Die Möbelhersteller integrieren zunehmend handwerkliches Know-how in ihre Produkte. Eine Möglichkeit, althergebrachte Techniken zu bewahren und Serienobjekten mehr Seele zu verleihen.
Spitzendecken? Welche Relevanz hat Grosis Häkelei in der aktuellen Welt des Designs? Eine fundamentale, finden die Grafikdesignerin Agnese Selva und die Bühnenbildnerin Bettina Colombo.
Im Jahr 2014 gaben die beiden Kreativen ihre Berufe auf und gründeten das Studio unPIZZO. Ihr Ziel: die traditionelle Spitze aus der norditalienischen Brianza neu zu beleben. Ihre Idee: altes Know-how durch einen neuen Designansatz aufzuwerten. «Bevor die Dinge industriell hergestellt wurden, fertigte man sie von Hand. Wir sind der Meinung, dass zeitgenössisches Design – auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit – sich auf Qualität anstatt Quantität konzentrieren sollte.»
Die beiden interpretieren historische Techniken mit modernem Design, oftmals im XXL-Format. Zu ihren zahlreichen Auftraggebern gehört etwa B & B Italia. Die neue Outdoor-Version des Stuhls Flair O’ Couture hat eine Rückenlehne, die mittels eines Rundwebstuhls gefertigt wurde. Von den Rentnerinnen in ihrem Dorf lernten die beiden Kreativen die Technik, die früher in den Schulen gelehrt wurde.
Eine Prise Magie
Der gelungene Balanceakt aus Massen-produktion und Handwerk entspricht voll und ganz dem Zeitgeist, sich mit Gegenständen und Möbeln zu umgeben, die gleichzeitig funktional, solide und Träger menschlicher Werte sind. Daher findet sich Handarbeit derzeit in vielen Kollektionen grosser Hersteller. Sowohl der Sessel Tessa von Flexform als auch die eleganten Stühle der Kollektion Echoes von Christophe Pillet offenbaren die Komplexität der Herstellung: Die Holzstruktur ist mit einer Rückenlehne und einer Sitzfläche aus geflochtenem Sumpfstroh verwoben – eine alte Handwerkskunst, die in Italien auf dem Land eine lange Tradition hat.
Die spanische Luxusmarke Loewe wagt sich an Korbmöbel heran und haucht ihnen neues Leben ein. Das Designteam besuchte Korbflechtereien auf der ganzen Welt und liess sich von diesen inspirieren. Das Ergebnis sind neben Körben und Umhängetaschen auch einzigartige Stühle. Deren Sitzflächen werden durch sorgfältige Handwebarbeiten mit Raffia (einem strohähnlichen Material, das aus Palmen gewonnen wird) oder Leder zu wahren Kunstwerken.
Das italienische Unternehmen Poltrona Frau, ein Virtuose in Sachen Leder, stellt Sessel und Sofas her, deren Polsterung genauer hinschauen lässt. Eine im 17. Jahrhundert entstandene manuelle Polstertechnik für Sessel und Matratzen wurde mit modernster Technologie kombiniert. Darüber hinaus präsentiert Poltrona Frau auf dem London Design Festival, das in diesen Tagen beginnt, eine Zusammenarbeit mit dem englischen Modedesigner und Schneider Ozwald Boateng. Der aus Ghana stammende Designer half dabei, eine Kapselkollektion mit innovativen Textilien zu entwerfen.
Loewe
An der diesjährigen Mailänder Möbelmesse präsentierte Loewe eine Kollektion von Stühlen mit verschiedenen Webtechniken.