Mit seiner runden Brille und dem weissen Lockenkopf verkörpert Mario Botta, 1943 in Mendrisio geboren, wo er derzeit lebt, das archetypische Bild des Künstler-Architekten.

Die Architektur verwandelt einen Zustand der Natur in einen Zustand der Kultur.

Seine Entwürfe sind gezeichnet von einer ruhigen, formalen Schlichtheit, die unkompliziert und leicht zu verstehen ist. Während seine Bauwerke auf der ganzen Welt stehen – von Frankreich (Opéra de la Bastille) über Südkorea bis hin zur Ukraine und Bolivien –  ist er auch im Tessin, seinem Heimatkanton, präsent, teils sogar mit einfachen Wohnhäusern. Doch vielleicht verkörpert die religiöse Architektur (über 22 Kirchen, darunter die Kathedrale der Auferstehung von Évry) am besten sein meisterliches geometrisches Geschick. Im letzten Frühjahr eröffnete er ein Gebäude im CST von Tenero, dem zweitgrössten Sportförderzentrum des Bundes nach dem in Magglingen.

1. Eine schwarz-weisse Perle – San Giovanni Battista in Mogno, Tessin, 1992-1998


Wer die Kirche San Giovanni Battista sehen will, muss es sich verdienen: Man erreicht sie nach vielen Kurven durch die wunderbare Landschaft des Maggiatal. Mogno ist kaum ein Dorf, eher ein kleiner Ort mit den für die Region typischen Häusern, die sich an einen Berghang schmiegen. An diesem Berghang stand einst eine Kirche aus dem 15. Jahrhundert, die 1986 von einer Lawine mitgerissen wurde. Sie musste also, wie als Herausforderung an das Schicksal, schöner und solider als zuvor wiederaufgebaut werden. Das ultramoderne Projekt von Mario Botta (errichtet zwischen 1992 und 1996) hebt sich deutlich von den traditionellen und hübschen Dorfhäusern ab.

Die zylinderförmige Struktur steht der Bergwand trotzig gegenüber und besticht durch den kühnen dekorativen Einsatz von weissem Peccia-Marmor und Granit aus dem Maggiatal. Die Reinheit der Geometrie, ohne weitere Verzierungen, erinnert an die Zweifarbigkeit romanischer Kirchen. In der Kirche von Mario Botta finden sich sowohl Kraft in den fest verankerten Wände als auch Leichtigkeit in der verglasten Überdachung und den Lichtschächten.

Mogno, Maggiatal (Gemeinde Lavizzara), die Kirche ist immer geöffnet, ausser bei starkem Schneefall

2. Mechanische Architektur – Tinguely Museum, Basel, Schweiz, 1996

Mit einer Ausstellungsfläche von fast 3000m² bietet das von Mario Botta am Ufer des Rheins errichtete Museum einen massgeschneiderten Raum für die unglaublichen mechanischen Skulpturen des Künstlers Jean Tinguely. Der grossräumige zentrale Bereich, der Platz für bis zu 20 riesige Stücke bietet, kann auch von den seitlichen Galerien aus betrachtet werden, die zu intimeren Räumen führen. Zenitlicht, Fensterfronten zum Rhein, eine Hängebrücke – all diese Elemente integrieren die Präsenz des Flusses in das Herz des Gebäudes. Der historische Park Solitude mit den jahrhundertealten Bäumen am Fusse des Museums lädt dazu ein, über die gewonnenen Eindrücke zu sinnieren.

Museum Tinguely, 2 Paul Sacher-Anlage, Basel, www.tinguely.ch. Bis zum 24. September 2023: Sonderausstellung „Dream Machines“ von Janet Cardiff & George Bures Miller.

3. Wohlfühlritual – Mineralbad & Spa Rigi Kaltbad, Schwyz, Schweiz, 2012

Seit über 600 Jahren strömen Gesundheitspilger auf die Höhen der Rigi oberhalb von Luzern, um ins kalte Wasser einzutauchen und von dessen reinigenden Eigenschaften zu profitieren. Die erste „Badekapelle“ stammt aus dem Jahr 1545, das sagt schon einiges. Als es darum ging, den Ort neu zu gestalten, setzte sich Mario Bottas nahezu mystischer Ansatz durch. Der neue Thermalbereich von Rigi Kaltbad, der mit dem gleichnamigen Hotelkomplex verbunden ist, bietet heute Alternativen zum eiskalten Wasser (heisse Quelle, Dampfbad…), bewahrt jedoch seine spirituelle Dimension. Die Architektur ist geprägt von Grösse und Nüchternheit, zeigt sich spektakulär monolithisch und bietet einen atemberaubenden Panoramablick auf den Vierwaldstättersee. Mario Botta hat eine Art Spa-Garten geschaffen mit einer 30m langen Mauer, die entlang der Becken verläuft und mit Glasfenstern beleuchtet ist, die wie Kristalle wirken. Das Gesamtkunstwerk mit seiner andächtigen Atmosphäre lädt zum Innehalten ein.

AQUA-SPA-RESORTS, Rigi Kaltbad Zentrum 1, für die Öffentlichkeit von 10 bis 19 Uhr geöffnet (ab 8 Uhr für Hotelgäste), mit der Seilbahn von Weggis oder mit der Zahnradbahn von Vitznau erreichbar

4. Ein Juwel in den Bergen – Granatkapelle, Zillertal, Österreich, 2011-2013

Auf einer Höhe von 2087 Metern überragt die kleine Kapelle das Zillertal im österreichischen Tirol. Die Kapelle bietet einen Ort der Ruhe und Besinnung inmitten des Trubels des Alpintourismus. Sie ist nur ein Steinwurf entfernt von den Bergrestaurants, aber mitten im Herzen dieser schroffen Natur mit ihren klaren Bergseen, und scheint allen Launen des Himmels standzuhalten. Die geometrische Form der Kapelle (wie ein zwölf-flächiger Rhombus) erinnert an einen Edelstein, den Granat, der lange Zeit im Zillertal abgebaut wurde und in der Region noch sehr geschätzt wird. Das Gebäude steht wie auf einem Winkel im Gleichgewicht. Die metallische Fassade greift die rötlichen Töne des Granats auf, während das Innere, das vollständig mit heimischem Holz verkleidet ist, Kontraste schafft: warm und kalt, glänzend und matt, ruhig und lebendig, bescheiden und spektakulär zugleich.

Auf dem Plateau des Bergs Penken, mit der Seilbahn der Finkenberger Almbahn erreichbar, www.granatkapelle.com

5 – Restaurant Fiore di Pietra, Monte Generoso, Tessin, Schweiz, 2017

Vom Ufer des Luganersees aus erklimmt seit 1890 eine Dampfeisenbahn (die einzige im Tessin) die 9km langen steilen Hänge bis zum Gipfel des Monte Generoso. Die Natur auf dem Monte Generoso ist atemberaubend, der Ausblick ebenso. Genau hier, auf 1704m Höhe oberhalb einer steilen Felswand, wurde 2017 das Restaurant Fiore di Pietra (Blume aus Stein) eröffnet, das auf den Überresten eines im frühen 20. Jahrhunderts erbauten Hotels errichtet wurde. Die achteckige Konstruktion besteht aus fünfstöckigen Blütenblättern in Form einer Tulpe. Die Fassade wird von einer mit Naturstein bedeckten Betonstruktur gebildet. Sie glänzt in der Sonne und fügt sich erstaunlich gut in diese Berglandschaft ein, in der sich das Natürliche mit dem Künstlichen vereint. Der ehrgeizige Bau bietet mehrere funktionale Räume, Lehrpfade und Aussichtspunkte, darunter ein lichtdurchflutetes Gourmetrestaurant. Die Blume aus Stein thront über der Landschaft und so wird den Besuchern ein atemberaubender 360-Grad-Panoramablick auf die Alpen und Lugano im Norden sowie die Po-Ebene und Mailand im Süden gewährt.

Ferrovia Monte Generoso, Via Fam. Carlo Scacchi 6, www.montegeneroso.ch/fr