Gesichtscreme aus krummnen Rüebli und Peeling aus Kaffeesatz: Die Beauty-Industrie entdeckt das Upcycling.

Es war im jahr 1993 auf dem elterlichen Weingut. Mathilde Thomas machte die Bekanntschaft von Professor Joseph Vercauteren: «Wissen Sie eigentlich, dass Sie hier wahre Schätze wegwerfen?», fragte sie der Leiter der Pharmazeutischen Fakultät der Uni von Bordeaux, der unter anderem die Wirkung von in Traubenkernen enthaltenen Polyphenolen auf die menschliche Haut erforschte. Und darum die Kerne im Gegensatz zur Winzerfamilie nicht als Abfall betrachtete, sondern in ihnen einen kosmetischen Wirkstoff mit unglaublichem Potenzial sah.


«Dieser Satz hat mein Leben für immer verändert», erinnert sich Mathilde Thomas, die zwei Jahre später gemeinsam mit dem Professor sowie ihrem Mann die Kosmetikfirma Caudalie begründete, bei der sich bis heute alles um die Wirkstoffe aus der Weinrebe dreht. «Um sich gegen äussere Einflüsse zu schützen, produzieren sie aktive Moleküle, die man in verschiedenen Teilen der Pflanzen findet», erklärt die heute 50-Jährige, die mit ihrem Aus-alt-mach-neu-Konzept einen Trend vorwegnahm, der es über die Mode in die Beauty-Branche geschafft hat.
«Upcycling» heisst das Zauberwort, das die Verwendung von Abfallprodukten zur Herstellung von etwas Neuem, Wertigem umschreibt, wie das inzwischen nicht mehr nur Naturkosmetik-Brands, sondern auch immer öfter Luxus-Firmen machen. «Die Nachfrage nach Upcycling-Produkten geht Hand in Hand mit dem in der Gesellschaft zunehmenden Umweltbewusstsein und dem Respekt vor der Natur», heisst es etwa vonseiten der japanischen Shiseido-Gruppe, zu der neben der gleichnamigen Kosmetik-Marke unter anderem die Duft-Franchise von Issey Miyake gehört.

Inspiriert vom Sternekoch – und Shiseido-Botschafter – Thierry Marx (Restaurant Mandarin Oriental, Paris, zwei Michelin-Sterne) engagiert man sich für die Ressource Wasser, indem in gewissen Produkten der «Waso»-Kosmetiklinie statt normalem Wasser Apfelwasser verwendet wird, das bei der Herstellung von Saftkonzentrat anfällt und sonst weggeschüttet würde. «Upcycling-Rohstoffe finden sich ausserdem in den Düften ‹L’ Eau d’ Issey pour Homme Eau & Cèdre› sowie ‹L’ Eau d’ Issey Eau & Magnolia›: Zedernholz-Späne, gefällte Zypressen aus Spanien und aussortierte Karadamonsamen.»

Wenn Kaffeesatz ein zweites Leben als Schönmacher bekommt


Der unlängst aus dem deutschen Wella-Konzern hervorgegangene, ganz der Nachhaltigkeit verschriebene vegane Haarpflege-Brand weDO setzt auf Öl aus Macadamia-Nussresten und aus Bambusblättern gewonnenes Wasser. Bei The Body Shop nutzt man für die «Carrot»-Linie Bio-Rüebli, die es wegen kleiner optischer Makel nicht in die Lebensmittel-Auslage schaffen. Und in der bei Promis sehr beliebten «Glow Philtre»-Maske des 2011 in Arizona lancierten Beauty-Labels Kypris bringen Enzyme aus upgecycelten Früchten den Teint zum Strahlen.


Nach dem gleichen Prinzip verhilft das junge britische Familienunternehmen UpCircle Beauty, das in der Heimat schon mehrere Awards abgestaubt hat, Abfallprodukten aus diversen Branchen zu einer Zweitkarriere als Schönmacher. Kaffeesatz aus Coffee-Shops, zum Beispiel: Ganze 350 Tonnen davon sind schon recycelt worden.

Auch finanziell attraktiv

«Es gibt so viele natürliche Reststoffe, die im Abfall landen; dabei enthalten sie für die Haut unglaublich wertvolle Wirkstoffe», sagt Ex-Investmentbanker und UpCircle-Mitbegründer William Brightman. Im Gespräch mit «The Beauty Independent» erklärte er kurz nach dem Firmenlaunch 2019, was ihn und seine jüngere Schwester Anna angetrieben hatte, sich mit rund 30 Jahren beruflich neu zu orientieren. Und warum sie die Preise für ihre Produkte möglichst niedrig halten: «Wir wollen, dass die Produkte in so viele Haushalte wie möglich gelangen, damit die Leuten sehen, dass schöne Haut nicht auf Kosten der Umwelt gehen muss.»


Mit einer kreislauforientierten Wirtschaft mal eben den Planeten retten? Klingt zu schön, um wahr zu sein. Fakt ist aber, dass von der Verwertung vermeintlicher Abfallprodukte Produzenten, Konsumentinnen, Lieferanten und die Umwelt profitieren. Win-win-win-win, sozusagen. Für Caudalie-Gründerin Mathilde Thomas kommt der Upcycling-Trend in der Beauty darum nicht wirklich überraschend: «Wir verfügen nun mal nicht über unbegrenzte Ressourcen.» Sich selbst etwas Gutes tun und erst noch etwas Sinnvolles damit bewirken: Nachhaltigkeit war auch schon anstrengender.