Die Beauty-Industrie hat krauses und gelocktes Haar für sich entdeckt. Was nicht zuletzt darin begründet ist, dass das westliche Schönheitsideal vom Thron gestossen wurde.

Eine Woche nach ihrer Hochzeit entschied Rosa Maria Gonzalez, sich den Kopf kahl zu rasieren. «Ich schaute meinen sechs Monate alten Sohn an und überlegte mir, welche Werte ich ihm vermitteln möchte. Er sollte mit einem Mami aufwachsen, das stolz ist auf seine Wurzeln und sich nicht für gesellschaftliche Normen verbiegt», begründet die studierte Modedesignerin aus der Dominikanischen Republik die radikale Trennung von ihrem Haar, das sie bisher immer glatt trug. «In meiner Heimat ist es normal, sich die Locken mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu strecken.»


Hinterfragt habe sie die für die Haare strapazierende Prozedur erst nach dem Umzug in die Schweiz. «Aus der Distanz wurde mir klar, dass dies eine Anpassung an die weisse Ästhetik ist.» Angefangen habe diese mit der Abschaffung der Sklaverei in den USA, als ehemalige Skalvinnen nicht nur die Namen ihrer einstigen Besitzer übernahmen, sondern sich auch das Haar glätteten, um den Weissen möglichst ähnlich zu sein. «Bis heute gilt in unserer Kultur eine Frau mit natürlichen Locken als ungepflegt.» Das Abrasieren ihrer Haare war für Rosa Maria im wahrsten Sinne des Wortes ein Schnitt mit der Vergangenheit – und das Annehmen ihrer wahren Identität.


Welche Symbolkraft eine Frisur haben kann, zeigt auch die These der nigerianischen Bestsellerautorin Chimamanda Ngozi Adichie. Sie ist sich sicher, dass Barack Obama keine Chance auf das Präsidentenamt gehabt hätte, wenn seine Frau ihre Haare nicht geglättet hätte. Erst nach Baracks Amtszeit zeigte sich Michelle mit natürlichen Locken – und sorgt damit bei ihren Fans für Begeisterung. «Drei Jahre lang habe ich auf dieses Bild gewartet», schrieb eine Twitter-Userin etwa im April 2017 unter einen Schnappschuss, auf dem die ehemalige First Lady mit Kraushaar zu sehen war.

Beifall für dieses Bekenntnis zu ihren Wurzeln gab es auch von Rosa Maria Gonzalez, die sich mit ihren natürlichen Locken «fühlte, als wäre ich endlich bei mir angekommen». Gleichzeitig habe die Transformation aber neue Herausforderungen mit sich gebracht: «Da Afrohaar eine ganz andere Struktur hat als kaukasisches Haar, brauchte ich plötzlich andere Pflegeprodukte. Und die in der Schweiz zu finden war schwierig.» Die Folge? Unter dem Namen lockenkopf.ch lancierte Rosa Maria ihren eigenen Onlineshop – und schloss damit eine Marktlücke.


«Noch vor nicht allzu langer Zeit war das Angebot für stark gelocktes Haar hier sehr klein», bestätigen Hanna und Tina, die Gründerinnen des Hairsalon Curl-ish in Zürich. «Im normalen Handel fand sich nichts zur Pflege von krausem Haar, das aufgrund seiner porösen Textur besonders trocken und empfindlich ist». Damit Locken ihre Sprungkraft behalten, müsse das Haar mit speziell viel Feuchtigkeit versorgt werden. Das weiss auch Johan Hellström, CEO von Björn Axén: «Es ist wichtig, das richtige Shampoo und die richtige Spülung zu verwenden und regelmässig reichhaltige Haarmasken aufzutragen.»

Goldgrube Kraushaar

Und beim Styling? «Da sollten Produkte direkt nach dem Waschen aufgetragen werden, weil dann das Haar noch aufnahmefähig ist», erklärt Salvatore Solano, Haarexperte bei Dyson. Sein Tipp: «Sowohl der Kammaufsatz mit breiten Zacken als auch der Diffusor für den Dyson Supersonic sind ideal zum Stylen von Afrohaar, weil sie es vor Hitze schützen und gleichzeitig die Locken erhalten.»


Bis zu neun Mal mehr Geld investieren Lockenköpfe geschätzt in die Pflege ihres Haars. Entsprechend gross ist inzwischen das Interesse der Beauty-Brands, die je länger je mehr Produkte für starke Naturkrausen anbieten. Einer der wichtigsten Gründe dafür sieht Renée Gadar von Aveda in der Digitalisierung. «Jahrelang hat die Beauty-Industrie eine eurozentrische Vorstellung von Schönheit propagiert. Durch die sozialen Medien kam es zu einem revolutionären Umdenken.»


Bemerkbar macht sich dieser Wandel des Idealbilds auch im allgemeinen Trend zu Locken: War früher in der Werbung die Rede von «Haar kontrollieren» oder «Locken zähmen», werden heute Produkte zur Optimierung von Locken angepriesen. Dass die Natural-Hair-Bewegung trotzdem noch einen langen Weg vor sich hat, steht für Rosa Maria Gonzalez aber ausser Frage. Dank eines zunehmend inklusiven und heterogenen Schönheitsbegriffs sei es indes schon heute insbesondere für People of Color um einiges einfacher, ihre natürliche Haarpracht in allen möglichen Varianten zu tragen. Und auch zu feiern: «Schliesslich steht diese Bewegung nicht nur für Selbstliebe und Akzeptanz, sondern auch für Selbstbestimmung.»