In Basel stellt Gertrud Reuter Streichinstrumente her - ein altes Handwerk, das für beste Schwingungen sorgt.

Bei Gertrud Reuter gehören Verstimmungen zum Geschäft. Um ihr Seelenheil braucht man sich dennoch nicht sorgen – mit schlechter Laune oder Katzenjammer haben sie nichts zu tun. Wobei: Manchmal hören ihre «Patienten» sich schon so an, als wäre man einem Vierbeiner auf die Pfote getreten. Wenn die Töne zu hoch oder schräg sind, aus der Reihe tanzen. Dann prüft sie, ob der Stimmstock richtig steht, dass keine Randstellen am Korpus offen sind, und zieht bei Bedarf neue Saiten auf. «Die Saiten beeinflussen die Klangfarbe sehr», sagt die 59-Jährige und fügt mit einem Augenzwinkern an: «Ich bin quasi eine Instrumenten-Doktorin.»


Reuter, kurze dunkle Haare, warmes Lächeln und Leinenschürze um den Bauch, ist Geigenbauerin – wobei die Berufsbezeichnung streng genommen zu eng gefasst ist. 2019 übernahm sie das Geschäft der Basler Koryphäe Roland Baumgartner, mit dem sie über 30 Jahre zusammengearbeitet hatte. Seitdem stellt sie in ihrem eigenen Atelier Geigen, Celli und Bratschen her, führt Reparaturen und Restaurationen aus. Im ersten Stock eines Altbaus, gleich um die Ecke vom Hauptbahnhof. Während andere Geigenbauer oftmals am Stadtrand arbeiten, hat Reuter sich bewusst dafür entschieden, am Standort in der Innenstadt von Basel festzuhalten: «Ich verkaufe auch alte Instrumente und verleihe Musikinstrumente, vor allem an Kinder. Da ist eine gute Erreichbarkeit wichtig. Ich liebe die Vielschichtigkeit meiner Arbeit und den Kontakt zu den unterschiedlichen Musikerinnen und Musikern.»

Im Musikzimmer können Interessierte gleich Hand anlegen, die Instrumente ausprobieren. «Jede Geige hat ihren eigenen Klang und jede Musikerin, jeder Musiker sucht den für sich passenden», erklärt Reuter, die selbst seit ihrer Kindheit passionierte Geigenspielerin ist. Auf dem Fussboden liegen Perserteppiche, um den Schall zu minimieren, auf der Kommode steht ein Gerät, das die Luftfeuchtigkeit anzeigt: 52 Prozent. «Der grösste Feind der Instrumente ist die Trockenheit. Wenn die Luft im Winter zu trocken wird, zieht sich das Holz zusammen und es können Trockenrisse entstehen.»

Die Geige als Handschrift

Das Herzstück ihres Ateliers ist die Werkstatt. Rund vier Wochen benötigt Reuter, um ein Instrument anzufertigen. Die Herstellung erfolgt immer noch wie anno dazumal: alles per Hand, ohne elektrische Maschinen. An der Wand hängen Hobel, Halseisen und Pinsel, im Regal stehen in Spiritus eingelegte Harze, aus denen die Lacke fürs Holz gemacht werden. «Für den Boden, die Schnecke und die Zargen, also die Seitenteile, verwende ich Bergahorn, weil es langsam und gleichmässig wächst», führt Reuter aus. «Die Wahl des Holzes ist wichtig für den Klang.» Aber nicht nur: Bergahorn besitzt auch eine schöne Flammenstruktur, schliesslich spielt auch das Auge mit. Das Griffbrett hingegen ist aus Ebenholz. Ein festes, hartes Material, das der Abnützung durch die Saiten am besten standhält. 

«Ich wollte schon immer etwas mit meinen Händen erschaffen, mit einem Material, das mir sympathisch ist», sagt Reuter. Nach ihrer Ausbildung zur Geigenbauerin kam die gebürtige Deutsche 1988 nach Basel. «Der süddeutsche und Schweizer Raum ist sehr musikalisch, es wird viel Musik gemacht, deshalb gibt es hier viele Geigenbau-Ateliers.» Und auch wenn die Produktion seit Jahrhunderten nahezu unverändert ist: «Jede Geigenbauerin bzw. jeder Geigenbauer hat eine eigene Handschrift, die man sofort erkennt. Für mich sollte eine Geige voll und gross klingen.»

Sie selbst legt Wert auf höchste Qualität, selbst bei den Haaren für die Bögen. «Sie stammen von Hengsten aus der Mongolei, etwas Besseres gibt es nicht.» Warum wird nur der Schweif von männlichen Pferden verwendet? Reuter grinst verschmitzt: «Weil die Stuten ihren leider anpinkeln.»

Es läutet an der Tür, ein Solist möchte seine Geige abholen. Reuter hat sie wieder gestimmt, bereit gemacht für das nächste Konzert. Hat sie ein Lieblingsmodell? Sie schüttelt den Kopf. «Aber wenn eine Stradivari reinkommt, ist es immer bewegend. Das Instrument ist ein klingendes Gesamtkunstwerk!»

Gertrud Reuter

Bereits während ihrer Schulzeit in Öhringen war Reuter Mitglied der jungen deutsch-französischen Philharmonie. Nach der Matura absolvierte sie einen Schreinerlehrgang und machte eine Ausbildung zur Geigenbauerin an der staatlichen Fachschule für Geigenbau in Mittenwald.

Es folgte ein einjähriges Praktikum bei einem Bogenmachermeister in Dresden. Ab 1988 arbeitete sie für Roland Baumgartner in Basel, 2019 übernahm sie das Geschäft. Mehrmals im Jahr lädt Reuter zu gratis Jazz-Kammer-konzerten in ihr Atelier ein.

Informationen unter www.geigenbau-reuter.ch