Nicht als Handarbeit: In einer tessiner Manufaktur entstehen Ledertaschen und Accessoires für den ältesten schweizer Gepäckhersteller Pack Easy.

Die Industriezone zwischen Mendrisio und Morbio Inferiore am Ende der Schweiz ist kein sehr erinnerungswürdiger Ort: Aldi, McDonalds, Tankstellen. Irgendwo in diesem Tessiner Nirgendwo, in einem rostroten Haus, befindet sich allerdings ein Atelier, das man nicht so schnell wieder vergisst: Ein mit Maschinen, Papier und Schachteln vollgestopfter Raum in der Grösse einer Zweizimmerwohnung. Auf dem Terrazzoboden liegen Lederresten, aus dem Radio dudeln Pop-Hits, an den Wänden hängen Stanzformen. Es riecht nach Leder und Leim, man hört jemanden hämmern. Nur die iPhones, die auf den Tischen liegen, zeugen vom digitalen Zeitalter. 

In dieser letzten Ledermanufaktur der Schweiz entstehen Taschen von Pack Easy. Die Traditionsfirma aus dem luzernischen Emmen, 1961 gegründet, ist bekannt für funktionale und innovative Gepäcklösungen. Zur Kollektion gehören – nebst Trolleys – seit 20 Jahren auch Ledertaschen: Weekender, Clutches, Umhänge- und Kosmetiktaschen, Adresshalter … Bestellt und personalisiert werden die artisanalen Produkte direkt über die Website, wo man beispielsweise vorab die Farbe wählen kann. 

«Jedes Taschenmodell, das unsere Manufaktur verlässt, ist von A bis Z Handarbeit», sagt Marion Klein, CEO von Pack Easy, während sie uns durch die Werkstatt führt. Der vertraute Umgang mit Werkstattinhaber Roberto, aber auch mit Lili, Rita und den anderen Mitarbeitenden macht rasch klar, dass die Chefin nicht nur einmal im Jahr vorbeischaut. «Wir tauschen uns regelmässig über Weiterentwicklungen neuer Modelle oder Materialien aus», sagt Marion Klein. Und über Qualitätsfragen: «Die Taschen sollen jahrelang Freude bereiten.» Zwar entwickelt ein kleines Kreativteam das Design der schlichten Shopper oder Schultertaschen selbständig, aber als Mastermind der Firma, die einst von ihrem Vater gegründet wurde, ist es für Marion Klein selbstverständich, dass sie auch bei der Kollektion stark mitdenkt. 

Vom Lederstück zum 3-D-Objekt

Roberto geht voran ins Lederlager. Der Geruch ist hier besonders ausgeprägt; kein Wunder bei all den Häuten, die hier hängen oder aufgerollt sind. Die Ecke, in der das Material für die aktuelle Saison lagert – zitronengelb, pink, hellblau – erinnert an einen Bonbonladen. Insgesamt stehen 50 Farben in genarbter und glatter Ausführung zur Verfügung. Man kommt nicht umhin, das geschmeidige Vollrindleder immer wieder zu berühren. Gut anderthalb Stunden dauert es, bis daraus eine Tasche wird; pro Jahr verlassen bis zu 15 000 Stück das Atelier. 

Jeder und jede in der Werkstatt ist für eine bestimmte Station verantwortlich. Das Team besteht aus italienischen Grenzgängerinnen und -Grenzgängern. «In Italien erledigen Chinesen die Näharbeit, in der Schweiz sind es Italiener», sagt Roberto und lacht. 

Vittorio steht am Beginn der Produktion: Er legt die Schablonen für die verschiedenen Teile des Taschenmodells «Lara» auf ein türkises Stück Leder. Dann schneidet er ruhig und präzise mit einem Japanmesser zu. Weitere Bestandteile stanzt er mit Schablonen aus. Damit alle Kanten während der Fertigung präzise gefalzt werden können, dünnt er das Leder wo nötig aus. In der Zwischenzeit werden die Lederstücke, die eine offene Kante haben, an einer Färbemaschine koloriert – passend oder auch mal in einer Kontrastfarbe.

Das «Chef d’Oeuvre», zumindest, was das Handwerk angeht, vollbringen Lilis flinke Hände: Trotz langer, manikürierter Fingernägel schickt sie in Windeseile Lederstücke durch die Nähmaschine. Alles geschieht auf Augenmass, was höchste Konzentration und jahrelange Erfahrung verlangt. Während sie über mehrere Lederschichten näht, verwandeln sich Lederstücke in 3-D-Objekte. 

Es rattert, und in wenigen Sekunden ist ein Umhängeriemen gesäumt, ein Reissverschluss fixiert, ein Fach am Futter angebracht. Was auffällt: Die Taschen sind nicht nur sehr weich, sie wirken dank teils mehrerer Lederschichten wie gepolstert. Trotzdem sind sie leicht. Bei offener Tasche sind auch die Innenreissverschlüsse mit Leder abgesetzt. «Uns ist wichtig, dass die hochwertige Verarbeitung im Tascheninnern weitergeht. An Material sparen wir nicht», sagt Marion Klein und blinzelt neben Lili vor dem Atelier in die Sonne. Es ist Mittag; für einen Moment stehen die Nähmaschinen still.

Marion Klein

Die gelernte Bankkauffrau, 59, ist Inhaberin des Schweizer Reisegepäck-Unternehmens Pack Easy mit Sitz in Emmen/Luzern. Nach mehrjährigen Auslandaufenthalten war Klein in diversen Handelsunternehmen tätig, bis sie Anfang der 90er-Jahre zu Pack Easy stiess. 2008 übernahm sie die Leitung der von ihrem Vater gegründeten Firma. Nachhaltigkeit ist Klein wichtig: Das Gepäck soll ein möglichst langes Leben haben und wird, falls nötig, in der Koffer- und Taschenklinik wieder instand gesetzt.