Nach unruhigen Jahren führt der österreicher Norbert Stumpfl das Luxuslabel Brioni stilsicher in die Zukunft - und zurück zu den Wurzeln.

Norbert Stumpfl spricht so, wie die Mode ist, die er designt: ruhig, unaufgeregt, besonnen. Da gibt es keine wilden Gesten oder lauten Ausrufezeichen. Alles, was der 46-Jährige sagt, hat Hand und Fuss. Als Executive Design Director prägt der Österreicher seit fünf Jahren die Modekollektionen von Brioni, dem teuersten Anzugschneider der Welt.

1945 gegründet, kleidet das römische Luxuslabel seit Beginn Hollywoodstars, Politiker und eine kleine Elite an wohlhabenden Geschäftsleuten ein. Der Inbegriff von Stil und Eleganz. Genauso wie bei der See um die kroatischen Brijuni-Inseln, nach denen Brioni benannt ist, herrschte aber auch bei dem Modehaus eine Zeit lang hoher Wellengang: 2012 wurde das Familienunternehmen an die Kering Group verkauft, innerhalb von fünf Jahren kamen und gingen vier Designer und Designerinnen. Bis Norbert Stumpfl das kreative Ruder übernahm. Seitdem ist die absolutistische Ära der Windsor-Knoten passé, modernisiert er Brioni sanft, aber mit bestimmter Federführung.

Zuvor arbeitete der Absolvent des Central Saint Martins College for Art and Design für Grössen wie Balenciaga, Lanvin, Louis Vuitton und Berluti. Wir treffen ihn im Brioni-Hauptquartier in Rom. An den Wänden gerahmte Bilder von berühmten Kunden und Kundinnen, über dem Empfang ein grosses Plakat mit Jude Law und seinem Sohn Raff. Auch sie symbolisieren den Wechsel, der im Gange ist: Statt einer fiktiven James-Bond-Figur sind jetzt echte Männer das Gesicht der Marke. Jüngster Coup: Glen Powell blickt als Freund des Hauses von der Kampagne der aktuellen Kollektion. Sie wird bald abgelöst von der Frühjahrs-/Sommerkollektion 2024. Die farbenfrohen Hosen, Jacken und Hemden hängen demnächst auch in der Zürcher Boutique, die im Herbst komplett renoviert wurde.

Der Brioni-Store in Zürich wurde gerade umgebaut und neu eröffnet. Was zeichnet das Design aus?

Die Renovation war wichtig. Die Boutique war sehr dunkel, jetzt ist sie viel heller, moderner und im Einklang mit unseren anderen Läden. Wir haben einen Inhouse-Architekten und er setzt das um, was wir schon in unserer Londoner Boutique realisiert haben. Natürlich gibt es aber von Stadt zu Stadt kleine Änderungen. Wir sind sehr glücklich mit dem Ergebnis.

In der Schweiz gibt es viele Banker, die Anzug tragen. Wie wichtig ist der Schweizer Markt für Sie?

Wir veröffentlichen keine Zahlen, aber Anzüge und Jacketts sind ein wichtiger Pfeiler für uns, sie werden alle von unseren Schneidern in Penne massgefertigt. Unsere Anzüge unterscheiden sich stark von jenen anderer Anbieter. Die Kunden haben grossen Respekt vor unserem Schneiderhandwerk.

Sie selbst wuchsen auf dem Land in der Nähe von Linz auf.

Ja, es gab viele Bauernhöfe in der Nachbarschaft. Man muss es sich mal vorstellen: Das Dorf, aus dem ich komme, ist so gross wie Paris, aber es leben weniger als 2000 Leute dort. Es gab Wälder, Flüsse, ich war immer draussen in der Natur, meine Eltern wussten nie, wo wir waren. Meine Töchter sind jetzt 10 und 13 Jahre alt, manchmal wünschte ich mir, sie hätten eine Kindheit wie ich gehabt. Ich kam nur zum Mittagessen und Abendessen nach Hause. Wir waren sehr frei, kletterten auf Bäume, sprangen von Hausdächern, bauten Baumhäuser – das hat meine Kreativität stark beflügelt.

Nicht gerade eine Umgebung, in der man mit High Fashion in Berührung kommt. Was hat Ihre Liebe zur Mode entfacht?

Ich zeichnete schon immer wahnsinnig gerne und hatte einen Lehrer, der mich sehr gefördert hat. Er sagte immer, dass ich etwas Kreatives machen solle. Also besuchte ich die Modeschule in Linz und habe schon früh Unterricht erhalten, wie man zeichnet, schneidert, näht – das hat mir eine sehr gute Grundlage gegeben, die mir noch heute nützlich ist. Ich hatte mein ganzes Leben unglaublich viel Glück. Nach einer Anstellung bei einem Skimodehersteller bewarb ich mich am Central Saint Martins College in London. Ich wurde tatsächlich genommen, als einer von ganz wenigen.

Ihren M.A. machten Sie bei der legendären Modeprofessorin Louise Wilson. Sie war bekannt für ihre harte Hand.

Ja, sie liess mich durch alle Prüfungen fallen. Sie sah etwas in mir, wusste aber, dass ich viel zu schüchtern war, und forderte mich heraus. Sie baute mich komplett neu auf und stattete mich mit Stärke aus, wenn man das so sagen kann. Am Ende meines Studiums schloss ich als einer der Besten ab.

Ursprünglich wollten Sie Architekt werden. Wenn Brioni ein Gebäude wäre – welches wäre es?

Vielleicht eines von Mies van der Rohe. Er war ein Architekt, der seinen Stil immer und immer wieder wiederholte. Sehr pur und trotzdem detailreich. Zum Beispiel der Barcelona-Pavillon: Er besteht aus wahnsinnig guten Materialien und technischen Raffinessen, die extrem schwierig herzustellen sind. Etwa die dünnen Säulen, die das ganze Gewicht des Gebäudes tragen. Es ist wie bei uns: In einen Brioni-Anzug fliesst so viel Wissen ein, aber schlussendlich sieht er effortless und leicht aus.

In den vergangenen Jahren gab es viele Wechsel bei Brioni. Wie lautete der Auftrag, als die Anfrage kam?

Wir wollen unsere existierenden Kunden behalten, aber dem Brand mehr Modernität verleihen. Das interessierte mich am meisten: diese klassische Marke vorsichtig zu modernisieren. Man muss es sehr sanft machen. Weil ich schon bei Balenciaga war, wusste Kering, wie vielseitig ich bin. Sie haben gesehen, dass ich mit den besten Leuten der Branche zusammengearbeitet habe:
Haider Ackermann, Kim Jones, Alexander McQueen  … Brioni ist der Ort, an dem meine ganzen Erfahrungen zusammenkommen.

Der momentane Quiet-Luxury-Trend, den Sie auch persönlich verkörpern, spielt Ihnen dabei in die Hände.

Absolut. Wir verwenden so gut wie keine Logos. Man würde nie erkennen, dass jemand Brioni trägt, aber man sieht die Qualität und dass die Person auf sich achtet und einen sehr guten Geschmack hat. Es ist Mode, die die Persönlichkeit nicht überdeckt.

Ist es nicht schwierig, mit leisem Luxus eine junge Käuferschaft anzusprechen?

Nein, das glaube ich nicht. Die jungen Menschen sind heute sehr daran interessiert, wie ein Produkt hergestellt wird. Sie sind gut informiert, investieren in Langlebigkeit und wollen sich korrekt verhalten. Es ist interessant: Weil sie gerade beginnen, sich eine Garderobe aufzubauen, kaufen sie die klassischsten Stücke, etwa den Blue Suit. Die ältere Generation legt sich hingegen schon mal ein pfirsichfarbenes Sakko zu. Die Kunden in ihren 60ern trauen sich viel mehr, es ist ihnen egal, was andere von ihnen denken.

Auf der anderen Seite sind Logos wieder ein grosser Trend. Sie schenken den Menschen eine gewisse Art von Sicherheit, gerade in gesellschaftlich schwierigen Zeiten.

Das stimmt. Vor allem jüngere Menschen sehnen sich danach, zu einer Gruppe zu gehören, die man erkennt. Aber wenn man das alles mitgemacht hat, die Persönlichkeit gefestigt ist, kommt damit auch Selbstbewusstsein. Man hat es nicht mehr nötig, zu zeigen, welches Label man trägt. Bei uns dreht sich alles ums Handwerk, um grossartige Materialien. Die Persönlichkeit ist wichtiger als der Look. Logos sind sehr plakativ. Ich glaube wirklich, Brioni ist das modernste Modelabel auf der ganzen Welt momentan. Wir sind so viel cooler als die ganze Logomania.

Der Schauspieler Glen Powell ist neuer „Friend of the House“.

Brioni verwendet viel Seide und Kaschmir, die aufgrund der Produktionsprozesse in der Kritik stehen. Wie schwierig ist es, ultraluxuriöse Mode zu fertigen und gleichzeitig nachhaltig zu operieren?

Mode herzustellen, ist nie nachhaltig, aber man kann viel tun, um Kleidung zu fertigen, die eine Berechtigung hat. François-Henri Pinault setzt bei Kering alles daran, so schnell wie möglich so nachhaltig wie möglich zu werden. Zunächst einmal geht es darum, die Lieferkette transparent nachzuverfolgen. Selbst in China schafft das Unternehmen ein nachhaltiges Umfeld. Die Tiere werden gut behandelt, man achtet darauf, dass sich nicht zu viele Ziegen auf demselben Stück Land befinden, sodass es sich regenerieren kann. So kann man für Jahrzehnte nachhaltigen Kaschmir gewinnen. Unsere ersten Stücke tragen inzwischen das Good-Cashmere-Zertifikat, darauf bin ich wirklich stolz. Als Designer bin ich sehr sensibel: Ich möchte keine Dinge in die Welt setzen, die sinnlos sind. Bei Brioni stellen wir Kleidungsstücke her, die man viele Jahre tragen kann. Auch weil sie keinem Trend folgen.

Während der Coronapandemie haben die Menschen sehr viel mehr Leisure-Wear getragen. Wie sehr hat das Ihre Art zu designen beeinträchtigt?

Um ehrlich zu sein: Die Pandemie war eine schwierige Zeit für uns. Wir haben ein enges Verhältnis zu unseren Kunden. Man muss in die Boutique kommen und die Masse von den Schneidern abmessen lassen. Aber unser Geschäft kehrt wieder zur Normalität zurück. Wir kommunizieren keine Zahlen, aber Kering ist extrem glücklich damit, wie Brioni sich entwickelt. Bei der aktuellen Kollektion habe ich noch mehr Wert darauf gelegt, dass die Kleidung bequem ist.

Was genau braucht es, damit ein Anzug nicht zwickt?

Wir haben Männerjacketts vorgestellt, bei denen die Schulterpolster reduziert wurden, die Schulterpartie ist weicher, wir schenken mehr Bewegungsfreiheit, nutzen Materialien, die einen natürlichen Stretchanteil haben.

In der Frühlings-/Sommerkollektion gibt es viele Farben.

Die Männer fragen vermehrt nach Anzügen, die ihre Persönlichkeit stärker unterstreichen. Das ist schön. Früher haben wir vor allem dunkle Anzüge verkauft, jetzt bieten wir auch Anzüge in einem wunderschönen Grün oder einem tiefen Burgundy an. Wenn man es genau betrachtet, schliesst sich der Kreis: Als Brioni gegründet wurde, war das Label sehr avantgardistisch. Damals war Navyblau modern – und dann kam Brioni und brachte Jacketts in Kanariengelb und Hellblau auf den Markt. In den 1950ern und 1960ern wurde Brioni in einem Atemzug mit Dior genannt. Wir arbeiten das Spiel mit Farbe wieder heraus, nähern uns wieder unserer DNA an. Ich möchte keine Uniformen schaffen, hinter denen man sich versteckt. Perfektion langweilt mich. Ich ziehe es vor, dass unsere Kunden Armbänder tragen, die ihre Töchter gemacht haben, anstatt einen Schlips. Brioni Men hatte früher nur eine Facette: der Geschäftsmann. Jetzt erweitern wir die Facette: Er ist auch ein Liebhaber, ein Vater, ein Freund, er treibt Sport, geht am Wochenende aus.

Gibt es Pläne, die Women’s Wear weiter auszubauen?

Wir möchten sicherstellen, dass die Kollektion langsam wächst. Wenn man einmal ein Kleidungsstück herstellt, dann bleibt es für viele Jahre gleich. Besonders bei den Anzügen und Hosen, sie müssen also perfekt geschnitten sein. Derzeit arbeiten wir mit den Kleidungsstücken, die bereits bestehen, aber stellen sie jede Saison mit anderen Stoffen her. Wir erweitern Stück um Stück.

Sie haben bislang nur Männermode entworfen – muss man stark umdenken, um Damenkollektionen zu designen?

Nein, wir wollen das Maskuline beibehalten. Viele Frauen kommen in unsere Stores und kaufen Männerkleidung in der kleinsten Grösse. Es gibt nichts Schlimmeres als diese kurzen, taillierten Jäckchen. Aber natürlich haben wir trotzdem an einem Women Shape gearbeitet. Die Möglichkeiten bei der Women’s Wear sind enorm und es gibt niemanden, der diese Lücke füllt ausser uns. In jeder Brioni-Boutique gibt es einen Schneider, der in Penne ausgebildet wurde. Das ist unsere Geheimwaffe.

Brad Pitt ist so begeistert von Ihrer Arbeit, dass er eine Kapselkollektion mit Brioni entworfen hat.

Das war die grossartigste Erfahrung meines Lebens. Das Shooting fand in seinem Haus in Los Angeles statt. Plötzlich kam einer seiner Assistenten auf mich zu und meinte: «Brad möchte mit dir sprechen.» Ich dachte: O nein, habe ich etwas falsch gemacht? Also bin ich zu seiner Suite. Brad sagte: «Norbert, ich möchte mich bei dir bedanken. Seitdem ich Brioni trage, sehe ich nicht nur toll aus, sondern fühle mich auch grossartig. Das ist dein Verdienst.» Er hätte das nicht sagen müssen, es hat mich sehr berührt. So etwas macht meine Arbeit lohnenswert.

Neuer Look

Nach mehreren Wochen Umbau hat die Brioni-Boutique in der Zürcher Innenstadt wieder eröffnet. Das Ambiente ist heller und farbenfroher, unter den Möbeln befinden sich italienische Designklassiker.