neo-Retro-Effekt!

Ob das dem Mythos VW-Büssli zu einem neuen Kapitel verhelfen wird, bleibt abzuwarten. Was man indes jetzt schon sagen kann: Mit Nostalgie im Tank ist das Kultbüssli ganz schön weit gefahren. Das muss man ihm lassen