Die Chefredaktorin von encore! hat mit viel Herzblut ein persönliches Essay über Tschechien verfasst. hier verrät sie ihre Favoriten für einen besuch in Prag.

Zwei Herzen schlagen in ihrer Brust: Koordinaten der Heimat. Zunächst ist da die Schweiz, das Land, in dem Renata Libal aufwuchs, studierte und Journalistin wurde – heute leitet sie die Zeitschrift, die Sie gerade in den Händen halten. Und dann ist da Tschechien, das Land ihrer Herkunft, das sie 1970 mit ihren Eltern verliess. Ein Fleck Erde, der sie nicht loslässt, wo Familie und Freunde leben, deren Bräuche ihr immer noch vertraut sind.


Nicht verwunderlich also, dass Richard Werly vom Nevicata-Verlag sie bat, einen Beitrag über Tschechien für die Reihe «L’âme des peuples» (ab dem 15. Oktober, auf Französisch) zu verfassen. Herausgekommen ist eine persönliche Gebrauchsanweisung, die einem Reisebericht gleicht. Libal beleuchtet den Charakter der Menschen in diesem merkwürdigen Land, das voller Überraschungen steckt und «in dem 10,5 Millionen chronisch gereizte Menschen leben», so der Wirtschaftswissenschaftler Mojmir Hampl, der in dem kleinen Buch wie etliche andere – humorvoll – zu Wort kommt.

Was hat dich bei der Recherche zum Buch am meisten überrascht?

Man sagt immer, dass das Essen in Tschechien schwer und schlecht sei. Zugegeben, da ist etwas dran. Aber es gibt Köche, die die kulinarische Tradition neu erfinden. Marie B (Foto) ist eine Art Underground-Restaurant in Prag, in dem die Feinschmecker raten müssen, was sie auf dem Teller haben. Ich war begeistert!

Ist diese Revolution nur auf die Hauptstadt beschränkt?

Vor allem Prag, ja! Aber wer sich nach Olomouc wagt (eine Stadt, die es wirklich wert ist!), sollte die Küche von Přemek Forejt probieren: Sein Restaurant Entrée bietet ein ebenso kulinarisches wie spektakuläres Erlebnis. Der Chefkoch ist eine lokale Berühmtheit und bekannt für seine offenen Worte, seine Ausgelassenheit … und seine Tätowierungen.

Haben Sie noch weitere Favoriten?

Immer mehr! Ich bin ein absoluter Fan des hausgemachten Kreuzkümmelbrots von Antonínovo pekařství (Antonínovo pekařství), die derzeit drei Filialen in Prag hat und die Handarbeit wieder aufwertet. Auch ihre Patisserie ist zum Verlieben.

Du erwähnst auch das Kunsthandwerk, die berühmten «goldenen Hände».

Ich denke da besonders an die Glaskunst. Das Unternehmen Lasvit stellt virtuose Kunstwerke her, wie die mundgeblasenen Leuchten Neverending Glory (Foto), die von Kronleuchtern aus grossen Theatersälen inspiriert sind. Haute Couture aus Glas!

Gibt es noch einen Glasfavoriten?

Ich mag das unternehmerische Abenteuer von Kateřina Šrámková sehr. Sie kaufte 2021 eine Manufaktur für Weihnachtskugeln, die angesichts billiger industrieller Konkurrenz bankrottging. Nun arbeitet sie daran, die traditionelle, mundgeblasene Arbeit wiederzubeleben. Unter dem Label Koulier bietet sie auch dekorative Kugeln (Foto) an, die das ganze Jahr über verwendet werden können, wie diese sehr zarten Globen, die mit heimischen Feldblumen bemalt sind.

Tschechien hat eine sehr lange Designtradition.

Ja, die Designer arbeiten oft mit einer Prise Humor. Manchmal verschenke ich die aufblasbaren Tiere – Büffel (Foto), Giraffe, Elefant – , die in den 1970er-Jahren von der Designerin Libuše Niklová entworfen wurden. Sie werden heute von der Firma Fatra neu aufgelegt und sind so gross, dass Kinder auf ihnen reiten können.

Was darf man in Prag nicht verpassen?

Meine Favoriten sind die Spanische Synagoge und das Stadthaus. Beide liegen übrigens sehr nahe beieinander im Zentrum von Prag. Und beide verkörpern diese handwerkliche Virtuosität, diese dekorative Fülle, die mich an dem Land so sehr berührt. Aber neben den Denkmälern und Museen empfehle ich dringend, eine Vorstellung des Zirkus La Putyka (Foto) zu besuchen, der einen festen Standort im Stadtzentrum hat.

Und welches Museum sollte man unbedingt anschauen?

Das Museum des Kommunismus sollte man sich nicht entgehen lassen, es ist wirklich informativ und berührend. Auch das Musoleum (Foto) ist empfehlenswert: Schon der Name klingt nach Selbstironie, denn es handelt sich um ein modernes Museum, das seit kurzem in einer Industriebrache untergebracht ist und David Černý, einem zeitgenössischen, lebenden Künstler gewidmet ist. Der 57-jährige Bildhauer spielt sich ein wenig als offizieller Provokateur des Landes auf, mit seinen Stinkefingern in Richtung Moskau gerichtet. Sein Museum ist eine immersive Erfahrung, mit sehr starken Stimmungen und Werken, die die politische Situation, das Verhältnis zu Europa und die digitale Versklavung kommentieren.

Ein Künstler, der dort wirklich bekannt ist, nicht wahr?

Ja, denn viele seiner Werke sind auch in der Stadt zu sehen, wie die riesigen Babys mit einem QR-Code in ihrem Gesicht, die auf den Fernsehturm klettern. Und in dem von Gentrifizierung betroffenen Stadtteil Karlín sieht man auch Černýs Zusammenarbeit mit Immobilienentwicklern: Eine 24 Meter hohe weibliche Figur aus Chrom stützt ein Mietshaus. Die Statue heisst Lilith (Foto) und der Effekt ist ziemlich lustig!

In welchem Hotel nächtigen?

Ganz klar im Mosaic House (Foto): Es wurde 1934 als Gewerkschaftshaus gebaut wurde. Die alten Mosaike und die grosse zentrale Treppe sind erhalten geblieben, alles andere wurde von den Schweizer Designern des Atelier Oï wunderbar renoviert. Zumindest eine Ingwerlimonade sollten Sie dort trinken.

Wohin entflieht man aus der Stadt?

Zwei Autostunden von der Hauptstadt entfernt liegt das Schloss Žďár (Foto) am Fluss Sázava, wo man die Geschichte des Landes hautnah miterleben kann. Die Familie des Grafen Kinsky veranstaltet auf dem Anwesen ihrer Vorfahren Konzerte und Festivals. Die Zimmer sind bezaubernd und die Atmosphäre ist wirklich inspirierend. Ganz in der Nähe befindet sich ein weiteres Denkmal der Barockarchitektur in Tschechien: die Kirche des Heiligen Johannes von Nepomuk, die von dem Architekten Santini-Aichel in Form eines fünfzackigen Sterns erbaut wurde. Es handelt sich um eine Rarität! Der Ort ist ein kultureller Treffpunkt mit einer Dauerausstellung über die Bedeutung des barocken Geistes. 

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