Der Parfümeur Olivier Polge hat ein Eau de Parfum kreiert, das wie ein Sternenhimmel funkelt. Aber wie schafft man es, das Chanel-Universum in kostbare Düfte zu übertragen?

Der Mann ist elegant, zwangsläufig. Sein blauer Anzug ist von Denim inspiriert, seine aufrechte, lockere Haltung auf dem Sofa zeugt von einem raffinierten Savoir-vivre. Nichts anderes hat man erwartet von Chanels Hausparfümeur. Olivier Polge ist erst der Vierte in der 103-jährigen Duftgeschichte des Hauses, der diese Aufgabe innehat. Die darin besteht: das Universum des Hauses in Blumen und aromatische Noten zu übersetzen. Wir treffen ihn an einem regnerischen Frühlingstag in Genf, über uns hängt ein dunkler Himmel. Doch Polge lässt die Sterne kreisen und das Firmament funkeln, wenn er über das neueste Eau de Parfum spricht, das er für die kostbare Kollektion Les Exclusifs kreiert hat. Der Name? «Comète» – er ist eine Anspielung an die Sterne, die Gabrielle Chanel im Laufe ihres Lebens den Weg wiesen. Der Legende nach schmückte der erste ein Mosaik auf dem Boden in der Abtei von Aubazine, einem Waisenhaus, in dem der Teenager das Nähen erlernte. Das Firmament liess Chanel fortan nicht mehr los und inspirierte auch ihre erste Haute-Joaillerie-Kollektion im Jahr 1932: «Ich wollte die Frauen mit Sternbildern überziehen», sagte die Modeschöpferin.


Der 49-jährige Polge setzt diese Suche mit einem «Sternenstaub» fort, den man in den Nacken oder in die Ellenbeuge sprühen kann. Noten von Kirschblüten, Heliotrop, Iris. Es ist der 19. Duft, den er in den neun Jahren kreiert hat, seitdem er die Nachfolge seines Vaters Jacques angetreten hat. Als Musiker und Kunstliebhaber beschreibt der Ästhet seinen Beruf als «experimentell», sehr nah an der Musik, seiner anderen Leidenschaft. Für sich selbst wählt Olivier Polge oft «Pour Monsieur», einen diskreten Duft, der «ein bisschen old school» ist.

Wie würde das neue Parfum „Comète“ aussehen, wenn es ein Kleid wäre?

Wie Strick, der den Körper sanft umhüllt. Für mich ist dieses Parfum strahlend weiss, aber ein etwas gebrochener, warmer Ton.

Das neue Eau de Parfum Comète erinnert an einen Sternenhimmel, mit einem Gefühl von glitzernden Duftnoten.

Gabrielle Chanel war die Erste, die ein Couture-Parfum herausbrachte. Wie wichtig war dieser Gedanke?

Dieser Ansatz ist von grundlegender Bedeutung. Von Anfang an ging es darum, denselben Stil in zwei verschiedene ästhetische Sprachen zu übersetzen.

Wie eng arbeiten Sie heute noch mit der Couture zusammen?

In den ersten 15 Jahren nach der Einführung von «N°5» war die Verbindung extrem stark, da Gabrielle Chanel persönlich in alle Phasen der Kreation involviert war. Heute besitzt jeder Bereich eine eigene, starke Identität. Die Kreationszeiträume sind auch sehr unterschiedlich, in der Parfümerie dauern sie viel länger als in der Mode. Aber wir stellen Virginie Viard, der künstlerischen Leiterin, die Düfte immer in einer Vorpremiere vor.

Man sagt, dass die Parfums von Chanel zwar unterschiedlich sind, aber alle zu einer Familie gehören.

Diese Familie ist auf sehr intuitive Weise aufgebaut. Aber die Kenner müssen sofort erkennen können: Das ist Chanel! 1921 hat «N°5 » die Grammatik unseres Stils eindeutig definiert.

Was bedeutet das?

Es handelt sich um ein recht künstliches Parfum, da es so komplex zusammengesetzt ist, dass man keine bestimmte Blume identifizieren kann. Das ist der Geist, der sich durch die gesamten nachfolgenden Kreationen zieht. Aussergewöhnliche Rohstoffe, die jedoch verändert werden, um sie von der Natur zu entfremden. Unser Motto lautet stets: Vermeide das Offensichtliche! Das führt zu kontrollierten Exzessen. Als «N°5» fast fertig war, fragte Gabrielle Chanel, was der teuerste Bestandteil der Komposition sei. Es war Jasmin. «Nehmen Sie mehr davon!», soll sie gesagt haben. Dieser Elan trägt zur Identität bei.

Dennoch gibt es Moden: In letzter Zeit scheinen alle Parfums sehr süss zu sein. Berücksichtigen Sie das nicht?

Unsere Parfums sollen Moden überdauern, aber das bedeutet nicht, dass sie den Zeitgeist nicht aufnehmen. Wir leben nicht in einer abgeschotteten Kristallkugel! Manchmal spricht mich ein modischer Duft an, dann führe ich ihn in sehr geringen Dosen ein, fast unterschwellig. Zum Beispiel habe ich eine sehr leicht süsse Note in «Gabrielle» integriert, um das Spiel zwischen Zeitlosigkeit und Zeitgeist zu perfektionieren. Das ist sehr subtil.

Und die Tatsache, dass nur vier Parfümeure diesen Geist fortgesetzt haben, trägt sicher zur Kohärenz bei?

Ganz bestimmt! Nur sehr wenige Marken leisten sich das Privileg eines hauseigenen Parfümeurs. Ernest Beaux, Henri Robert, mein Vater Jacques Polge, der 37 Jahre lang für uns tätig war, und ich stehen alle für das Konzept der Nachhaltigkeit. Und es geht nicht nur darum, eine gute Idee zu haben und eine Formel zu schreiben! Chanel verfügt über echtes Know-how in der gesamten Produktionskette. Das Parfümlabor, das ich leite, hat 75 Mitarbeiter. Die meisten von ihnen sind in Paris ansässig. Etwa 15 beschäftigen sich ausschliesslich mit der Forschung und der Analyse von Inhaltsstoffen. Vier Personen sind in unsere Produktionsstätte in Compiègne integriert, zwei weitere arbeiten in Grasse an den Extraktionsmethoden. Die Arbeit ist sehr vielfältig.

War es schwierig, die Nachfolge Ihres Vaters anzutreten?

Es war ein ganz natürlicher Prozess. Die folgenschwerere Entscheidung war eigentlich, die Kunstgeschichte aufzugeben und Parfümeur zu werden. Mein Vater war nicht begeistert, er sagte, dass die guten Jahre vorbei seien. Doch bei einem Sommerpraktikum in einem Labor war es um mich geschehen. Er verwies mich an die richtigen Leute und ich hatte das Glück, meine Ausbildung im Ausland zu machen, vor allem in den USA. Beruflich haben sich unsere Wege kaum gekreuzt. Als er sich zurückzog, war mein Name in der Szene bereits bekannt.

Was hat Sie am Beruf der Nase so fasziniert?

Ich war von der Kreativität und der Sensibilität, die für diesen Beruf erforderlich sind, begeistert. Meine Vorliebe für Musik hat mir gezeigt, dass die Bereiche sehr ähnlich sind. Ein Duft ist wie ein Ton immateriell. Er ist flüchtig.

Der Fussboden in der Abtei von Aubazine in der Corrèze, einem Waisenhaus, in dem Gabrielle Chanel aufwuchs. Das Muster nährte ihre Inspiration.

Wie sieht es mit Ihren Kindern aus?

Ich habe drei Kinder, meine Tochter beginnt gerade ein Studium der Kunstgeschichte. Wer weiss, was danach kommt? So habe ich schliesslich auch angefangen. Meine Eltern waren grosse Liebhaber der Malerei. Man wünscht sich oft, dass die Kinder in die weite Welt hinausziehen und ihre Freiheit geniessen, aber manchmal kommen sie nicht weit. Das ist auch eine Freiheit – ihre eigene.

Was sind Ihre ersten Erinnerungen an Chanel? Schliesslich sind Sie quasi in diese Welt hineingeboren.

Nicht wirklich. Es gab nur ein paar Proben, die zu uns nach Hause gelangten. Ich nahm nur die Seite der Parfümerie wahr – meine Mutter trug den Duft «Coco». Erst später entdeckte ich das aussergewöhnliche Kunsthandwerk der Mode und das der Schmuckherstellung.

Welches Parfum haben Sie selbst als Erstes getragen?

«Egoïste», ich trug es schon, bevor es vermarket wurde, ich hatte das Gefühl, dass es mir wahnsinnig viel Elan verleiht. Chanel zögerte erst, das Parfum auf den Markt zu bringen: ein Herrenparfum mit Amber, Holz und Gewürzen und einem etwas provokanten Namen? Das war nicht der Schlüssel zum Erfolg, aber es war das Rezept für ein sehr gutes Parfum.

Eine der Herausforderungen in der Parfümerie ist der Zugang zu Rohstoffen in der erforderlichen Qualität.

In den letzten 40 Jahren hat die Parfümerie keine tierischen Inhaltsstoffe mehr verwendet, also müssen die Formeln ständig angepasst werden. Die grösste Herausforderung besteht jedoch darin, die Beschaffung zu sichern: Wir arbeiten fast ausschliesslich mit Ernteprodukten. Diese sind stark von klimatischen und politischen Unwägbarkeiten abhängig. Wir müssen vorausschauend handeln, potenziell gefährdete Produkte identifizieren und die Produktionsketten neu organisieren. Ich verbringe die Hälfte meiner Zeit damit, es lehrt Bescheidenheit.

Wie die Musik ist auch ein Parfum flüchtig und immateriell

Ein Beispiel für einen bedrohten Inhaltsstoff?

Ich denke da an Vetiver, das hauptsächlich in Haiti produziert wird. Wir haben sehr enge Beziehungen zu unseren Produzenten und verfolgen die Situation vor Ort genau. Oder rosa Pfeffer: Wir suchen nicht gerne in der Wildnis nach Produkten. Also haben wir eine Plantage auf Mauritius organisiert. Und ich behalte das Basilikum im Auge: Wird es aus gesundheitlichen Gründen strengeren Vorschriften unterworfen?

Chanel kontrolliert einige wichtige Produktionsketten selbst.

In Pégomas, zwischen Antibes und Grasse, haben wir seit 1987 eine privilegierte Partnerschaft mit der Familie Mul. So können wir die Qualität der handgepflückten Mairosen, des Jasmins und der Iris, die wir für den Extrakt von «N°5» benötigen, sichern. Diese Produkte sind identitätsstiftend und wir verarbeiten sie auch selbst. So können wir auch das gärtnerische Erbe bewahren.

Haben Sie eine Lieblingsblume?

Ich gebe Ihnen eine falsche Antwort: die Schwertlilie. Ich schätze sie nicht wegen ihrer Blüte – deren Duft trotz vieler Versuche noch nie jemand extrahieren konnte –, sondern wegen ihrer Wurzeln. Die Wurzeln müssen drei Jahre lang getrocknet werden, damit sie perfekt für die Destillation geeignet sind. Ich mag die blumigen Noten mit holzigen Akzenten.

Die iris ist eine der Lieblingsblumen von Olivier Polge.

Haben Sie in Grasse gelebt und sich mit Blumen beschäftigt?

Nur sehr kurze Zeit. Mein Vater wurde bei Chanel angestellt, als ich vier Jahre alt war, dann zogen wir nach Paris. Meine beiden Eltern stammen aus Grasse, haben sich dort kennengelernt. Ich habe eine starke Bindung an die Region. Man darf aber nicht vergessen, dass der Gartenbau in den 1970er-Jahren noch nicht die Wiedergeburt erlebt hatte wie heute. Es gab nicht viele Blumen.

Wie ist es für einen Parfümeur, in Paris zu leben?

Die Stadt riecht nicht besonders gut. Sie ist wie ein Talkessel gebaut, deshalb ist sie weniger luftig als andere Städte. Aber ich mag den sehr mineralischen Geruch, den es dort gibt, den grünen Hauch von Efeu, der plötzlich aus einem Garten kommt.

Ist ein Parfümeur zwangsläufig auch ein Feinschmecker?

Es wäre schwierig, wenn nicht. Alle Sinne werden angesprochen. Ich mag traditionelle französische Gerichte, die meine Grossmutter, eine wunderbare Köchin, zubereitet hat. Ich spreche hier von Rindfleisch mit Karotten, Gerichte aus dem Süden mit etwas Olivenöl und kleinen schwarzen Oliven. Herrlich!

An die Sterne glauben

Gabrielle Chanel versuchte stets, die Zeichen des Himmels zu entschlüsseln – zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten Astrologie, aber auch Okkultismus Hochkonjunktur. Die Himmelskörper durchzogen als Thema die kreative Arbeit des Hauses Chanel genauso wie die privaten Innenräume von Mademoiselle. Und so funkelten Sterne auch in ihrem Schlafzimmer in La Pausa, ihrem 1930 erbauten Haus in Südfrankreich.