Tessanda, die älteste noch aktive Handweberei der Schweiz, feiert 95- Jahr- Jubiläum und startet in die Zukunft durch.

Klick klack, klick klack. Wie ein Pfeil flitzt das Schiffchen hin und her: So schnell kann kein Auge folgen. Und die Füsse tanzen dazu auf den bis zu zwölf Holztritten Ballett. Eine echte Meisterleistung, die sich da täglich hunderttausendfach im dreigeschossigen Haus aus dem 17. Jahrhundert im kleinen Ort Santa Maria an der Grenze zu Italien abspielt. 17  Weberinnen, Näherinnen und Stickerinnen arbeiten bei Tessanda, der ältesten noch aktiven und mit Abstand grössten Handweberei der Schweiz.


Sie stellen reihenweise Unikate her: vom Geschirrtuch über den Schal bis zum Teppich – lauter schöne wie funktionelle Stücke für Küche, Bad, Wohnraum und den eigenen Stil. Dabei werden nur feine Naturgarne verwendet: Baum-, Schaf- und Ziegenwolle, Leinen, Seide, Kaschmir und Hanf. Gewebt wird an 27 Holzwebstühlen, die zum Teil schon fast hundert Jahre alt sind. Für ihr traditionelles Kunsthandwerk heimsen die Frauen regelmässig Designpreise ein.

Kooperation mit Hugo Zumbühl

Die neueste Innovation bringt der renommierte Textildesigner Hugo Zumbühl aus Chur ins Haus. Er hat für die Handweberei die Kollektion «Sulvadi» entworfen, bei der Schurwollteppiche mit einer markanten Oberflächenstruktur gewebt werden. Die Besonderheit der Teppiche beginnt beim eigenwilligen Material: Es ist ein fingerdickes, gefilztes Schafwollgarn, das im Kern mit Jute verstärkt und von aussen mit einem dünnen, farblich kontrastierenden Ziegenhaargarn umwickelt wird. Dieser spezielle Mix, der später beim Weben ein lebendiges Flächenbild entstehen lässt, muss selbst von den Weberinnen hergestellt werden.

Dazu spannen sie die Ziegenhaar-Wollstränge zunächst auf eine Haspel auf. Das sorgt dafür, dass sich die Fäden nicht verheddern und sich im zweiten Schritt problemlos mit einer Handkurbel auf eine Spule wickeln lassen. Hugo Zumbühl entwickelte zusammen mit einem Techniker den Prototyp einer Maschine, in der das gefilzte Wollgarn mit dem dünnen Ziegenhaar vermählt wird. Dieser Fertigungsschritte bedarf es, um den Schussfaden herzustellen, der dann mit einem «Schiff» zwischen die aufgespannten Kettfäden im Webstuhl gezogen wird. «Allein das Einrichten eines Webstuhls, also das Aufspannen und Verknoten von Hunderten von Kettfäden per Hand, dauert bis zu 40 Stunden», erklärt Geschäftsführerin Maya Repele. Nach dem Weben müssen im letzten Schritt noch die Kettfäden mit einer langen Nadel vernäht werden.


Tessanda wurde aus der Not geboren. «Man wollte damals den armen Bäuerinnen im Münstertal eine zusätzliche Verdienstmöglichkeit geben. Eigentlich war das wie ein Frauenförderungsprogramm.» Die Höfe in der Umgebung konnten die Bauern nicht ernähren, die Männer zogen als Zuckerbäcker ins Unter- und Ausland. Die Frauen blieben zu Hause und in ihrer Armut stecken. So gründeten 1928 eine Web- und eine Handarbeitslehrerin zusammen mit dem damaligen Pfarrer von Santa Maria die Handweberei Tessanda. Man bildete die Feld- und Stallarbeiterinnen im kunstvollen Handweben von Stoffen aus und entlohnte sie mit einem festen Salär. 1955 wurde die Weberei in eine Stiftung überführt.

Schwierige Zeiten

Mit den Jahren bekamen Handwebereien in ganz Europa starke Konkurrenz: Industriell gefertigte, unschlagbar günstige Textilien aus Asien überfluteten den Markt. Die Folge: Die meisten Betriebe mussten schliessen. Auch um die Tessanda stand es nicht gut. Repele, die schon ehrenamtlich im Stiftungsrat sass, kam als Geschäftsführerin an Bord und stellte erst mal alles auf den Kopf.

Frischer Wind weht jetzt durch die Räume des alten Hauses, aus dem das Klappern der Webstühle hinaus auf die Hauptstrasse von Santa Maria dringt. «Bis auf das Graubündner Geschirrhandtuch haben wir jetzt völlig neue Produkte im Angebot», so die 63-Jährige. Neue Farben, neue Muster, neue Styles – das brachte die notwendige Kehrtwende und den Betrieb endlich in die Gewinnzone. «Es hat uns auch ganz neue Käuferschichten eröffnet», freut sich die engagierte Chefin. Nur am extrem aufwendigen Kunsthandwerk hat sich nichts geändert. Zum Glück.

Die Kettfäden werden mit einer Nadel vernäht.

Maya Repele

Organisations- und Kommunikationstalent mit einem Händchen fürs Netzwerken: Die gebürtige Pfäffikerin Maya Repele absolvierte zunächst die Handelsschule, legte später
noch einen MBA nach. Die 63-Jährige war Projektleiterin der Landesausstellung Expo.02 und beriet als Partnerin einer Zürcher Agentur namhafte Unternehmen in strategischen Fragen. 2019 wurde sie Geschäftsführerin von Tessanda und leitet den Stiftungsrat seitdem als Präsidentin.