Von den ersten Spikes zu genoppten Sohlen bis hin zu Carboneinlagen: die Geschichte des Laufsports ist eng mit jener des Laufschuhs verwoben.

Rennen. Was soll man sonst tun? Seit Covid-19 mit Pandemie und Abstandspflicht fühlt sich das Joggen mehr denn ja nach Freiheit an. Habitués sind froh, gegen Wind, Wetter und Covid-19 angaloppieren zu können, und Bewegungshungrige anderer Disziplinen montieren angesichts von geschlossenen Studios und Hallen zwangsläufig ebenfalls ihre Laufschuhe.
«Du kannst in jede beliebige Richtung und in jedem Tempo laufen, gegen den Wind und auf immer neuen Routen – und das alles allein mit der Kraft deiner Füsse und Lungen.» Jesse Owens, der Autor dieser Worte und vierfache Goldmedaillengewinner bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin, vergisst dabei allerdings ein Detail: die Turnschuhe.

Dabei wählte der US-Amerikaner seine Ausrüstung seinerzeit keineswegs unbedacht, als er unter den finsteren Blicken von Adolf Hitler über die Laufbahn flitzte. Dem selbsternannten «Führer» passte es gar nicht, dass hier ein schwarzer Champion seine Theorie der arischen Überlegenheit widerlegte. Vielleicht tröstete er sich damit, dass Owens Füsse in Schuhen der deutschen Gebrüder Dassler steckten. Seit 1925 brachten Rudolf und Adolf «Adi» Dassler kleine Metallstacheln am Vorderteil der Sohle an, was die Bodenhaftung massiv verbesserte; die erste olympische Goldmedaille damit gewann 1928 Lina Radke in Amsterdam.

Auch jenseits des Ärmelkanals war man auf diese Idee gekommen, sogar schon etwas früher: Bereits im 19. Jahrhundert verkaufte die britische Firma J. W. Foster & Sons, heute Reebok, Schuhe mit solchen Spikes, während die Liverpool Rubber Company anno 1830 ein Modell aus Segeltuch mit Gummisohle entwickelt hatte. Diese Plimsolls waren für den Strand gedacht. Leicht und weich, konnte man damit praktisch geräuschlos durch die Gegend schleichen, «to sneak», wie das im Englischen heisst – womit die Herkunft des Wortes Sneakers erklärt wäre.

Drei Streifen, ein Swoosh

Gestützt auf diese Erstlingsversuche, konzentrieren sich die Dassler-Brüder in den 1930ern indes auf den Laufsport. 1939 bringen sie das Modell Marathon heraus – und setzen damit das Fundament einer bewegten Familiensaga, die mit einer nicht minder bewegten Zeit zusammenfällt. Verrat, Denunziation und eheliche Komplikationen führen 1948 zum Zerwürfnis zwischen den beiden. In der Folge entstehen zwei separate Firmen: Adi Dassler gründet Adidas, Rudi Dassler Ruda, das er bald in Puma umbenennt.


Der Rest ist Sportgeschichte. 1949 verstärkt Adi Dassler seinen Laufschuh mittels der berühmten drei seitlichen Lederstreifen; 1952 entwickelt er ein neues Marathon-Modell, das den legendären Emil Zátopek zu den Olympischen Spielen in Helsinki begleitet. Acht Jahre später präsentiert Adidas in Rom seinen gleichnamigen Schuh mit Verstärkungen vorn und an der Ferse. «Ein revolutionäres Modell für die Läufer der 60er-Jahre», sagt Pierre Morath, Laufexperte und Autor des Dokumentarfilms «Free to Run» (2016). Allerdings ist es ein Barfuss-Champion, Abebe Bikila, der in Rom Furore machte, als er den Marathon in 2 Stunden und 15 Minuten absolvierte.


Vier Jahre später, 1964 in Tokio, holte der Äthiopier seinen zweiten Olympiasieg: drei Minuten schneller – und mit Pumas an den Füssen. Freilich steht der Athlet Kihachiro Onitsuka nahe, der 1949 Asics (ein Akronym von Anima sana in corpore sano) gegründet hat. Dessen Topmodell – der Tiger, der eigentlich für Basketballer gedacht war – wird bei Läufern immer beliebter, vor allem, seit Shigeki Tanaka 1951 darin den Boston-Marathon gewonnen hat. Das fällt auch einem gewissen Philip Knight auf, selbst Mittelstreckenspezialist und Marketingstudent. Der junge Amerikaner überzeugt Onitsuka, ihn mit dem Verkauf des Tigers in den USA zu betrauen und erhält 1963 eine erste Lieferung. Wenige Jahre später gründet er zusammen mit seinem Trainer Bill Bowerman die Firma Blue Ribbon Sports, die 1972 in Nike umbenannt wird. Namensgeberin ist die griechische Siegesgöttin, deren Flügel auch den heute weltbekannten «Swoosh» inspirieren.

Anfangs touren die Nike-Vertreter noch mit einem Van durch die Stadien, um ihren Turnschuh zu bewerben, der noch stark an den Tiger von Asics erinnert. Bis Bill Bowerman auf ein Waffeleisen stösst, was ihn auf die Idee bringt, Gummisohlen dranzupressen. Und so wird 1974 der Nike Waffle geboren, dessen Noppenrelief die Traktion des Läufers verbessert; ein bisschen wie bei Stollenschuhen, aber ohne die Stollen.

Der Waffle markiert einen Wendepunkt: Er wird zum meistverkauften Modell in den Vereinigten Staaten und wird von der «Vogue» zum «hottest symbol of status» erkoren. Es sind die «Jogging»-Jahre, in denen die Läufer-Community wächst und sich zunehmend auch um Läuferinnen erweitert, nicht zuletzt, weil Kathrine Switzer sich 1967 in den Boston-Marathon geschmuggelt hat, den bis da nur Männer bestreiten durften, und bewiesen hat, dass Frauen durchaus ein Platz in diesem Sport zusteht.

Neben Adidas, Nike und Puma, die den Laufmarkt dominierten, mischen nun auch weniger renommierte Akteure im Lauffeld mit, wie zum Beispiel die ursprünglich auf orthopädische Schuhe spezialisierte Firma New Balance, die sich 1960 mit dem in mehreren Weiten erhältlichen Modell Trachsler einen Namen gemacht hat.

Mythische Modelle

Inzwischen schielt Nike in den Weltraum und spannt mit dem Nasa-Ingenieur Frank Rudy zusammen, um den Nike Air zu entwickeln: den ersten Sportschuh mit Luftkissen, das sich beim Auftreten komprimiert und den Fuss abfedert.


Für die Marken geht in den 80ern nichts über Technologie. «Denn beim Laufsport ist das einzige Gadget, das man technisch verbessern kann, der Schuh», erklärt Pierre Morath. So stellt Asics 1986 eine bahnbrechende Innovation vor: GEL. Ein Dämpfungs- und Stabilisierungssystem, das in den 90ern mit dem Kayano seinen Höhepunkt erreicht. Ein Morath zufolge «mythisches Modell». In diesem Strom von Innovationen halten nicht alle, was sie versprechen. Adidas integriert Schrittzähler und bietet ein Torsionssystem an. «Eine medizinische Fehlkonstruktion», so Morath.


In den Nullerjahren weht der Wind von anderswo. Das Buch «Born to Run» von Christopher McDougall setzt auf die Idee, dass Laufen zwar gut, aber ohne Turnschuhe noch besser sei. Als Beweis dafür führt der Autor die Tarahumaras an, ein Volk von Barfussgängern, die in der Lage sind, in der mexikanischen Sierra kilometerweit zu laufen, ohne wund zu werden. Sie inspirieren die minimalistische Strömung, die eine Kuriosität hervorbringt: den Vibram Fivefingers, den ersten Schuh zum Laufen ohne Schuhe. Aber irgendwie zieht das nicht, und so beschliessen neue Akteure, zur Sohle zurückzukehren, diese aber neu zu denken. Etwa beim One One der Marke Hoka, die 2009 in Annecy gegründet wurde und auf Maori so viel wie «über der Erde schweben» bedeutet.

Das Prinzip dahinter: hohe Ferse mit weicher Sohle, in die sich Fuss regelrecht hineinschmiegt.

1974 Ein Waffeleisen inspirierte den legendären Nike Waffle.


Und dann gibts natürlich noch die 2010 in der Schweiz gegründete Marke On, die ein Running wie auf Wolken verspricht. «Wir haben die Dämpfung neu erfunden», erklärt Olivier Bernhard vom Gründertrio, «indem wir einen Weg gefunden haben, die Aufprallkräfte mittels einzelner geometrischer Elemente zu absorbieren: den Clouds.»


Unlägst hat es schliesslich auch das omnipräsente Carbon in den Laufschuh geschafft. In die Sohlen eingelassen, sorgt er für bemerkenswerten Vortrieb. Welchen Anteil hatte der damit ausgestattete Nike Vaporfly 2019, als Eliud Kipchoge die 2-Stunden-Marke im Marathon knackte (1 h  59′ 40“)? Tatsächlich wurde der Rekord nicht anerkannt, denn: Könnte das technisches Doping sein?

Ein neues Kapitel in der Geschichte des Laufsports beginnt – an dem sogar der Internationale Leichtathletikverband mitschreibt, indem er die Einführung neuer Technologie in Schuhen bis zu den Olympischen Spielen in Tokio sistiert.