Bakterien auf der Gesichtshaut wurden lange Zeit bekämpft. Aber was, wenn sie in Wahrheit die besten Verbündeten eines strahlenden Teints sind?
Autsch! Können sie sich noch an die hyperaggressiven Cremes und Lotionen erinnern, mit denen von Akne betroffene oder besonders fettige Haut ausgetrocknet werden sollte? Dieses brennende Gefühl beim Auftragen der vermeintlichen Heilmittel? Wenn die Experten von heute in die Vergangenheit reisen könnten, würden sie aufschreien: «Stopp! Hören Sie auf, die Haut zu malträtieren und lassen Sie die Bakterien am Leben!» Moment mal, Bakterien? Was für eine verrückte Idee! Und doch: Das sogenannte Hautmikrobiom ist ein bakterielles Ökosystem, das sie schützt und ihr hilft, den Säuregrad (PH-Wert) zu regulieren. Es besteht aus mikroskopisch kleinen Lebewesen, die wesentlich zur Gesundheit der Epidermis beitragen. Das Hautmikrobiom funktioniert ähnlich wie sein etwas bekannterer Cousin, das Darmmikrobiom. Wenn mit Probiotika angereicherter Joghurt die Qualität der Verdauung von innen heraus verbessert, unterstützen mit denselben Probiotika angereicherte Schönheitsprodukte die gesunde Entwicklung der Haut von aussen.
«Ein gutes Mikrobiom verbessert das Erscheinungsbild des Teints, spendet Feuchtigkeit und beugt der Hautalterung vor. Diese ist auch eine Form von Entzündung, die von Bakterien bekämpft werden kann», erklärt Marie Drago, Gründerin der Dermokosmetikmarke Gallinée. Die Marke ist seit Anfang des Jahres in der Schweiz erhältlich und die erste, die auf die Bedürfnisse des Mikrobioms fokussiert. Das Ziel: die Haut im Gesicht und am Körper sowie das Haar und die Mundhygiene zu verbessern. Anstatt die Bakterien mit einer zu scharfen Reinigung zu töten, sollten wir uns lieber mit den mikroskopisch kleinen Tierchen beschäftigen, die sich auf unseren Wangenknochen tummeln. Es gibt zehnmal weniger Sterne in der Milchstrasse als Bakterien auf unseren Gesichtern. «Ein Grundstock an Bakterien, etwa 80 Prozent, ist jedem Menschen gemeinsam. Innerhalb dieses Prozentsatzes sind die fünf wichtigsten gute Bakterien, die ungefähr die gleichen Dinge mögen. Wenn wir also die Haut auf den richtigen PH-Wert einstellen und sie mit Probiotika füttern, können wir ihre Entwicklung fördern und das Mikrobiom wieder ins Gleichgewicht bringen», sagt Drago. Die kleinen Vielfrasse haben nämlich ihre eigenen Ernährungsvorlieben. Seren, Cremes oder Toner, die mit Pro- und Präbiotika angereichert sind, sind ganz nach ihrem Geschmack.
Schon seit etwa einem Jahrzehnt setzt die Industrie auf sauberere, natürlichere, «cleanere» Formeln. Aber der nächste Schritt ist bereits in Sicht: ein besseres Verständnis der Inhaltsstoffe, aus denen ein Schönheitsprodukt besteht. Wir stehen an der Schwelle zum «Cleanical»-Zeitalter: Die Wissenschaftler streben nach Produkten, die sauber sind und gleichzeitig nützliche Inhaltsstoffe enthalten, die sich bei der Anwendung als wirksam erweisen. Mikrobiomverbesserte Formeln passen perfekt zu dieser Vision und lassen sich in die Routine der Schönheitspflege integrieren. «Wenn die Haut mit anderen Produkten angegriffen wird, müssen wir dafür sorgen, dass die guten Bakterien am Ende der Routine zurückkehren», so Drago.
Weniger ist mehr
La Roche-Posay forscht seit 2011 an der Entwicklung eines eigenen Bakterienstamms. Aqua Posae ist in verschiedene Produktlinien integriert. L’Oréal engagiert sich seit 2019 auf diesem Gebiet und hat im Dezember 2023 sogar das dänische Unternehmen Lactobio übernommen, das sich auf die Erforschung von Probiotika und des Mikrobioms spezialisiert hat. Und auch Unternehmen wie Clarins reichern ihre bestehenden Tonic-Formeln mit Probiotika an.
In der Schweiz integriert Cellcosmet seit über zwei Jahren einen postbiotischen Komplex in seine Zellextrakte, auch bei seiner Männerlinie Cellmen. Der nächste Schritt? Hauttests, mit denen man die Bakterienzusammensetzung der Gesichtshaut vollständig erfasst, um eine individuelle Pflege anzubieten. Tancrède Amacker, CEO von Cellcosmet, versichert, dass das Unternehmen für diese massgeschneiderte Pflege bereit ist: «Wir können eine Diagnose stellen und das Produkt entsprechend dosieren», sagt er. «Jetzt müssen wir nur noch die Produktionsanlagen an diese „Haute Couture“-Dienstleistung anpassen.»