Oscar Wilde hatte alles richtig gemacht. Um die Gerüchteküche anzuheizen, soll der Schriftsteller und ultimative Dandy seine Freunde dazu gebracht haben, bei der Londoner Premiere seines Stücks «Lady Windermeres Fächer» im Februar 1892 eine grüne Nelke im Knopfloch zu tragen – nach dem Vorbild einer der Figuren. Die Idee dahinter: die Grenzen zwischen Bühne und Zuschauerraum, zwischen Kunst und Leben zu verwischen. Auf jeden Fall gewann die bescheidene Nelke eine geheimnisvolle Aura, die sie bis heute besitzt – ist  sie etwa ein Zeichen für Homosexualität? Die gewöhnliche Nelke hat die Jahrhunderte mit ihrem zweideutigen Ruf überdauert, mal steht sie für grossmütterliche Biederkeit, mal für avantgardistischen Pomp, mal wird sie mit Misstrauen betrachtet, da sie lange als Friedhofsblume galt.

Nun ist sie wieder auf der Bildfläche erschienen und rückt durch den Trend zur Gartenarbeit ins Rampenlicht. Die neuen Sorten vervielfachen die Farbnuancen und treiben die Blütenkronen mit ihren gekräuselten Blättern in die Höhe. In einem Werbespot für die Luxusmarke Bottega Veneta in diesem Frühjahr ist der Rapper A$AP Rocky mit einer «Craft Bag» am Arm zu sehen, aus der ein Strauss orangefarbener Nelken herausragt. Wie ein Accessoire. Die amerikanische Marke Libertine setzt auf schwarze Drucks mit poetischen rosa Blütenblättern. Prada wiederum eröffnete im vergangenen Herbst Blumenstände, an denen die Marke Töpfe und Samen feilbot, um auch die Magie zu Hause wachsen zu lassen. Inzwischen haben die Floristen die Nelken zu Stars gemacht, zu echten Solokünstlern, anstatt sie wie lange Zeit nur als Nebendarsteller im Blumenstrauss zu präsentieren. Was ist der richtige Schritt? Stellen Sie sie gepflanzt statt in einer Vase aus, als spontanes Geschenk aus dem Garten.