Erst trugen ihn Soldaten, dann entdeckten ihn die Modemacher für sich: Der Reissverschluss eröffnete ihnen ganz neue Möglichkeiten.

Der erfolg stellt sich nicht sofort ein. Ein Vorläufer des Reissverschlusses taucht Ende des 19. Jahrhunderts in den USA auf. Drei Ingenieure – Elias Howe und Max Wolff im Jahr 1851 und Whitcomb Judson 1893 – entwickeln ein mechanisches System aus Haken und Ösen als Alternative zum traditionellen, mühsamen Knöpfen. Doch diese frühen Modelle, die häufiger aufgehen, als dass sie geschlossen bleiben, haben noch Optimierungspotenzial. Und so ersetzt Gideon Sundbäck, ein schwedisch-amerikanischer, eigentlich auf Dampfturbinen spezialisierter Ingenieur, 1913 die Haken und Ösen durch Zähnchen, die mithilfe eines Schiebers ineinander greifen.

Etwa zeitgleich kommt in der Schweiz Simon Frey aus Solothurn auf die gleiche Idee. Da er aber in Europa keinen Abnehmer findet, verkauft er seine Erfindung in die USA. Wegen dem Geräusch, das der Metallschieber beim Öffnen und Schliessen macht, ziiiiip, erhält das Ding in den Staaten die Bezeichnung Zipper – und findet erstmals 1917 an den Schuhen von Soldaten Verwendung, die den Atlantik überqueren, um die französischen Truppen zu unterstützen. So erobert der Reissverschluss über Umwege schliesslich doch noch den Alten Kontinent.

Der Rolls-Royce der Reissverschlüsse

Und hier ist es wieder ein Schweizer, der Pionierarbeit leistet. Martin Othmar Winterhalter kauft 1924 sein Patent von Gideon Sundbäck und gründet die Firma Riri, die er 1936 in Mendrisio ansiedelt. Riri – von «Rippen» und «Rillen» – ist lange Zeit ein Aushängeschild der Schweizer Industrie und gilt als der Rolls-Royce unter den Reissverschlüssen. Heute ist die Marke in Italien ansässig, steht aber nach wie vor für Topqualität: «Wenn Sie 1000 Euro für eine Jacke ausgeben, können Sie erwarten, dass der Reissverschluss von Riri ist, da es sich um die prestigeträchtigste Marke des Sektors handelt», heisst es etwa in der Rubrik «Kleiner Leitfaden für die praktischen Dinge des Lebens» des Männermagazins «GQ».


Im selben Jahr wie Riri und ebenfalls mit Sundbäcks Patent wird auch in Frankreich eine Reissverschlussfirma gegründet: Éclair. (Ein Name, der bald als Synonym in den allgemeinen Sprachgebrauch eingeht, wie im Deutschen Fön oder Nylon). Und zehn Jahre später und einiges weiter östlich tritt schliesslich ein dritter Akteur auf den Plan. Am 1. Januar 1934 gründet der Japaner Tadao Yoshida das Unternehmen Yoshida Kōgyō Kabushiki-gaisha, kurz YKK. Fast 90 Jahre später stehen diese drei Buchstaben für den Marktführer bei Reissverschlüssen: Die Hälfte aller weltweit produzierter Reissverschlüsse ist von YKK.

Bevor er freilich solche Höhen erreichte, brauchte der Reissverschluss etwas Zeit, um seinen Platz in der Mode zu finden. Denn obschon zweifelsohne nützlich, wurde er zu Beginn als nicht sehr attraktiv empfunden – und entsprechend versteckt angebracht, zum Beispiel in Seitennähten.


Die Wende kam, als zwei visionäre Köpfe aufeinandertrafen. 1933 bot Harry Houghton von der Firma Lightening Fastener der Designerin Elsa Schiaparelli 10 000 Dollar dafür, dass sie seine Reissverschlüsse in ihre Entwürfe einarbeitete. Er hätte sich seine Geschäftspartnerin nicht klüger aussuchen können: Die mit den Surrealisten befreundete Modeschöpferin sollte in der Folge die Erste werden, die den Reissverschluss als dekoratives Element verwendete. «Wie eine Stickerei», formulierte es Jean Paul Gaultier im Dokumentarfilm «Elsa Schiaparelli – Mode ist Kunst» (2015) von Sabine Carbon.

JFK gefiel es

Während ein Reissverschluss, der quer über ein Kleid verlief, für viele ein Schock war, sahen andere darin den Gipfel des Chics. 1938 setzte Wallis Simpson, Herzogin von Windsor und Schiaparelli-Kundin, der künstlerischen Leiterin von Van Cleef & Arpels, Renée Puissant, den Floh ins Ohr, dieser Zipper könnte auch ein schönes Bijou abgeben. Gesagt, getan: Die Idee reifte in den Werkstätten des Schmuckhauses, und 1950 kam das erste Zip-Collier auf den Markt. Ein Jahr später folgte eine noch raffiniertere Version, die geöffnet als Halskette und geschlossen als Armband getragen werden konnte. Heute ist der Zip ein Klassiker und ein Stück Modegeschichte; ein Exemplar ist im Musée des Arts Décoratifs in Paris ausgestellt.


Nachdem die Tür zur Luxusabteilung aufgestossen war, eignete sich der Reissverschluss die neuen Technologien der 1960er an. Etwa, indem er nun auch aus Kunststoff hergestellt wurde, was ihn flinker (und, wenn nötig, dezenter) machte. Zudem verliess er immer häufiger auch die Seitennähte, um sich am Rücken an die dortigen Kurven zu schmiegen – so an jene von Marilyn Monroe, die anlässlich des Geburtstags von John F. Kennedy am 19. Mai 1962 in einem millimetergenau sitzenden Kleid auftrat. In diesen Jahren löste der Reissverschluss auch die Knopfleiste der Hose ab.


Und schliesslich kam die Zeit, in der er sich über seine blosse Funktion hinaus erhob. Für den Punk, der zwischen 1976 und 1980 durch Europa schwappte, war er gar identitätsstiftend. Der Destroyed-Look der Sex Pistols diente als Vorbild für eine Ästhetik, die sich durch die provokative Zweckentfremdung von Nieten, Sicherheitsnadeln und eben dem Reissverschluss – natürlich in seiner rohen, metallischen Version – auszeichnete. Entgegen allen Regeln des guten Geschmacks (aber ganz im Geiste von Schiaparelli!) wird er da platziert, wo er zwar nichts nützt, aber ins Auge sticht.


Mode und Punk gehen Hand in Hand, angeführt von Vivienne Westwood, die tatsächlich erst als Stylistin der Sex Pistols begann (da sie mit deren Manager verheiratet war), bevor sie ihren eigenen Stil entwickelte. In Frankreich war Gaultier die Galionsfigur des modischen Punk, während bei uns in der Schweiz Stefi Talman 1979 die Bottine ZIP mit schräg über dem Rist verlaufendem Reissverschluss lancierte. Der Schuh ist heute in der Sammlung des Zürcher Museums für Gestaltung, wird aber immer noch hergestellt und rege gekauft.

Künftig brauchen wir nur noch eine Hand

Die Moden kommen und gehen; der Reissverschluss bleibt. Und hat es geschafft, sich unentbehrlich zu machen, obschon er bisweilen die Nerven auf die Probe stellt, wenn er klemmt oder der Schieber entgleist. Aber auch hier wird fleissig weiterentwickelt: 2003 wurde die Alinghi-Crew mit wasserdichten Hightech-Reissverschüssen ausgestattet; das von Riri entwickelte Modell mit dem passenden Namen Storm holte 2004 gar den Swiss Technology Award.

Und YKK? Liess letztes Jahr verlauten, an der Entwicklung eines magnetischen Reissverschlusses zu sein, der mit einer Hand geöffnet und geschlossen werden kann, ganz ohne den Schieber in die Reissverschlussbox schieben zu müssen.
Und wenn man sich die Kollektionen für Herbst/Winter 2021/22 ansieht, zum Beispiel die hautengen, gezippten Leder-Jumpsuits von Rick Owens oder die ebenfalls mit Reissverschluss ausgestatteten Blazerkleider von Y/Project, so müssen wir uns wohl auch um die Zukunft keine Sorgen machen.  

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