Die Gründerin des Labels YVY entwirft Leder-Pieces, die es regelmässig auf den roten Teppich schaffen. Sie selbst pflegt derweil ihre Homebase in Zürich.

Der Zeitgeist meint es gut mit ihr. Seit Yvonne Reichmuth 2013 in einem winzigen Zürcher Atelier ihr Label YVY – ausgesprochen wie die Kurzform von Yvonne, also «iwi», nicht wie das englische «ivy» – gegründet hat, wurden ihre extravaganten Leder-Pieces nicht nur an Lady Gaga, Taylor Swift und den Kardashian-Jenners gesichtet. Sondern der Fashion-Geschmack hat sich generell in Richtung von dem verschoben, was man «Fetish-Core» nennt: Man nehme ein an Sado-Maso erinnerndes Teil – und style es mehr oder weniger alltagstauglich. «Aber bitte classy!», ergänzt die 36-Jährige lachend.

Dass das sehr wohl geht, beweisen ihre hochkarätigen Business-Partner: Seit 2020 ist sie Teil des Kreativteams des Elektro-Automobilunternehmens Piëch. Und nun durfte sie für das Kult-Uhrenmodell DolceVita von Longines ein neues Armband entwickeln. «Mir war wichtig, die in der Welt des Pferdesports verankerte Ästhetik der Uhr auf subtile Art aufzugreifen, nicht etwa mit einem Hufeisenmotiv.» Ins Armband der DolceVita x YVY (in Beige, Braun oder Schwarz mit Nieten) geschafft haben es die typischen Einkerbungen von Reitlederwaren sowie die spitz zulaufenden Abschlüsse von Zaumzeug. Der Clou? Das Band funktioniert modular: Man kann es doppelt tragen – oder beide Teile für sich allein.

Man munkelt, Ihre Stücke seien gar nicht von S&M, sondern vielmehr von Architektur inspiriert…

Stimmt! Die «Shibui»-Kollektion ist beeinflusst von Tadao Andōs Church of Light (Foto) und der Art, wie das Licht durch Schlitze im Beton in den Raum fällt. Oscar Niemeyer wiederum verglich seine Linienführung mit den Kurven einer Frau. Das passt natürlich perfekt – und floss in die «Sleek»-Kollektion ein.

Wann hat es bei Ihnen in Sachen Leder „klick“ gemacht?

Schon als Teenager waren meine wertvollsten Besitztümer aus Leder: die Biker-Jacke; die Handtasche, die einem alles bedeutet hat; der Nietengurt. Während der Designausbildung habe ich dann schnell gemerkt, dass Leder “mein Stoff” ist. Wie es riecht und wie es sich anfühlt: Daran kommt nichts heran. Sogar die Werkzeuge und Maschinen, die man zu seiner Verarbeitung verwendet, sprachen mich mehr an als andere. 

Wie wohnen Sie? Gibts ein Einrichtungsstück, das Ihnen besonders am Herzen liegt?

Ich liebe Interior Design – und bin ziemlich aufgeregt, weil ich demnächst in eine neue, viel grössere Loft ziehen und endlich Platz für Teile haben werde, auf die ich schon lang ein Auge geworfen hatte. Eins, das ich schon besitze, ist das Barcelona Day Bed von Mies van der Rohe. Das hab ich mir geleistet, nachdem ich einen beruflichen Milestone erreicht hatte. Ich mag solche dominanten Einzelstücke, die einen Raum komplett vereinnahmen können – so, wie ein Ledergurt ein Outfit verändern kann. Und wie bei der Mode, gilt für mich beim Einrichten: Nicht jedes Teil muss ein High-End-Piece sein – aber es lohnt sich, in den einen oder anderen Klassiker zu investieren. Für meine neue Wohnung wirds wohl ein TOGO-Sofa von Ligne Roset geben. Und vielleicht eine riesige 60er-Jahre-lampe in die ich mich vor Jahren verliebt habe. Der Mid-Century-California-Style der Sixties und Seventies hat es mir total angetan. 

Und wie siehts in Ihrem Kleiderschrank aus? Was sind Ihre Lieblings-Pieces?

Da wäre einmal ein Leder-Cape von Saint-Laurent, das ich mal total spontan in Kalifornien gekauft habe. Ich musste Zeit totschlagen, als ich auf eine Freundin wartete, und bin nur zum Spass reingeschlüpft – aber als ich es einmal anhatte, wollte ich es nicht mehr ausziehen. Dieses Phänomen beobachte ich auch immer wieder bei Kundinnen bei uns im Atelier. Und dann gibts noch ein Lieblingsstück: Den Jacquemus-Leinen-Jumpsuit, den ich unlängst bei Launch der Longines DolceVita in Paris getragen habe. Er war ein Geschenk für diesen speziellen Moment und die perfekte Leinwand, um das neue Equestrian Harness und die DolceVita x YVY in sand beige zu präsentieren. 

Wo shoppen Sie besonders gern?

Ich kaufe viel vintage. Auf dem Weg von meinem Atelier zu meiner Wohnung gibts diesen tollen Designer-Second-Hand-Laden, Abito Allora. Da ich wahnsinnig ungeduldig bin und ungern viel Zeit fürs Shoppen investiere, schaue ich dort im Vorbeigehen oft rein und werde immer mal wieder fündig. 

Sie sind Vegetarierin. Wo isst man in Zürich besonders gut?

Das Ristorante Italia (Foto) liebe ich seit Jahren; besonders im Sommer, wenn man draussen sitzen kann. Meist hats auf der Speisekarte nur ein Vegi-Hauptgericht. Das kommt mir sehr entgegen: Ich muss den ganzen Tag schon so viele Entscheidungen treffen, dass ich froh bin, wenn mir das am Abend abgenommen wird.

Kochen Sie auch selber? Gibts ein Yvy-Erfolgsrezept?

Ehrlich gesagt, lasse ich mich lieber bekochen. (lacht) Aber ein Yvy-Erfolgsrezept gibt es lustigerweise trotzdem: Und zwar macht meine Mutter, die oft das Catering bei Fotoshootings übernimmt, einen legendären Salat aus Tomaten, Datteln, Zwiebeln und Feta mit Koriander-Dressing. Alle lieben ihn; er macht süchtig! Wir haben schon gewitzelt, dass wir ihn eigentlich im Webshop anbieten sollten.  

Der Veganismus ist gerade sehr angesagt, auch in der Mode. Können Sie sich vorstellen, mit Leder-Alternative zu arbeiten?

Wir beobachten diesen Markt sehr genau und bestellen immer wieder Materialien ins Atelier, wurden aber bisher stets auf mindestens einer Ebene enttäuscht. Leder ist, was Haptik, Optik, Geruch, Verarbeitung und Langlebigkeit anbelangt, bisher einfach unerreicht. Es gibt ein paar Produkte, die Potenzial haben; allerdings wird es wohl noch ein paar Jahre dauern, bis sie auf dem Niveau sind, auf dem ich sie haben möchte. Kommt hinzu: Viele dieser sogenannten veganen Leder sind Polyurethan-basiert – und damit alles andere als nachhaltig. Die von uns genutzten Tierhäute stammen zu 100 Prozent aus der Fleischindustrie. Statt einfach entsorgt zu werden, erhalten sie durch uns ein zweites Leben.

Sie haben eine Weile in Florenz studiert. Gibts Lieblingsorte?

Ich wohnte nur einen Katzensprung von der Piazza Santo Spirito entfernt; die Kollektion, die damals entstand, heisst in Anlehnung an den Platz «Spirit» (Foto). An der Piazza hats übrigens eine grandiose Osteria!

Trotz Ihres internationalen Erfolgs ist und bleibt Zürich Ihre Homebase. Was lieben Sie an dieser Stadt?

Die hohe Lebensqualität. Die Übersichtlichkeit. Dass ich mich aufs Velo setzen und in 10 Minuten überall sein kann. Dass es urban ist, aber viel Wasser hat. Ich könnte nie an einem Ort leben, wo ich nicht schwimmen gehen kann. Ich springe oft schon morgens in die Limmat, über Mittag gehen wir manchmal mit dem ganzen Team in die Badi. Am Abend sitze ich gern am See, bis die Sonne untergeht. Ins Wasser abtauchen ist für mich, wie einen Reset-Button zu drücken. Man tankt Energie für den Rest des Tages oder wäscht alle Ärgernisse des Tage ab. Vor Kurzem habe ich Pedalos für mich entdeckt: Eine Flasche Bubbly, einen Snack und einen Lieblingsmenschen einpacken – und ab gehts auf den See!

Für den Uhrenklassiker DolceVita von Longines haben Sie ein neues Armband designt.

Was mich an der Aufgabe besonders reizte, war, dass ich die Verbindung zur Welt des Pferdesports, die Longines schon lange pflegt, neu interpretieren durfte. Das Harness, ein Klassiker aus dem YVY-Sortiment, ist ja ebenfalls von dieser Ästhetik geprägt. Während dem Entwicklungsprozess haben wir eine Menge Sattlerei-Artikel auf charakteristische Verarbeitungstechniken analysiert; denn mir war wichtig, den Bezug zum Reitsport auf subtile Art zu visualisieren, nicht etwa mit einem Hufeisen oder einem Pferd auf dem Zifferblatt. Ins Armband der DolceVita x YVY geschafft haben es die typischen Einkerbungen in Reit-Lederwaren sowie die spitz zulaufenden Abschlüsse von Zaumzeug. Wer sich in der Pferdewelt bewegt, wird diese Elemente sofort erkennen, für alle anderen sind es elegante ästhetische Elemente. Der Clou des neuen Doppelarmbands ist, dass es modular funktioniert: Man kann das schmalere Zusatzarmband abnehmen und es auch allein tragen.  

Buch oder Film? Und einen Tipp, bitte.

Definitiv Buch! Aber nur Non-Fiction. Patti Smiths «Just Kids» (Foto), in dem sie von ihrer Freundschaft zu Robert Mapplethorpe erzählt, ist zugleich ein Zeitzeugnis von New Yorks Musik- und Gay-Szene der frühen Siebziger. Wunderbar poetisch!

Hören Sie Musik, wenn Sie arbeiten?

Ja, das ganze Team mag das, und alle dürfen ihre musikalischen Wünsche einbringen. Oft läuft Lana del Rey, das ist schön ruhig und passt vom Stil her. Rock mag ich auch – aber nicht zum Arbeiten. 

Wohin fahren Sie, wenn Sie abschalten wollen?

Italien ist ein sicherer Wert. Und neulich war ich in Hvar in Kroatien, in einer kleinen Bucht mit nur einem Boutiquehotel, nichts ringsum, kaum Leute… Ein traumhafter Ort.

Welcher Duft – abgesehen von jenem nach Leder – macht Sie glücklich?

Kaffee! Und frisches Brot. Am liebsten, wenn ich noch nicht ganz wach bin.