Die Uhrmacher haben die Ozeane im Schwimmvisier und stellen Uhren aus Meeresabfall her.

Die zahl beängstigt: Aus 270 000 Tonnen Plastikabfall soll der «siebte Kontinent» bestehen. Ein riesiger Abfallstrudel, der zwischen Hawaii und Kalifornien treibt. Der 1997 vom US-Ozeanografen Charles J. Moore entdeckte «Great Pacific Garbage Patch» (GPGP) zeigt: Es ist höchste Zeit. Wir müssen uns dringend um unsere Meere kümmern. Taucher bekommen inzwischen mehr Plastiksäcke als Fische bei ihren Tauchgängen zu sehen.


Wenn heute vom «kollektiven Bewusstsein» und der «Rettung der Ozeane» die Rede ist, krempeln auch erste Uhrenhäuser die Ärmel der Neoprenanzüge hoch. Vor allem jene, die sich auf Taucheruhren spezialisiert haben. Ging es ihnen vor wenigen Jahren einzig darum, wasserdichte und technologisch ausgefeilte Zeitmesser für Hobbytaucher oder Marinemitglieder zu produzieren, schwingen sich immer mehr Unternehmen zum Retter der Meere auf. Ihre Mission: die Kundschaft aufklären und Lösungsansätze skizzieren. Konkret bedeutet das: Uhren anzubieten, die aus recyceltem Meeresmüabfall hergestellt werden. Für noch mehr Nachhaltigkeit arbeiten viele Marken mit NGOs zusammen, die sich auf den Schutz der Ozeane spezialisiert haben. Auch Partnerschaften mit Stiftungen sorgen für einen positiven Fuss- bzw. Schwimmflossenabdruck. Ebenso, Gewinne aus dem Verkauf limitierter Editionen für den guten Zweck zu spenden.

Eine wachsende Welle

Die Herausforderungen für die Luxusgüterindustrie sind dennoch komplex: Anspruchsvolle Kundinnen und Kunden wissen zwar, dass die Rettung der Ozeane, die Lunge unseres Planeten, eine ökologische und wirtschaftliche Herausforderung darstellt, dass wir bewusster konsumieren müssen. Dennoch wünschen sich viele eine begehrenswerte Uhr, deren Ästhetik überzeugt.

In diesem Zusammenhang sind die Technologien zur Verwertung von Abfallstoffen von entscheidender Bedeutung. Und das fängt schon beim Vokabular an: Man spricht von «Regeneration» und nicht von «recycelten Abfällen». Das ist eine Nuance. Die Rede ist neu auch von einem virtuellen Kreislauf, in dem nichts verloren geht, sondern alles neu entsteht … und zwar besser! Panerai ist mit ihrem Konzept «Ecologico» eine der ersten Marken, die sich in der nachhaltigen Nische positioniert haben. Der Abenteurer Mike Horn, Botschafter des Hauses, hatte vor einigen Jahren ein Umdenken angestossen.

Heute steht die italienische Marke, die historisch mit der Welt der Meere verbunden ist, für Innovation. Sie verfügt über ein ganzes Netzwerk an Partnern, die Materialien recyceln und die Herstellung einer Uhr ermöglicht haben, die zu 52 Prozent aus aufbereiteten Materialien besteht. Ein anderes Haus, eine andere Initiative: Für gewisse Uhrenarmbänder verwendet Breitling Econyl®-Garn, das zum Teil aus wiederverwerteten Fischernetzen besteht. «Sie haben den Vorteil, dass sie ihrerseits recycelt und beispielsweise zu T-Shirts verarbeitet werden können, wenn das Ende ihrer Lebensdauer erreicht ist», erklärt Georges Kern, Chef der Marke. «So wird die Kreislaufökologie in Schwung gehalten.» Auch Traditionshäuser wie Maurice Lacroix, Oris oder Carl F. Bucherer haben erkannt, dass Engagement der neue Luxus ist. Sie produzieren Armbänder, Gehäuse oder Zifferblätter aus PET-Flaschen, die in und auf Gewässern eingesammelt werden.

Innere Werte

Gerade Branchenneulinge versuchen, Upcycling zur Grundlage ihres Handels zu machen. So startete die junge französische Marke Awake mit der Mission, «die Materialien der Vergangenheit zu recyceln, um die Uhren der Zukunft zu kreieren». Das Start-up, das von einem engagierten und kreativen Kollektiv geleitet wird, setzt auf technologischen Fortschritt. Im vergangenen Jahr brachte es eine limitierte Serie heraus, die vollständig aus recycelten Fischernetzen hergestellt wurde. Sechs Monate Forschung und Entwicklung waren nötig, um ein Material zu finden, das die gewünschte Festigkeit besass, ohne an Optik einzubüssen.

Lilian Thibault, Gründer von Awake, erklärt, warum die Wahl ausgerechnet auf alte Fischernetze fiel: «Sie symbolisieren zwei Geisseln:
22 000 Tonnen Plastikabfall werden jeden Tag ins Meer geworfen und 650 000 Meerestiere verfangen sich jedes Jahr in weggeworfenen Netzen.»
Vielleicht stehen wir erst am Anfang einer Ära, in der Wertvolles nicht nur in Karat gemessen wird – sondern in nachhaltigen Taten und Emotionen. Die Zeit ist jedenfalls mehr als reif dafür.