Die grossen Luxusmarken pflegen ihre Liebe zur Kunst, indem sie immer spektakuläres Stiftungen ins Leben rufen. Wie der Juwelier Cartier, der seine Sammlung im Hezen von Paris sichtbar macht.

Es ist schwer, sich eine prestigeträchtigere Adresse vorzustellen: Place du Palais-Royal Nummer 2. Für was der Name steht: Grösse, Ehrgeiz, historische Verankerung, Sichtbarkeit … Seit Oktober auch für etwas anderes: für den neuen Standort der Fondation Cartier for Contemporary Art. Im Herzen von Paris, direkt gegenüber dem Louvre, in einem Dialog zwischen Vergangenheit und Zukunft, präsentiert sich die moderne Kulturinstitution als experimenteller Ort, an dem die Werke der Künstler fast auf das Trottoir hinausragen. Die Kunst erobert die Strasse.

An diesem Abend Ende Oktober drängt sich eine kunstaffine Traube an der Vernissage, bevor die Fondation für die Öffentlichkeit öffnet. Champagnergläser, ausgeschnittene Kleider und Petit Fours, die so schön sind wie Gemälde. Paris ist ganz nah, direkt hinter den grossen Fensterfronten, die den Ausstellungsraum auf der einen Seite zur Rue Rivoli und auf der anderen Seite zur Rue Saint-Honoré hin öffnen.

Unterhalb des Trottoirs, auf der unteren Ebene des Gebäudes, streckt ein Ficus seine Blätter aus, als Teil der üppigen Installation des brasilianischen Künstlers Luis Zerbini. Diese «modulare Skulptur» umfasst auch Glas- und Steinguttische, auf denen ein persönliches Herbarium präsentiert wird. Im Inneren des Gebäudes zücken die Gäste ihre Handys und posten ihre Eindrücke in den sozialen Netzwerken. Hinter der Scheibe machen Passanten dasselbe, mit einem Blick von oben, der durch die Reflexionen der Autoscheinwerfer im regnerischen Halbdunkel gestört – oder bereichert? – wird. Es wäre falsch, das Fenster als Barriere zu betrachten. Es ist vielmehr eine Einladung. Von einer Seite zur anderen winken sich die Zuschauer zu, lächeln sich an und wetten, dass während der offiziellen Öffnungszeiten der zufällig Vorbeigehende zu einem neugierigen Besucher wird. 

Mit ihrem Engagement für die zeitgenössische Kunst ist die Welt des Luxus zu einem wichtigen Akteur des kulturellen Lebens geworden – und springt dort ein, wo öffentliche Institutionen nur noch Kleingeld in ihren Portemonnaies finden. Eine Möglichkeit, eine Welt zu würdigen, die seit jeher das kommerzielle Schaffen beflügelt und gleichzeitig das Ansehen einer Marke festigt. Der Juwelier Cartier war 1984 der erste, der diesen Weg eingeschlagen hat. Die von Alain Dominique Perrin, dem damaligen Präsidenten von Cartier, ins Leben gerufene Stiftung knüpfte an die Tradition der Mäzene von einst an, indem sie Künstlern aus aller Welt die Möglichkeit bot, sich zu aktuellen Themen zu äussern, ihre Werke auszustellen und manchmal auch zu erwerben. Die so entstandene Kunstsammlung ist fabelhaft. Viele Luxusmarken sind diesem Beispiel gefolgt, manchmal aus kommerziellen Gründen (wie die zahlreichen Kooperationen beispielsweise in der Mode- oder Uhrenbranche belegen), oft aber auch aus der Überzeugung heraus, die Kunst unabhängig vom Umsatz der Boutiquen zu unterstützen. 

Die Fondation Cartier grenzt auf der einen Seite an die Rue Rivoli und auf der anderen Seite an die Rue Saint-Honoré und gewährt durch die breite Fensterfront einen Blick auf die Stadt – und umgekehrt.

Gleichzeitig mit der Eröffnung der Fondation Cartier fand auch die Art Basel Paris statt, ein Ableger der grossen Basler Veranstaltung. Seit jeher engagiert, sich für weibliche Stimmen einzusetzen, hatte das Modehaus Miu Miu die britische Künstlerin Helen Marten zu einem immersiven Erlebnis eingeladen, bei dem Musik, Tanz und Video eine Art Wettervorhersage der Stimmung waren. Louis Vuitton feierte seinerseits einen psychedelischen Garten (inklusive blühenden Oktopus) des berühmten japanischen Künstlers Takashi Murakami. Die perfekte Gelegenheit, ein neues Motiv aus bunten Kapuzinerkressen vorzustellen, das nun eine Reihe von LV-Taschen ziert. Zwei Beispiele der Verbindung von Kunst und Luxus, bei der die Spitzenkunden zunehmend Emotionen suchen als Ergänzung zum blossen Besitz eines Markenartikels.

Mehrere Stiftungen von Luxusmarken haben sich in den vergangenen Jahrzehnten als sichere Werte etabliert. Die Ausstellungen sind mit Spannung erwartete Ereignisse, die das kulturelle Angebot der Städte bereichern und zu ihrer touristischen Attraktivität beitragen. Und wenn man ein Image der Kostbarkeit zu verteidigen hat, ist nichts zu schön, zu raffiniert, um die Sammlungen in Szene zu setzen. Die Gebäude sind zu architektonischen Wahrzeichen geworden, zu denen Ästheten wie Pilger strömen. Etwa das spektakuläre Glassegelschiff, das Frank Gehry 2014 für die Fondation Vuitton am Rande des Jardin d’Acclimatation entworfen hat. Oder die Bourse du Commerce, die 2021 vom japanischen Architekten Tadao Ando aufwendig renoviert und in einen Pariser Ausstellungsort umgewandelt wurde, genauso wie in Venedig die Palazzo Grassi und Punta della Dogana (die ebenfalls von Tadao Ando neu gestaltet wurden).

Die an diesen drei Orten präsentierten Werke stehen zwar nicht in direktem Zusammenhang mit einem Luxusunternehmen, da die Sammlung – eine der beeindruckendsten der Welt – keine Stiftung ist und den Namen ihres Besitzers François Pinault trägt. Da der Geschäftsmann jedoch Gründer der Kering-Gruppe (Gucci, Boucheron, Yves Saint Laurent  …) ist, sind die grossen Marken nicht weit entfernt. Ein weiterer Name, der in der zeitgenössischen Kunst eine wichtige Rolle spielt: Prada. Die Stiftung des Modehauses wird seit 1993 von Miuccia Prada und ihrem Ehemann Patrizio Bertelli geleitet. Der 2015 eröffnete Standort in Mailand ist mit seinem monumentalen Turm in einer ehemaligen Brennerei, der selbst denen den Kopf verdreht, die sich in einem transparenten Aufzug nicht fürchten, geradezu extravagant. Das Programm der Wechselausstellungen ist anspruchsvoll und die Namen der Dauerausstellung, von Louise Bourgeois bis Damien Hirst, echte Hochkaräter.

Ein flexibler Raum, der zur Subjektivität einlädt

Zurück zur neuen Adresse der Fondation Cartier. Die Institution leistet radikale Pionierarbeit in der Kunst. Während sich andere Stiftungen in ihrer Exklusivität abschotten, setzt sie auf Zugänglichkeit für alle und projiziert die Kunst auf die Strasse. «Oft sind Museen für zeitgenössische Kunst Festungen, die nur den Privilegierten vorbehalten sind», sagt Béatrice Garnier, eine der beiden Kuratorinnen der ersten Ausstellung (siehe rechts). «Wir bieten etwas anderes: einen durchlässigen Raum, der mit der Welt interagiert.»

Verantwortlich dafür ist Stararchitekt Jean Nouvel. Der Visionär ist kein Neuling im Museumsbereich, er hat in Paris bereits das Institut du Monde Arabe, das Musée Branly und den ersten Standort der Fondation Cartier entworfen (ganz zu schweigen vom Start Museum in Shanghai oder dem Louvre Abu Dhabi). Transparenz liegt ihm am Herzen, da sie «das Gefühl der Zugehörigkeit zur Strasse, zu den Strassen der Pariser Geschichte verankert.»

Das ehrwürdige Haussmann-Gebäude aus dem Jahr 1855, das ursprünglich als Hotel konzipiert war, wurde vollständig entkernt, durch ein Glasdach fällt Licht in die zentralen Innenhöfe. Das Innere wurde dank fünf Stahlplattformen, die sich wie Aufzüge bewegen und die Konfiguration des Raumes je nach Ausstellung verändern, in eine «Ausstellungsmaschine» verwandelt. Bei der Gestaltung dieses historischen, aber vollständig umgebauten Ortes wurden Seilbahnkonstrukteure und Theatermaschinisten zu Rate gezogen.

Der Effekt ist verblüffend. Der Besucher folgt keinem vorgegebenen Rundgang, sondern wählt seinen Weg nach Lust und Laune. Schau dir diese lustige Miniaturkirche aus bunten Mosaiken von Alessandro Mendini an! Moment! Zuerst ein Spaziergang durch diesen Klangkorridor, in dem der US-Künstler Bernie Krause mehr als 5000 Stunden lang die Geräusche von Tieren zusammengetragen hat.  «Unsere erste Ausstellung heisst ‹Exposition Générale›», erklärt Garnier, «als Hommage an die Kaufhäuser des Louvre, die das Gebäude hundert Jahre lang beherbergt hat. Diese grossen Verkaufsflächen versammelten Objekte, Artefakte, Haushaltstechnologien und Mode in Ausstellungen mit einer unglaublichen Dichte. Sie spielten eine sehr wichtige Rolle bei der Modernisierung der Museen, indem sie dazu anregten, die Disziplinen und Typologien der ausgestellten Objekte einander anzunähen, um Dialoge zu schaffen.» Die neuen Räumlichkeiten treiben diesen Anreiz auf die Spitze. Sie sind eine Einladung, sich von der Schönheit berühren zu lassen – man muss nicht mehr zur Kunst gehen, sie bietet sich jedem an.

Die „Exposition Générale“ von Cartier

Rendezvous zum Jahresende


Luxusmarken sind zu unverzichtbaren Akteuren der Kreativszene geworden, mit Ausstellungen, die darauf abzielen, das Publikum emotional anzusprechen. 

Venedig: Pinault Collection

Die französisch-italienische Künstlerin Tatiana Trouvé erhielt freie Hand, um die majestätischen Räume des Palazzo Grassi zu gestalten. Skulpturen, Zeichnungen und Installationen stehen dort im Dialog mit früheren Werken. 
Campo San Samuele 3231, bis 4. Januar 2026

Mailand: Fondazione Prada

Das Werk des mexikanischen Regisseurs Alejandro G. Inarritu vereint visuelle Installation und Klanginstallation an der Schnittstelle zwischen Kino und bildender Kunst. Es handelt sich um einen Zusammenschnitt von Outtakes seines Films «Amores Perros» aus dem Jahr 2000.  Er zeigt ein Mexiko zwischen Hoffnung auf Demokratie, Korruption und Gewalt. Das ungesehene Material fügt sich zu einer Installation zusammen.

Largo Isarco 2, bis 26. Februar 2026

Paris: Fondation Louis Vuitton

Das gläserne Schiff am Rande des Parc de Boulogne hat sich auf monografische Ausstellungen von Stars der zeitgenössischen Kunst spezialisiert. Nach Jean-Michel Basquiat und David Hockney sind nun die Werke des Deutschen Gerhard Richter zu sehen. Die ambitionierte Retrospektive zeichnet seine mehr als 60-jährige Karriere nach, vor allem im Bereich der experimentellen Malerei.

8, Avenue du Mahatma Gandhi, Bois de Boulogne, bis zum 2. März 2026