Wer gern Schlittschuh läuft, Ob in Zürich, Helsinki oder Vancouver, kommt nicht um den Namen Graf herum. Und dies, obwohl das Kreuzlinger Unternehmen klein und familiär ist.

Zu beginn eine Überraschung: Die Fabrik steht in einem Wohn-quartier. Doch nach aussen dringt kein Lärm. Und selbst im Inneren, in der sogenannten Bodenabteilung, bleibt es bei einem moderaten Hämmern, Schleifen, Stanzen und pneumatischen Zischen. Die in der nahegelegenen Näherei in diversen Modellen und Massen vorbereiteten Schuhschäfte werden hier ruhig, akribisch und über die meisten Arbeitsschritte hinweg von ein- und derselben Fachkraft bearbeitet. So zum Beispiel mit Verstärkungsgewebe und Brandsohlen versehen, unten flachgeschliffen, mit der Aussensohle verpresst, fertig ausgestattet, gereinigt, kontrolliert.

Handfertigte Produktion

Die Produktion in maschineller Hand-arbeit hat seinen Grund: «Bauroboter können schlecht auf individuelle Bedürfnisse eingehen», sagt Petra Di Nardo-Graf. Die Urenkelin des Firmengründers, die den Betrieb gemeinsam mit ihrem Vater Karl Graf leitet, arbeitet seit 33 Jahren hier, kennt die Bedürfnisse aus mehr als 20 Ländern. Rund 85 Prozent der in Kreuzlingen gefertigten Schuhe finden ihre Abnehmer im Ausland, ein bedeutender Teil davon nicht «ab Stange».

Bloss, was ist das für ein seltsamer, wenngleich nicht unangenehmer Geruch? «Klebstoffe», klärt Di Nardo-Graf beim Rundgang auf. Diese werden auf bis zu 240 Grad erhitzt, um verschiedene Komponenten zusammenzufügen – allein die Schuhzunge vereint im Sandwichverfahren sechs Materialschichten. Überhaupt spielt Hitze eine zentrale Rolle: Sie ermöglicht es erst, rigide Kunststoffe, Leder oder auch Curv, wie es für kugelsichere Westen verwendet wird, formbar zu machen. An jenem Posten, wo die mit Nägeln befestigten Rohsohlen aufgerauht werden, stieben die Funken, und überall warnen Schilder vor Brandgefahr. Das ist insofern eine lustige Beobachtung, als dass hier nicht etwa Feuerwehrstiefel hergestellt werden: Die Graf Skates AG – «Schliifschüenler», die ihre Schuhe auf der traditionsreichen Zürcher Dolder-Eisbahn mieten, wissen das genauso wie skandinavische Eishockeyjunioren – hat sich dem Gleiten auf dem Eis verschrieben.

Fast 12 000 Paar pro Jahr

Begonnen hat alles 1921 in einer kleinen Kreuzlinger Schuhwerkstatt. Firmengründer Karl Graf, ein passionierter Leichtathlet, fertigte hier Sportschuhe an. Eislaufen war ein Randthema, man schnallte sich damals Schraubendampfer ans Schuhwerk.

Erst in den 1970ern, als in den USA und in Kanada Sportarten mit speziellem Equipment aufkamen, wagte sich Karl Graf der dritten Generation als einer der ersten (und bis heute noch immer wenigen) europäischen Schlittschuhspezialisten auf das dünne Eis. Es sollte sich als solides Fundament erweisen: In guten Jahren verlassen 12 000 Schuhpaare die Fabrik – vom Einstiegsmodell Bolero, das in China vorproduziert und in Kreuzlingen mit Kufen bestückt wird (ca. 170 Franken), über den Kunstlaufklassiker Edmonton Special (ca. 680 Franken) bis hin zum High-End-Modell, wobei die Custom-Skates für Nordamerika durch einen Firmenableger in Kanada bereitgestellt werden.

Ein immer komplexer werdender Markt

Doch der Markt ist härter geworden. Di Nardo-Graf bedauert den «extremen Preisdruck» durch fernöstliche Billiganbieter. Dann ist da die Schwierigkeit, Eishockeyprofis als Kunden zu gewinnen, weil diese meist Verträge mit Kopf-bis-Fuss-Ausrüstern haben. Von allzu warmen Wintern ganz zu schweigen, und dann kam es bekanntlich noch zur pandemiebedingten Flaute.

Kufenmontage an der Bohrstation.

Da gibts nur eins: agil auf Verände-rungen reagieren. Das Thurgauer Familienunternehmen mit seinen aktuell 17 Mitarbeitenden zeigt sich nicht nur in Bezug auf Modellanpassungen flexibel – etwa als Reaktion darauf, dass die Durch-schnittsfussform heute breiter und runder ist als früher, immer extremere Eis-kunstsprünge nach immer härteren Schuhen verlangen und so mancher NHL-Profi letztlich doch bei Graf landet, weil ihm die ge-
sponserten Skates nicht passen.

Um in unsicheren Zeiten breiter aufgestellt zu sein, sind die Modelle seit drei Jahren zudem in einer Inliner-Version erhältlich. «Wenns sein muss, stellen wir sogar Flipflops her», fügt Di Nardo-Graf hinzu.

Ernsthaft? Sie lacht. Leise, um niemanden bei der Arbeit zu stören, aber deutlich genug, um zu vermitteln, wie sehr sie, ja der ganze Betrieb dafür brennt, dass der Name Graf noch in 100 Jahren für einzigartig hochwertige, passgenaue Schlittschuhe steht.

Petra Di Nardo-Graf

Als Tochter eines Schlittschuhpioniers lag eine Karriere als Eisprin-zessin nahe. Doch die 1963 geborene Kreuz-lingerin langweilte sich beim Unterricht, ent-deckte erst 12-jährig ihre Leidenschaft – fürs Eishockey. Darin war sie so gut, dass sie es bis in die Schweizer Damen-equipe schaffte, ehe sie nach einem Praktikum in einer italienischen Schuhfabrik 1988 zum Familienbetrieb stiess. Aufs Eis geht die zwei-fache Mutter (ihr Mann Mauro Di Nardo ist für Verkauf und Marketing zuständig) und Vize-präsidentin heute nur noch bei zugefrorenen Weihern. Dort findet sie das Rumkurven auch nicht mehr langweilig, sondern «sehr erholsam».