Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg begann ein Appenzeller, im Kanton Neuenburg Gartenscheren zu produzieren. Manche der Urmodelle sind noch heute im Einsatz!

Ikonisches Design hat bisweilen eine fiese Begleiterscheinung. Manche Objekte dieser Kategorie sind so sehr Teil des Alltags, dass man vergisst, wie viel Intelligenz, Know-how und Ausdauer nötig waren, um sie zu erschaffen. Ein Beispiel? Die Gartenschere Felco 2. Als ultimatives Schneidwerkzeug für Profis hat sie ihren Erfinder zur weltweiten Nummer eins in diesem Sektor gemacht – und die 1500-Seelen-Gemeinde Les Geneveys-sur-Coffrane im Kanton Neuenburg, wo sie hergestellt wird, zum Grüne-Daumen-Hotspot.


Alles begann damit, dass der junge, frisch aus der Armee entlassene Felix Flisch 1945 hier eine aufgegebene Uhrmacherwerkstatt kaufte. Der 1914 in Walzenhausen in Appenzell Ausserrhoden geborene Bursche war mit 15 Jahren in der Westschweiz in die Lehre gegangen und wusste alles über die Schneide- und Stutzwerkzeuge, welche die Landwirte und Weinbauern der Region benutzten. Aus Stahl gefertigt, waren sie schwer und nicht unbedingt sehr effizient.


Und so wird es Flischs Mission, ergonomische und langlebige Werkzeuge zu entwickeln. Was so gut klappt, dass er seine Kreationen bereits 1946 exportieren kann. 1948 erfindet er die Felco 2, deren Griff aus geschmiedetem Alu – eine Novum! – ebenso leicht wie stabil in der Hand liegt und deren Klinge austauschbar ist. Eine lebenslange Garantie sorgt dafür, dass Profis (und bald auch Hobbygärtner) ihr Werkzeug nicht mehr ersetzen müssen.


Heute macht die – fast unveränderte – Felco 2 immer noch 40 Prozent der Verkäufe aus: pro Jahr werden etwa 600  000 Stück abgesetzt. «Man wirft seine Felco nie weg», bestätigt Nabil Francis, CEO und Ehemann der Enkelin von Felix Flisch. «Selbst 60-jährige Werkzeuge werden uns vorbeigebracht, damit wir sie auf Vordermann bringen. Oft reicht es, die Klinge auszutauschen.»

Bienen auf dem Dach

Nachhaltig war die Firma Felco schon, als noch nie jemand von diesem Ausdruck gehört hatte. «Und wir haben uns stets bemüht, sparsam mit allen Ressourcen umgehen», sagt Francis. Heute stammen 60 Prozent des verwendeten Aluminiums aus dem Recycling, beim Stahl sind es gar 100 Prozent. «Unser gesamter Strombedarf wird mittels erneuerbarer Quellen gedeckt, und wir haben selbst Solarpaneele auf dem Dach.» Dort stehen übrigens auch Bienenstöcke – denn der Patron war leidenschaftlicher Imker!


Die Fabrik ist im Laufe der Jahre um das Haus von Felix Flisch herum gewachsen, bis es schliesslich vollständig von der Produktion geschluckt wurde. Im Inneren führen Treppen, Lastenaufzüge und Schiebetüren zu verschiedenen Hallen, Lagern und Werkstätten, wo es vor Aktivität nur so brummt. Hier werden die 400-Kilo-Stahlrollen angeliefert, aus denen die Klingenformen gepresst werden; da werden sie gehärtet, um die optimale Mischung aus Festigkeit und Flexibilität zu erzielen, die für einen dauerhaften Schnitt erforderlich ist; dort werden die Teile geschliffen und geschärft. Parallel dazu entstehen Gegenklinge, Verschlussklinke, Feder, Halterung … und natürlich der Griff, der mit glänzendem, garantiert phthalatfreiem Kunststoff überzogen wird. Dabei war das charakteristische Rot, das der Felco 2 ihren Glanz verleiht, keine zufällige Wahl: «Vielmehr handelt es sich um das Rot der Schweizer Flagge», verrät Aurelia Di Lenardo, Marketing- und Kommunikationsbeautragte der Firma, schmunzelnd.

Zum Schluss gehts an die Montage. Millimeterarbeit, die sofort ans Licht bringt, ob die vorherigen Schritte auch wirklich perfekt ausgeführt wurden. Hier ist handwerkliches Geschick gefragt – auch wenn im Grunde jede und jeder mit einem 7er- und einem 8er-Schlüssel «und ein bisschen Erfahrung» (Aurelia Di Lenardo) eine Felco-Schere auseinandernehmen könnte.
«94 Prozent unserer Garten-, Ast- und Kabelscheren werden ins Ausland exportiert», sagt Nabil Francis. Eine stolze Zahl. «Der internationale Erfolg verdankt sich der hiesigen kompromisslosen Präzision und dem Sinn für Details.» Dass der Markt stark umkämpft ist, habe zudem zur Folge, dass man pausenlos an Innovationen tüftelt. So führt Felco bereits eine Reihe von elektrischen Scheren im Sortiment – und will demnächst eine mit einer App aufgerüstete Rebschere vorstellen, mit der ganze Weinberge geolokalisiert und der Zustand jeder einzelnen Rebe kontrolliert werden können. Willkommen in der Zukunft!

Nachdem er 20 Jahre lang Teams und Unternehmen in Indien, Sri Lanka und auf den Philippinen geleitet hatte, übernahm Francis im Juni 2021 die Leitung von Felco. Lächelnd erzählt er, dass seine Frau – die Enkelin des Firmengründers – ihm die neue Aufgabe ans Herz gelegt habe: «Ich bin dir zwei Jahrzehnte lang gefolgt, sagte sie, jetzt bist du dran!» Letztlich überzeugt hätten ihn aber das Produkt und der Stolz auf gut gemachte Arbeit, den die Mitarbeiter ausstrahlen. «Und die Firmenkultur, die den Optimismus des Handelns über den rationalen Pessimismus stellt.»